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Bücher mit bitteren Bilanzen: Ob künftige Generationen aus unseren Fehlern lernen wollen? © Depositphotos/IS

Vor dem Ende der Verschwendung

Hans Steiger /  Wir haben alle über unsere Verhältnisse gelebt. Bekommt beim Ende der Verschwendung auch längst Vergessenes wieder eine Zukunft?

Zwei alt und mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit auch weise gewordene weisse Männer ziehen Bilanz: Wir haben ein Menschenleben lang über unsere Verhältnisse gelebt. Nun naht auch in unseren Breiten das Ende der Verschwendung. Da könnten Blicke in die nahe und fernere Vergangenheit nützlich sein und kommenden Generationen beim Gestalten einer besseren Zukunft helfen.

Von der Mangelgesellschaft …

Peter Baccini, emeritierter ETH-Professor, zu Beginn dieses Jahrhunderts auch Präsident der schweizerischen Akademie der Naturwissenschaften, eröffnet sein teilweise etwas abstrakt wirkendes Werk zur «Domestikation der Erde» mit einer persönlichen Erinnerung. Als kleines Kind wurde er mit kleiner Tasche zum Einkauf in den Quartierladen geschickt. Der war eng, doch es roch gut. An die Liste zu besorgender Lebensmittel waren mit einer Büroklammer farbige Marken mit Buchstaben und Zahlen befestigt. Die hatten mit dem Weltkrieg und der Rationierung zu tun, von deren Bedeutung der Knabe zumindest so viel wusste, dass er ahnte, «Kostbares» nach Hause zu tragen, das sich bei Verlust nicht einfach ersetzen liess.

Das war 1944 – mein Geburtsjahr! Also ist es ein noch älterer Zeitgenosse, der da Bilanz zieht und feststellt, was auch mich zunehmend umtreibt: Wir haben an privilegiertem Ort «den Übergang von der Mangelgesellschaft zur Überflussgesellschaft» miterlebt, dabei mitprofitiert, jedenfalls nicht verhindert, was an Konsequenzen eines grenzenlosen Konsums ziemlich früh absehbar war. «Ohne eigenes Zutun wurde ich in den 1950er-Jahren in eine Welt des exponentiellen wirtschaftlichen Wachstums katapultiert», schreibt Baccini, der seine Eltern noch «im unteren Drittel der sozio-ökonomischen Leiter» verortet. Mit für fast alle erschwinglichen Konsumangeboten ging es dann rasant voran.

Dass der «Club of Rome» in den frühen 70ern «den Gottesdienst der Wachstumsgläubigen» kurz störte, bekamen wir zwar mit, doch die Spirale drehte sich weiter, bald global primär von der Geldwirtschaft getrieben. Erst in den allerletzten Jahren zeigen sich häufende, oft neuartige Krisen deutlicher, dass es so nicht weitergehen kann und wird, dass «der Ressourcenhaushalt des Menschen» nicht nur «neu zu denken, sondern auch neu einzurichten» ist. Dabei könnte das meist etwas verblasste Erinnern helfen. Nach dem gestuften Abbau der kriegsbedingten Rationierung, so war auf der ersten Seite zu lesen, «begann ich zu begreifen, dass ich in den ersten zehn Lebensjahren in einer sogenannten Mangelgesellschaft gelebt hatte». War dies eine schlechte Zeit? «Hunger musste ich nie leiden.» Und die geschilderten Bilder des damals Erlebten wirken bunt.

… zum endlosen Wachstum?

Schwieriger sind die systematischen Darlegungen, welche «die metabolische Entwicklung in der Domestikation des Planeten durch Homo sapiens» zeigen sollen – von der Steinzeit bis in die Gegenwart. Drei entscheidende historische Transformationsschritte in mehreren Bereichen werden streng, mit Grafiken, Karten und vielen Zahlen versehen beschrieben. Aber wo es konkret etwa um den Umgang mit dem Feuer oder um «Haus, Hof und Handel» geht, wird die Geschichte nachvollziehbar, ja spannend. «Tempel, Könige und Untertanen» prägten erste Stadtstaaten. Da geht’s um Domestikation von Menschen. Schon da habe die Führungselite geschätzt nur rund ein Prozent der Bevölkerung umfasst. «Seefahrer, Aufklärer und Maschinenbauer» trieben den Prozess weiter … Bereits bekannte und neue Elemente sind zu einer Kulturgeschichte gefügt, die vorab den Umgang mit vorhandenen oder zu beschaffenden Ressourcen untersucht und schliesslich in eine harte Kritik des heutigen Konzernkapitalismus mündet. Durch viele komplexe Verflechtungen wurde die industrielle Produktionsweise global dominant. Während das frühere, als solar-agrarisch bezeichnete System beispielsweise den Energiekonsum pro Kopf über Tausende von Jahren durch effizientere Technik nur um das Fünf- bis Zehnfache steigerte, nahm er in der jüngsten Transformation im Nu massiv zu, die Materialflüsse noch weit extremer. Trotzdem ortet Baccini in seinen Schlussfolgerungen keine «Energiekrise», sondern eine «Infrastrukturkrise», zumal reicher Länder. Auch sonst gäbe es eigentlich kaum Mangel, «aber wir praktizieren Verschwendung und falsche Anwendungen von Materialien im Güterhaushalt.» Stichworte für den jetzt einzuschlagenden Weg: Kreislaufwirtschaft, gemeinschaftliche Entscheidungen, Respektierung auch ökologischer Grenzen.

