Strommarkt-Öffnung dient als Beschäftigungsprogramm
Der Bundesrat «bekräftigte» gestern Freitag seinen Plan, den nationalen Strommarkt für alle Endverbraucher zu öffnen; bisher haben Kleinfirmen und Haushalte noch keinen Marktzugang. Damit will er weiterhin tun, was er schon in seiner Vorlage, die er vor einem Jahr in die Vernehmlassung schickte, «vorgeschlagen» hatte.
Doch bis der Bundesrat – wenn überhaupt – seine Bekräftigung umsetzen kann, gibt es noch viel zu tun. Denn beim gestrigen Beschluss handelt es sich erst um einen «Grundsatzentscheid». Als nächstes muss das zuständige Energiedepartement unter Leitung von Simonetta Sommaruga «ein Aussprachepapier mit Eckwerten für eine vollständige Marktöffnung sowie weiteren Anpassungsbedarf beim Stromversorgungsgesetz unterbreiten».
Bei diesen «Eckwerten zum Strommarkt» will es unsere Landesregierung aber nicht bewenden lassen. Gleichzeitig soll Sommarugas Departement eine «Vorlage zur Anpassung des Energiegesetzes ausarbeiten», welches das Volk im Mai 2017 mit seiner Zustimmung zur «Energiestrategie 2050» letztmals revidierte. Die «Eckwerte» für diese Revision hat der Bundesrat gestern festgelegt.
215 Millionen Franken Subventionen pro Jahr für Strom
Mit der Änderung des Energiegesetzes – und nun verlassen wir das Amtsdeutsch der gestrigen Medienmitteilung – verfolgt der Bundesrat das Ziel, die Stromproduktion aus Wasserkraft und anderer erneuerbarer Energie weiterhin zu subventionieren, aber etwas anders als heute. Konkret: Die Regierung plant eine Verdoppelung der Investitionsbeiträge an grosse Wasserkraftwerke; das verstärkt unter anderem den finanziellen Anreiz, das umstrittene Stauseeprojekt Trift oder die Vergrösserung des Grimsel-Stausees im Berner Oberland zu realisieren.
Zudem sollen die ablaufenden Einspeisevergütungen (KEV) für Wind- und Solarkraftwerke ersetzt werden durch Einmalvergütungen, die neu mittels Ausschreibungen, also «marktnäher» zugeteilt werden. Diese «Fördermassnahmen», sprich Subventionen, für die zusätzliche Produktion von Strom kosten laut Rechnung des Bundesrates insgesamt 215 Millionen Franken pro Jahr. Sie sollen weiterhin mit dem Ertrag aus dem «Netzzuschlag» gedeckt werden, also einer Abgabe von 2,3 Rappen pro Kilowattstunde Strom.
Arbeitsbeschaffung für einen virtuellen Markt
Bis die Kombi-Vorlage aus Strommarkt-Öffnung und Stromproduktions-Subventionierung alle Etappen überwunden hat – von den Eckwerten über den Gesetzesantrag des Bundesrates und die Gesetzesberatung in beiden Parlamentskammern bis hin zur absehbaren Volksabstimmung – dürften noch zwei bis drei Jahre ins Land ziehen. Es bleibt also viel Zeit, um zu fragen: Was bringt’s, wenn es vollendet wird?
Als erstes schafft die Multivorlage viel Arbeit, zunächst in der Bundesverwaltung und im Parlament, später in den Marketingabteilungen der Stromfirmen, die um Stromkonsumenten buhlen, sowie in den Haushalten, die künftig entscheiden müssen, welchen Stromanbieter sie auswählen sollen, um ihre Stromrechnung um einige Franken pro Jahr senken zu können. Zweitens erhöht die Regulierung des auf Kleinverbraucher erweiterten Marktes sowie die Zuteilung der Produktionssubventionen die Bürokratie auf allen Ebenen. Und drittens würde die Schweiz damit eine der Bedingungen erfüllen, welche die EU für den Abschluss eines gemeinsamen Stromabkommens voraussetzt. Allerdings kommt dieses Stromabkommen nur zustande, wenn das Schweizer Volk vorher dem umstritten Rahmenabkommen mit der EU zustimmt.
Energiekonsum senken statt subventionieren
Brächte die gestern präsentierte Kombination aus Strommarkt und Subventionen für die Stromproduktion nur Bürokratie und administrativen Leerlauf, könnte man achselzuckend darüber hinweg sehen. Doch sie führt auch inhaltlich in die falsche Richtung. Denn ein Markt für das einheitliche Produkt namens Elektrizität, das an ein Leitungsnetz und damit an ein natürliches Monopol gebunden bleibt, ist an sich schon paradox. Und die Subventionierung der Stromproduktion, sei es aus erneuerbarer oder nicht erneuerbarer Energie, fördert die Verschwendung.
