Kommentar
Darf’s noch etwas mehr sein?
upg. Wie heute bekannt wurde, beabsichtigt der Bundesrat, das noch unbekannte Abkommen mit den USA zum Steuerstreit in zwei Wochen im Eilverfahren vom National- und Ständerat absegnen zu lassen. «Müssen die eidgenössischen Räte eine dritte fliegende Kröte schlucken (nach dem UBS-Deal und die Revision des Doppelbesteuerungsabkommens)?», fragt die NZZ in einem Kommentar und meint: «Nein, Zeitnot herrscht nicht. Die Schweiz darf ihre demokratischen Spielregeln nicht über Bord werfen.»
KOMMENTAR VON RENÉ ZEYER
Der Bundesrat hilft Grossbanken, sich auf der Schlachtbank den USA auszuliefern. Die zuständige Bundesrätin nennt diese Niederlage euphemistisch Einigung.
Souveränität über unser Recht
Das Schweizer Bankkundengeheimnis, falls das vergessen gegangen sein sollte, ist bis heute gültiges Gesetz. Es schützt die Privatsphäre des Kunden, der es natürlich auch für Steuerhinterziehung nützen kann. Es ist Bestandteil der Schweizer Rechtssouveränität. Daraus entstehende Konflikte mit anderen Nationen, die sich um ihr Steuersubstrat geprellt sehen, werden normalerweise mit zwischenstaatlichen Verträgen geregelt. Sonst gehen Souveränität und Rechtssicherheit zum Teufel.
Amis schlagen Bresche für andere Staaten
Sollten die durchgesickerten Informationen über die vom Schweizer Chefunterhändler Michael Ambühl vorgelegte «Einigung» mit den USA zutreffen, bedeutet sie das Ende des Finanzplatzes Schweiz, wie wir ihn kennen. Die Grossbank Credit Suisse und die Basler und Zürcher Kantonalbank werden unter einer Multimilliardenbusse ächzen. Diverse Privatbanken können ihre Schalter schliessen. Denn durch die Bresche, die die Amis geschlagen haben, werden natürlich zuerst die EU-Staaten, angeführt von Deutschland, anschliessend alle anderen Staaten der Welt marschieren.
Geschäftsmodell Steuerhinterziehung
Man kann zu Recht der Auffassung sein, dass die Tatsache, dass Beihilfe zu Steuerhinterziehung und Steuerhinterziehung selbst in der Schweiz kein Straftatbestand ist, bedenklich, moralisch verwerflich sei und dringend der Änderung bedürfe. Man kann auch zu Recht der Auffassung sein, dass dieses Geschäftsmodell von Schweizer Banken und Vermögensverwaltern spätestens seit dem Kniefall der UBS vor dem US-Fiskus obsolet geworden ist. Man kann befriedigt darüber sein, dass steuerhinterziehende reiche Schweinebacken, profitabel unterstützt von Schweizer Gnomen, ihr Schwarzgeld nicht mehr in der Eidgenossenschaft lagern werden.
Man sollte aber zumindest irritiert sein, dass sie es weiterhin in den USA selbst tun können. Oder auf den vielen prosperierenden Steueroasen in den Weltmeeren. Oder in Andorra, San Marino, im Vatikan, auf den Kanalinseln oder in Frankreich. Oder in China, Russland, Brasilien, Südafrika und, und, und.
Wichtigere Werte als die Bedeutung des Finanzplatzes
Man könnte sich nun in der Schweiz im wohligen Gefühl sonnen, dass auf diese Weise der Schweizer Finanzplatz sich mit einem Ablasshandel von vergangenen Sünden reinwäscht und zukünftig keinen US-, EU-, G20- oder OECD-Kunden mehr Steuerasyl gewähren wird. Auch wenn’s alle anderen weiterhin tun: Ich bin klein, mein Herz ist rein. Wunderbar. Allerdings: Wichtigere Werte als die Weiterexistenz des Finanzplatzes Schweiz gehen den Bach runter.
Dazu gehört die Rechtssouveränität eines unabhängigen Staates. Die Nicht-Erpressbarkeit seiner Regierung. Die wehrhafte Verteidigung eigener Interessen in einer globalen Finanzwelt.
Zu den Werten gehört auch die Sicherheit, über eine handlungsfähige, geeinte und im Rahmen des Möglichen nicht sonderlich ungeschickte und unfähige Regierung zu verfügen. Und die Garantie, dass es keine rückwirkenden Gesetze geben darf. Dass gestern noch legale Bankgeschäfte nicht rückwirkend für illegal erklärt werden.
Fünf Jahre Nichtstun
Vor fünf Jahren wurde bekannt, dass die UBS nicht nur ein existenzbedrohendes Problem, Riesenverluste in Derivatespekulationen, sondern zwei hat: Rechtsbruch, begangen von Mitarbeitern in den USA. Man könnte meinen, dass fünf Jahre genügen sollten, um sich die hier abzeichnenden Probleme des Finanzplatzes Schweiz zu lösen. In Wirklichkeit wurden Lösungen nur behauptet.