Regierende stünden im neuen Jahrtausend weltweit vor der Herausforderung, zuerst selbst zu begreifen und dann auch ihren Gesellschaften glaubhaft zu erklären, dass der lange propagierte Weg, durch Wachstum noch zusätzlichen Wohlstand zu gewinnen, nicht mehr weiterführt. Die akute «Polykrise» kann dabei helfen, weil sie Anschauungsmaterial liefert. Schon früher hätten Menschen – «nicht immer freiwillig» – auf Freiheiten verzichtet, «damit Wohlstand in Sicherheit und mit Solidarität möglich bleibt». Aber einfach wird der Ausstieg aus einer Überflussgesellschaft nicht. Zwar weisen die UN-Nachhaltigkeits-Ziele trotz innerer Widersprüche eine gute Richtung, das vom Autor propagierte praktische Modell der Energiewende auf der dänischen Insel Samsø mag instruktiv sein, er bringt Gebote der Ethik sowie Chancen der Technik ins Spiel. Doch dann folgt eine Warnung, «die vordringliche Transformation des Ressourcenhaushalts» nun nicht mit dem Argument zu blockieren, dafür wäre ein zentral koordiniertes, alle verpflichtendes Gesamtkonzept nötig. Dann bliebe «Homo sapiens in seinen selbst gebauten Fallen» gefangen.

Sapiens scheiterte im Siegen

Beim mir von vielen früheren Werken her vertrauten Werner Bätzing wird der moderne Mensch zum Homo destructor – auf dem Buchcover ohne, im Innern mit Fragezeichen. Auch hier wird eine ganz am Anfang der Entwicklung einsetzende Geschichte unserer Gattung aufgerollt und die Bilanz ist düster: Wir waren für das lange davor bestehende Leben auf unserer Erde unter dem Strich verheerend. Sammlerinnen und Jäger, welche der Autor nicht wie ich hier tendenziös gendert, störten und stören kaum. In den ersten Phasen ihrer Landwirtschaft nahm die Biodiversität sogar zu. Erst als der Sapiens die wildwüchsige Natur besiegen wollte, sich zur Krone der Schöpfung erklärte und danach alles überall rücksichtslos auszubeuten begann, setzte die kommende Katastrophe ein. Nach oft radikaler Zerstörung traditioneller Strukturen brauchten die Menschen in den Industriegesellschaften neue kulturelle Identitäten. Die wurden in Städten entwickelt und durch Wissenschaft und Technik zur Blüte gebracht. Modernität, Innovation, Fortschritt!

Je entfernter die ländlichen Räume, desto mehr wurden sie zur vormodernen Welt degradiert, zumal die agrarische Handarbeit als hinterwäldlerisches Tun taxiert, «sinnlos und idiotisch». Klar, dass das für den Alpenforscher und Kulturgeographen, der 2020 mit «Das Landleben» ein eindrückliches Werk zu «Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform» vorgelegt hat, keine erfreuliche Entwicklung ist. Nun macht er anhand der rundum verschärften Krisen deutlich, wie und weshalb sie sich global derart häufen. Den einst kleinen Gemeinschaften und Lebensräumen entwachsenen Menschen werden im neuen, vorab durch sie geprägten Jahrtausend die Grenzenlosigkeit und Naturferne zum Verhängnis. Es fehlt der Zusammenhalt, Verankerung, das Gefühl der Mitverantwortung für einen Ort in der Welt. Wie sind da Fehlentwicklungen zu korrigieren? Eine «allmähliche» Transformation, das zeigt sich bei den international vereinbarten Klimazielen, erweist sich als zu langsam, eine «plötzliche Revolution» ist nicht zu erwarten. Wie auch, durch wen? «Dann scheinen nur noch Verzweiflung und Resignation übrigzubleiben.»

Aber dies kann natürlich nicht der Schlusspunkt sein. Es folgt eine an sich nicht gerade schöne Vision von «Teilzusammenbrüchen», die «alle Pfeiler der modernen Welt» treffen und schwächen könnten: Geld, Markt, Staat, Recht, Macht, Globalisierung. Die davon betroffenen Menschen würden wieder auf Elemente der Vormoderne zurückgeworfen, Selbstversorgung und Tausch, Familie und Nachbarschaft. Das wäre zwar keineswegs problemlos, könnte jedoch Freiräume eröffnen. Wo mehr alternative Ansätze vorhanden sind, lassen sich eher gemeinsame neue Wege finden. Darum sollten jetzt Leitideen durchdacht, diskutiert und erprobt werden, um im Notfall nicht nur Sachzwänge das Geschehen bestimmen zu lassen.

