Der stille Salami-Tod der Schweizer Pressevielfalt
Jeder weiss, was Salami-Taktik ist: So wie man einen Salami scheibchenweise verzehrt, so kann man auch ein anvisiertes Ziel scheibchenweise erreichen: mit mehreren kleinen Massnahmen hintereinander. Und so gibt es auch den Salami-Tod, oft Tod auf Raten genannt. Anschauliches Beispiel: Die Pressevielfalt in der Schweiz stirbt den Salami-Tod. Scheibchenweise. Eine Zeitung nach der anderen gibt auf – oder wird bewusst wegrationalisiert, um Geld zu sparen, im besten gegenseitigen Einvernehmen der beteiligten Akteure.
Heute heisst das Opfer Langenthaler Tagblatt
Nach der gigantischen, von der Schweizer Wettbewerbskommission Weko aber – unverständlicherweise! – nicht beanstandeten Presse-Markt-Bereinigung im Grossraum Zürich nehmen die widerrechtlichen Marktabsprachen auch in anderen Regionen der Schweiz unbehelligt ihren Lauf (Infosperber berichtete ausführlich). Eine der letzten Regionen mit zwei Tageszeitungen zur Auswahl war der Oberaargau mit der Kleinstadt Langenthal. Hier konnten die Leserinnen und Leser zwischen der Regionalausgabe der Berner Zeitung BZ und dem Langenthaler Tagblatt, einem Kopfblatt der Solothurner Zeitung, wählen. Doch heute erscheint das Langenthaler Tablatt zum letzten Mal. Am Montag erhalten auch die Abonnenten des LT die Regionalausgabe der BZ.
Eine Absprache zwischen Tamedia und Verleger Peter Wanner
Warum soll es ausgerechnet in Langenthal noch zwei Tageszeitungen geben, wo doch deutlich grössere Schweizer Städte nur noch eine haben? Da könnte eine Menge Geld gespart werden. Die Frage lag schon jahrelang auf dem Tisch. Nur dass im Raum Langenthal, zum Glück für Langenthal, keiner der beteiligten Verlage aufgeben wollte. Doch als sich der Mehrheitsaktionär und Verleger der az-Medien Gruppe Peter Wanner für die zum Verkauf stehende Privatradio-Station «Radio 24» zu interessieren begann, schlug die Stunde der Tamedia. Der Deal gelang: Von der Tamedia ging Radio 24 an Peter Wanner und an die az-Medien Gruppe, von Peter Wanner und der az-Medien Gruppe auf der anderen Seite ging neben Geld auch das Langenthaler Tagblatt an die Tamedia. – Insider der az-Medien Gruppe wollen wissen, dass sich das az-Management zwar gegen diesen Deal ausgesprochen habe, aber PW, wie Peter Wanner branchenintern genannt wird, habe sich als Mehrheitseigentümer des Konzerns gegen das Management durchgesetzt.
Die Leserinnen und Leser sind die Verlierer
Die Gewinner dieses Deals sind, mindestens kurzfristig, beide involvierten Verlage: sie sparen Geld, weil es in Langenthal nur noch eine Lokalredaktion statt deren zwei braucht. Mehrere Journalisten und Journalistinnen können «abgebaut» werden. Mittelfristig ist die Tamedia die Gewinnerin, da sie ein Marktgebiet hat kaufen können, während die az-Medien Gruppe es verloren hat. Sichere Verlierer aber sind die Langenthaler und Langenthalerinnen, da sie jetzt lesen müssen, was ihnen aus der Berner Küche vorgesetzt wird. Eine Auswahl gibt es nicht mehr.
Ein Impressum mit Seltenheitswert
Im Impressum, jener kleinen «Rubrik», wo die Verantwortlichkeiten einer Zeitung einsehbar sind, zeigt bereits heute die abgesprochenen Machtverhältnisse. Denn schon heute steht im Langenthaler Tagblatt als Verleger der Grand Old Man des Berner BZ-Imperiums Charles von Graffenried, obwohl seine ehemalige Espace Media Groupe längst aus der Tamedia-Zentrale in Zürich dirigiert wird. Als Chefredaktor figuriert im Impressum bereits Michael Hug, Chefredaktor der BZ, obwohl die überregionalen Teile der Zeitung noch aus Solothurn und Aarau stammen. Und wenn man im Internet www.langenthalertagblatt.ch anklickt, kommt schon heute die regionale Ausgabe der BZ. Ob die darin angegebene Auflage gemäss WEMF (über 35’000 Exemplare) für das LT allein stimmt, bleibe dahingestellt. Der Übergang vom LT zur BZ Oberaargau erfolgt auf alle Fälle, wen wundert’s, ganz nach dem Prinzip der Salami-Taktik. Scheibchenweise. So wie auch die Pressevielfalt in der Schweiz scheibchenweise verlorengeht.
Geschichte und Geschichten
Am Mittwoch, 27. Juni 2012, erschien im Langenthaler Tagblatt eine ganze Seite mit der Geschichte des Langenthaler Tagblatts. Zum Deal zwischen az-Medien und Tamedia findet sich darin allerdings kein Wort. In der heutigen Ausgabe, der letzten des Langenthaler Tagblatts, sind erfreulicherweise nun auch etliche andere Geschichten zum LT zu lesen. Und es sind auch die Köpfe zu sehen, die zuletzt für das LT gearbeitet und nun – zumindest viele von ihnen – ihren Job verloren haben.
Die Schweizer Pressevielfalt stirbt den Salami-Tod. Heute ist ein weiteres Scheibchen weg. Schade.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Der Autor war von 2003 bis 2009 CEO der Vogt-Schild Medien Gruppe, zu der auch das Langenthaler Tagblatt gehörte.