Die Schweiz als Bastion der Tabak-Multis
Europa und die USA haben den Zigarettenfirmen den Kampf angesagt. Ihre Gewinne und Umsätze schwinden drastisch. Jetzt setzen die Tabakkonzerne auf weniger schädliche Alternativen zur Zigarette. Zwei Milliarden Dollar hat Philipp Morris (PMI) investiert, um seine neue rauchfreie Zigarette zu entwickeln und zu testen. Die Neuheit mit dem Namen «iQos», eine Mischung aus herkömmlicher und elektronischer Zigarette, will die verhängnisvollen Effekte, die beim Verbrennen von Tabak entstehen, verhindern. Ende Jahr soll sie schrittweise auf den Markt kommen. Bis 2016 sollen 30 Milliarden dieser Zigaretten verkauft werden und einen Jahresgewinn von 700 Millionen Dollar erwirtschaften. Das sind zumindest die Prognosen des Zigarettenmultis. Im PMI-Forschungszentrum in Serrières am Neuenburgersee brüten über 300 Forscher über Alternativen, die weniger gesundheitsschädigend sein sollen als die «gute» alte Zigarette.
«Die Industrie befindet sich ganz am Anfang eines Transformationsprozesses. Vor zehn Jahren haben wir unsere Arbeit zur Entwicklung von Produkten begonnen, welche die Risiken reduzieren könnten», sagt PMI-Pressesprecher Iro Antoniadou.
Herkömmliche Zigarette – ein Auslaufmodell?
Allerdings ist Philipp Morris nicht der einzige Konzern in diesem Rennen. Alle Akteure der Branche sind auf der Suche nach Alternativen (elektronische Zigarette, Produkte, die den Tabak erhitzen statt verbrennen, Nikotin-Inhalatoren oder Tabakzerstäuber), um die Verschärfung der Gesetze zu umgehen, mit denen die herkömmliche Zigarette zu kämpfen hat.
«Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass sie dasselbe Schicksal erleiden wie Kodak», analysiert Jean-François Etter, Professor für globale Gesundheit an der Universität Genf und Herausgeber von stop-tabac.ch. «Das Unternehmen verschwand von der Bildfläche, weil es den Übergang von der analogen zur digitalen Foto verpasst hatte. Deshalb haben Zigarettenhersteller keine andere Wahl, als auf neue Technologien zu setzen – auf die Gefahr hin, dass ihre Topmarken geschluckt werden.»
Düstere Zukunftsprognosen
Die Aussichten für die Branche sind ziemlich düster: Mit Ausnahme von China hat das Verkaufsvolumen von Zigaretten im Jahr 2013 weltweit um 4 Prozent abgenommen, wie die Marktanalysen von Euromonitor ergaben. Eine Tendenz, die seit 2010 beobachtet wird. Für dieses Jahr erwartet PMI einen Rückgang von 2 bis 3 Prozent weltweit. In Europa dürfte er noch grösser sein und in den nächsten drei Jahren gegen 5 Prozent betragen.
Einige Experten sind sogar der Auffassung, die Tabakindustrie sei zum Verschwinden verurteilt. «Die Phase des Rücklaufs ist im Gang. Citigroup sage das Verschwinden für 2045 voraus», sagt Pascal Diethelm, Präsident von OxyRomandie, einem Verein, der den Tabakmissbrauch bekämpft. «Seit 50 Jahren entwickeln die Multikonzerne Hybrid-Produkte – erfolglos. Ihr Herzstück ist die herkömmliche Zigarette.»
Die Hersteller teilen diese Sichtweise nicht: «Der Niedergang der Tabakindustrie wurde im Laufe der Geschichte immer wieder angekündigt. Abgesehen von der jüngsten Wirtschaftskrise sehen wir aber keinen Grund zur Beunruhigung. Die demografische Entwicklung auf der Welt ist positiv, und es hat immer Platz für ein solides Wachstum», entgegnet Guy Côté, Sprecher von Japan Tobacco International in Genf. Laut Jean-François Etter haben die Multis insbesondere die galoppierende demografische Entwicklung in Afrika und in Asien im Fokus, wo die Jungen den westlichen Lebensstil übernehmen.
Um eine maximale Rentabilität zu demonstrieren (die britische Zeitung «Guardian» schätzt die Jahresgewinne der sechs grössten Tabakmultis auf 35 Milliarden Dollar) und ihren Aktionären grösstmögliche Dividenden auszuschütten, hat die Industrie keine andere Wahl, als die Konsumenten zur Kasse zu bitten, indem sie die Zigaretten-Preise erhöht. «Diese Strategie ist jedoch nicht von Dauer: Eines Tages werden die Hersteller einen Rückgang des Absatzes wie auch des Gewinns erfahren. Dann werden die Finanzmärkte die Industrie fallenlassen», prognostiziert Pascal Diethelm.
Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sichern
Die Insel Schweiz mit ihrer günstigen Steuerpolitik und liberalen Reglementierung ist der Zigarette äusserst gut gesinnt: Die drei grössten Tabakunternehmen, PMI, British American Tobacco und Japan Tobacco International, sind sowohl in der Herstellung, Forschung wie auch im Management in der Schweiz sehr aktiv.