Eine neue Selbstbegrenzungskultur

Auch hier sind ausdrücklich «keine Patentrezepte» angesagt und ein Zwischentitel (ver)heisst «weder Technokratie noch Ökoromantik». Zentral muss das «richtige Mass» sein. Ziel wäre für Bätzing eine künftige Gesellschaft «mit kultureller Selbstbegrenzung». Dafür liesse sich beispielsweise aus früher bäuerlicher Naturnutzung lernen. Zurück zu den Anfängen können wir nicht, aber der Homo destructor wäre zu überwinden, samt dem Gedanken, «dass alles möglichst schnell, einfach, billig und bequem gehen müsse». Und die Staatsform? Wie uns «der aktuelle Krieg Russlands gegen die Ukraine» wieder zeige, bringen «die wirtschaftlich-politischen Konkurrenzen um Macht und Herrschaft zwischen Staaten, Staatengruppen und Staatenblöcken nicht nur sehr viel Leid über die Menschen», sie belasten zudem die Umweltsituation der Erde zusätzlich schwer. Also stellt sich die Frage, ob es in der Geschichte einmal Strukturen gab, «bei denen Macht und Herrschaft nicht im Zentrum standen.» Auch da wären die «noch egalitären Bauerngesellschaften», besonders deren genossenschaftliche Selbstverwaltungsmodelle beachtenswert.

Soll ich dazu wirklich die vorletzte Fussnote des reichlich mit Anmerkungen versehenen Bandes zitieren? «In Europa gibt es im modernen Staat der Schweiz noch zahlreiche Relikte, die heute noch an die Struktur der mittelalterlichen Eidgenossenschaft erinnern.» Nun, es ist wohl allen klar, dass der in den 90er-Jahren auch am Geographischen Institut der Uni Bern wirkende Professor damit nicht unseren Bauernverband oder gar die hochdestruktive Schweizerische Volkspartei meint.

  • Peter Baccini: Die Domestikation der Erde. Raubbau, Verschwendung, Sparsamkeit. Haupt, Bern 2023, 293 Seiten, ca. 35 Franken
  • Werner Bätzing: Homo destructor. Eine Mensch-Umwelt-Geschichte. C.H. Beck, München 2023, 463 Seiten, 4 Karten, ca. 45 Franken

Dieser Text erscheint auch in der «P.S.»-Frühjahrs-Buchbeilage.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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Führt Wachstum zu Glück oder Crash?

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2 Meinungen

  • am 12.03.2024 um 12:08 Uhr
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    Es gibt einen stillen Aspekt des zivilisatorischen Niedergangs: einen deutlichen Rückgang der Bevölkerungszahlen. Ich schreibe absichtlich still, da es im Hintergrund geschieht, ohne dass allzu viele von uns davon Notiz nehmen oder den Ernst der Lage erkennen. Wenn die meisten Menschen über den Zusammenbruch von Zivilisationen sprechen, stellen sie sich Massenopfer (Hungersnöte, Kriege, Naturkatastrophen) vor, die die Hälfte der Bevölkerung in fast einem Augenblick auslöschen. Natürlich sieht das in Hollywood-Filmen sowohl furchteinflößend als auch extrem mächtig aus, aber nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Vor allem nicht, wenn es um unsere moderne Zivilisation und ihren sich entfaltenden Untergang geht. Eine radikal andere Welt entfaltet sich vor unseren Augen, und wir sind nicht im Geringsten vorbereitet..

  • am 12.03.2024 um 12:26 Uhr
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    Wenn ich mich richtig erinnere, hat der Chefredaktor von Infosperber einst ein Buch geschrieben mit Titel: «Das Geschwätz vom Wachstum». Aber bisher kenne ich kaum einen Politiker, der nicht alle Probleme mit «Wachstum» lösen will. Wir wachsen auf von 5 auf 9 Milliarden Menschen in 50 Jahren und verstehen nicht, um wieviel der Planet in dieser Zeit gewachsen ist, um exakt null Prozent. Die Energiereserven des Planeten, Kohle, Gas und Öl sind in Milliarden von Jahren entstanden, beliebig lange haltbar, verbrennen wir in nur 100 Jahren und liefern dafür CO2 an die Athmosphäre bis die überschüssige Sonnenenergie, die wir nicht zu nutzen wissen, nicht mehr abgestrahlt werden kann. Putins Milliarden Jahre altes Gas war halt billiger. Nun wird der Planet den Verbrauch seiner «Krone der Schöpfung» selbst begrenzen. Ende der Verschwendung!

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