- 780 Millionen Busse für die UBS: Problem gelöst.
- Auslieferung von Tausenden von Kundendaten: Problem gelöst.
- Auslieferung von Tausenden von Mitarbeiterdaten: Problem gelöst.
- Selbstentleibung der Bank Wegelin: Problem gelöst.
- Neue Anklagen gegen leitende Mitarbeiter einer Privatbank und einer Anwaltskanzlei: kein Problem.
Die Schweizerische Bankiervereinigung und der Bundesrat arbeiten eine Globallösung aus, die das Problem mit den USA beilegt. Um Deutschland, Frankreich und andere EU-Staaten kümmern wir uns auch. Kommt schon gut, verhandeln, geben und nehmen, wie es sich unter zivilisierten Staaten, die sich gegenseitig respektieren, gehört. Pustekuchen.
Die Kapitulation
Alleine schon die geschätzte Summe von 10 bis 20 Milliarden Franken Busse nur an die USA wird dem Schweizer Bankenplatz schwer zu schaffen machen. Mit der rückwirkenden Auslieferung von Kunden- und Mitarbeiterdaten werden fundamentale Prinzipien eines Rechtsstaats beschädigt. Das ist eine Kapitulation und kommt davon, wenn man über Jahre hinweg eine klar und deutlich drohende Gefahr verdrängt. Weglächelt. Hofft, dass der Blitz doch bitteschön beim Nachbarn einschlagen möge und sich das Unwetter dann gefälligst verziehe.
Eine ganze Branche, der Bankenplatz, erweist sich als eine Ansammlung von Lenkern, die nicht analytisch und strategisch denken. Sauber assistiert von einer Landesregierung, die meint, verhandeln bedeute, sich über den Tisch ziehen zu lassen.
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Dieser Beitrag erschien auf www.journal21.ch
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. René Zeyer ist Autor des Bestsellers «Bank, Banker, Bankrott». Langjähriger Kommunikationsberater in der Finanzbranche.
Lieber Herr Zeyer, es war bereits im Jahr 2000 bekannt, was die USA mit dem Qualified Intermediary Agreement wollten und auf was sie abzielten. Das Problem wurde nicht nur weggelächelt, es wurde aus Arroganz und Gier einfach nicht wahrgenommen bzw. in einem Strategiepapier für die Zukunft des schweiz. Finanzplatzes einbezogen. Ja, es gibt eben worse case scenario und es werden nun noch ein paar real so wie die Sachlage heute aussieht. Schade, die teuren Management-Schulen der Banker in Harward, Columbia etc. haben nicht sehr viel für den Finanzplatz und die Schweiz gebracht! Natürlich für das persönliche Portemonaie schon und dies zulasten des Bürgers.
@R. Elmer, Herr Zeyer kann sich über den oberflächlichen und pauschalisierenden Groll und Neid auf die Banker hinwegsetzen und tiefergehend, differenziert und intelligent die Lage beschreiben: Es geht darum, dass unsere Rechts- und Demokratiesysteme bei der Lösung eingehalten werden. Diese würden in den Verhandlungen die Position der Schweiz stärken.
Jene, die unseren Finanzplatz schwächen, werden sich noch die Augen reiben, wenn sie realisieren, welche Steuerausfälle und hoch qualifizierte Stellensuchende sie damit verursacht haben. Leider funktionieren in unserem Land die checks and balances nicht und sie werden es nicht verantworten müssen.
Wer Ungerechtigkeit, und das ist der Raubtierkapitalismus, toleriert, fördert, wegsieht, oder davon profitiert, wird früher oder später die Quittung dafür bekommen und bluten müssen. Das gilt für alle. Auch für die Usa, welche im Moment andere für ihre Schande bluten lassen. Am Schluss, wenn die Usa mit allen abgerechnet hat, um sich selber finanziell über Wasser zu halten, ist sie faktisch ja Pleite, was ja jeder weis, wird es darum gehen, dass noch bei der Usa ausgemistet werden muss. Zuerst Weltpolizist Usa an allen anderen, und dann machen alle anderen dasselbe mit den Usa. Und am Schluss ist aufgeräumt, und wenn alle lang genug gebüsst haben, aber es leider nie bedauert, fangen sie wieder von vorne an mit dem gleichen Verhalten. Wer Geschichte studiert, bemerkt dass es schon seit der Odysee so läuft. Ich frage mich aber, das ständige widerholen von ein und derselben Misere dient dazu, irgendwann mal daraus zu lernen, damit es nicht wieder passiert. So zumindest kann man es im Kindergarten bei den Kleinen beobachten. Aber eben, an dieser Misere verdienen einige wenige zu gut daran, als dass ein Lernprozess zugelassen würde. Und so wird das grosse Monopoly weitergehen, bis es kracht.