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Nobelpreisträger Professor Edmund Phelps, Columbia University © Columbia University

Der Westen hat sich kaputt gewirtschaftet

Red. /  17 Wirtschafts-Nobelpreisträger werfen dem Westen vor, zu lange über seine Verhältnisse gelebt zu haben. Die Politik habe versagt.

Den USA und Europa stehe eine «jahrelange Stagnation» und damit ein «Abstieg gegenüber den aufstrebenden Nationen Asiens und Lateinamerikas» bevor. Eine jahrelange Stagnation könne zum Auseinanderbrechen der Euro-Zone führen. Das sagen nicht weniger als 17 Nobelpreisträger der Wirtschaft, die gegenwärtig in Lindau am Bodensee die Krise analysieren. «Welt online» hat sie befragt.
Schuldenkrise als epochales Problem
Die Politik müsse die Krise schon «rasch in den Griff bekommen», um zu vermeiden, dass sich die Staatsschuldenkrise «zum epochalen Problem des gesamten westlichen Systems» entwickelt.

«Der Westen hat die vergangenen Jahrzehnte über seine Verhältnisse gelebt und damit einen Teil seiner Zukunft bereits konsumiert», erklärt Edmund Phelps, Professor an der Columbia University. Im 2006 wurde er für seine Wachstumstheorie mit den Nobelpreis ausgezeichnet. Jetzt müsse der Westen für die Fehler der Vergangenheit büssen.
Politische Systeme als Hindernis
Das grösste Hindernis, um jetzt die richtigen Weichen zu stellen, ist für Phelps das politische System. In den USA blockierten sich Demokraten und Republikander gegenseitig. In Europa hätten die Regierungen «pervertierte Anreize» geschaffen: Um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln konnten sich die Staaten über vereinbarte Schuldengrenzen hinwegsetzen, Steueren tief halten oder senken. Ohne Steuererhöhungen seien die Schuldenberge jedoch nicht abzubauen, sagt der Nobelpreisträger.
«Die Schuldensucht der Staaten ruiniert das westliche System», sagt Wirtschaftsnobelpreisträger Eric Maskin. Die Politiker müssten aufwachen und sofort handeln, sonst seien jahrelange wirtschaftliche Turbulenzen nicht zu vermeiden.

Der Dollar verliert seine priviligierte Rolle

Was die Leitwährung betrifft, sei der Abstieg des Westens bereits besiegelt, erklären die Nobelpreisträger. Der Dollar werde seine Rolle als Weltreservewährung und Leitwährung unabhängig von allen politischen Entscheidungen langsam aber sicher verlieren.

Der Abstieg des Dollars sei mit der Ablösung des britischen Pfunds im 20. Jahrhundert und dem Sturz des Florentiner Guldens in der frühen Neuzeit zu vergleichen. Als Aufsteiger sehen die Nobelpreisträger den chinesischen Renminbi. Nobelpreisträger Edward Prescott glaubt, dass auch das Gold als Deckung wieder eine Rolle spielen werde.

Nährboden für Rechtsradikalismus
Der Umgang mit der Schuldenkrise sei eine ernsthafte Gefahr für die westlichen demokratischen Staatsformen, schreibt René Zeyer, Autor des Bestsellers «Bank, Banker, Bankrott», im Journal21. Die angehäuften Staatsschulden würden nicht zurückbezahlt, weil die traditionellen Parteien keine Lösung dafür hätten. Daraus folgert Zeyer: «Dieses Problem ist innerhalb des demokratischen Systems, wie wir es in Europa und den USA kennen, nicht mehr lösbar.» Spätestens seit der Finanzkrise ab 2007 habe die Classe politique gezeigt: «Wir kriegen es nicht in den Griff. Und wir pfeifen auf eine demokratische Legitimierung unseres Tuns. Wir kündigen den Konsens auf, das Fundament jeder Demokratie. Das schafft Raum für Bewegungen, die mit Demokratie im Zweifelsfall überhaupt nichts mehr am Hut haben.» Am schlimmsten sei die Behauptung der von Lobbyisten beeinflussten Politiker, dass es zur Rettung der Banken «keine Alternative» gäbe.
Es kommt der Ruf nach starken Männern
Die Anzeichen würden sich mehren, dass diese Probleme innerhalb der existierenden politischen und demokratischen Strukturen nicht lösbar sind. Das geschehe nicht über Nacht. Doch in den vier Jahren seit der Finanzkrise 2007 sei bereits Vieles unternommen worden, um das Schreckgespenst Entstaatlichung, Entdemokratisierung, Platz für einfache Lösungen und starke Führer mit Leben zu erfüllen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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