So hat zum Beispiel PMI für die Wirtschaft in der Romandie eine enorme Bedeutung: Fast 700 Millionen Franken Investitionen seit 2008, 3000 gut bezahlte Arbeitsplätze, rund 60 Millionen Franken Steuereinnahmen alleine für den Kanton Neuenburg. Gemäss der «L’Express» sind das fast die Hälfte der Steuereinnahmen von Unternehmen. «Ein Weggang von Philipp Morris hätte für unseren Kanton, der mit finanziellen Problemen zu kämpfen hat, dramatische Konsequenzen», sagt der freisinnige Ständerat Raphaël Comte.
Um den Wegzug zu verhindern, geniessen die Tabakmultis besondere Aufmerksamkeit. So setzte sich der Neuenburger Nationalrat Laurent Favre 2012 erfolgreich dafür ein, dass die Schweiz weiterhin Zigaretten nach Asien und in den Nahen Osten liefern kann, die mehr als 10 mg Teer, 1mg Nikotin und 10 mg Kohlenmonoxyd enthalten. Weil diese Produkte den Vorschriften der Europäischen Union nicht entsprechen, handelt die Schweiz mit der EU ein Abkommen über die öffentliche Gesundheit aus.
Es steht viel auf dem Spiel, denn diese «starken» Zigaretten machen über 80 Prozent der helvetischen Produktion aus. Die Folgen für die Schweiz bei einer allfälligen Standortverlagerung: der Verlust von 5000 Arbeitsplätzen und dutzenden Millionen von Steuereinnahmen in den betroffenen Kantonen und Gemeinden.
Raphaël Comte rechtfertigt die Schweizer Exportpolitik für Zigaretten: «Die EU kann uns nicht diktieren, was wir in Drittländern exportieren können oder nicht. Wenn Philipp Morris seine Zigaretten nicht in der Schweiz herstellt, tut er es in einem anderen Land. Ich meinerseits ziehe es vor, diese Produktion und diese qualifizierten Arbeitsplätze bei uns zu behalten.»
Pascal Diethelm kritisiert die Haltung der politischen Klasse scharf und erinnert daran, dass die Schweiz das einzige Land in Europa sei – zusammen mit Andorra und Monaco –, das die Anti-Tabak-Konvention der WHO noch nicht ratifiziert hat. «Das ist moralisch unhaltbar. Alle Staaten solidarisieren sich gegen diese Plage, die jedes Jahr sechs Millionen Tote fordert und weltweit als Ursache Nummer 1 für nicht übertragbare Krankheiten gilt. Die Schweiz macht bei der Bekämpfung nicht nur nicht mit, sondern zieht auch noch Profit daraus.»
Starke Lobby in der Politik
2013 hat Raphaël Comte eine parlamentarische Interpellation eingereicht, in der er verlangt, dass im neuen Gesetz über Tabakwaren auch Tabakprodukten, die möglicherweise geringere Risiken bergen, Rechnung getragen werde.
Den Vorwurf, als Sprachrohr von Philipp Morris zu agieren, lässt der Ständerat nicht gelten: «Ich behalte meine völlige Unabhängigkeit. Den Fragen der öffentlichen Gesundheit wird Rechnung getragen, wie das vom Parlament verabschiedete Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen zeigt. Es ist aber von Vorteil, vor der Abstimmung zu erfahren, welches die Auswirkungen für die Industrie sind. Deshalb unterhalten wir regelmässig Kontakt mit diesem Unternehmen.»
Pascal Diethelm sieht darin ein typisch schweizerisches Phänomen: «Weil die politischen Entscheide dermassen dezentralisiert sind, ist der Einfluss der multinationalen Konzerne auf lokaler Ebene enorm. Für die Behörden ist es sehr schwierig, sich einem solch wichtigen Steuerzahler und Arbeitgeber zu widersetzen. Die Tabakindustrie braucht keine Lobbyisten, die Politiker spielen diese Rolle von sich aus.»
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Dieser Artikel ist auf Swissinfo.ch erschienen. Übertragung aus dem Französischen: Gaby Ochsenbein
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
Heute 23.10.2014 im Blick: »…
Jetzt kippt sogar die Kippen-Industrie. Der US-Zigaretten-Gigant Renolds (bekannt durch: Camel) verbietet seinen Angestellten nun das Rauchen in Büros und Firmengebäuden.
Ab 2015 dürfen weder Zigaretten, Zigarren und Pfeifen in den Konferenzräumen, Fluren und Fahrstühlen geraucht werden. Zuvor hatte die Tabak-Firma den Rauch bereits aus Produktionshallen, Kantinen und Fitness-Räumen verbannt.
Nur E-Zigaretten sind weiter erlaubt
Einzige Ausnahme: E-Zigaretten, Schnupftabak und Snus.
Der Konzern begründet den Schritt. Ein Sprecher: «Wir wollen so auf die veränderten Rauch-Gewohnheiten in der Gesellschaft eingehen. Wir tun das Richtige zum richtigen Zeitpunkt.“ (dr) » Zitat Ende