Das widerspricht dem vorrangigen Ziel der nationalen Energiestrategie, nämlich den gesamten Energie- sowie den Elektrizitätsverbrauch in der Schweiz zu senken. Als Mittel dazu versprach der Bundesrat – als zweite Etappe dieser Energiestrategie – einst eine Lenkungsabgabe. Diese würde das Energiesparen ohne Subventionen rentabel machen. Doch das Parlament versenkte vor zweieinhalb Jahren einen Verfassungsartikel für eine Energie-Lenkungsabgabe nach dem bewährten Prinzip «Ja, aber so nicht».
Die nationale Verschwendung ist auch im globalen Vergleich von Belang. Denn pro Kopf der Bevölkerung konsumiert die Schweiz heute doppelt so viel Primärenergie (exklusive den hohen Importüberschuss an grauer Energie) und viermal so viel Elektrizität wie der Durchschnitt der Weltbevölkerung. Vorrangiger als die Organisation einer virtuellen Wahlmöglichkeit für ein Produkt, das an allen Steckdosen gleich heraus kommt, wäre eine Anpassung an den tieferen globalen Durchschnittsbedarf; Denn würden alle Menschen so viel Energie und Strom beanspruchen wie die Schweiz es tut, würde der Planet noch viel schneller geplündert, als er heute schon wird.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Es sollte jetzt darum gehen, den CO2 Preis symmetrisch auf Strom, Benzin, Gas und Öl an den Konsumenten weiterzureichen! Meiner Meinung nach wichtiger, als den Strom generell zu verteuern, das behindert die Energiewende beim Heizen und der Mobilität. Herr Guggenbühl hat schon recht, die Liberalisierung bringt der Mehrheit der Konsumenten wenig oder nichts (oder noch weniger) aber hilft vielleicht den Stromunternehmen beim Geschäften mit Strom! Was optimistisch gesehen hilfreich sein könnte in (lokalen) Stromengpässen … Schliesslich ist die Verteuerung des Stroms, sei es durch den CO2 Preis, erhöhte Gewinne der Stromunternehmer oder auch Organisations-/Administrationskosten generell lenkend zur Verkleinerung des Verbrauchs. Wenn zusätzlich derCO2 Preis markant differenziert im Endpreis, bin ich bereit, ein paar Kröten zu schlucken!
Daniel Bürgi
Vielen Dank – einmal mehr – an Hanspeter Guggenbühl. Leider gibt es neben ihm nur wenige Journalisten in diesem Land (sie schreiben alle für Infosperber), die willens und fähig sind, die seit 30 Jahren auf Durchmarsch befindliche Pseudo-Marktwirtschaft in den strategischen Monopolbereichen zu durchschauen und begreiflich zu machen. «Denn ein Markt für das einheitliche Produkt namens Elektrizität, das an ein Leitungsnetz und damit an ein natürliches Monopol gebunden bleibt, ist an sich schon paradox.» schreibt Guggenbühl. Dasselbe trifft auf das kranke Gesundheitswesen zu, wo man es noch bunter treibt, indem durch ein staatliches Obligatorium ein privater, gewinnorientierter Markt für Geschäftemacher jeder Art geschaffen wurde – und die tatsächlich erzeugten Verluste schönfärberisch als Prämienverbilligung bezeichnet werden. Vom Steuerzahler berappt. Aehnliches bahnt sich in der Kommunikationsbranche und im Postwesen, wo sich – abgesichert durch staatlich gesicherte Märkte – jeweils noch zwei Anbieter ein Monopol teilen und – selbstredend – die Preise zu Lasten der ausgelieferten Kunden absprechen (werden). Wann endlich werden wir uns von dieser neoliberalen Plünderungsstrategie verabschieden und durch einen erstarkten Staat die Deckung der Grundbedürfnisse unserer Gesellschaft ohne Gewinnmaximierung, aber zu kostendeckenden Preisen durch Verstaatlichung zurückerobern? Am 20. Oktober sind Wahlen.
Vielen Dank Herr Guggenbühl! Subventionen sind der Tod des Marktes und Treiber des Konsums. Lenkungsabgaben vermindern Konsum und auch Umweltbelastung. Arbeitsplätze, wo viel unsinnige Bürokratie immer weiter um sich greift, werden damit überflüssig. Das BIP sinkt und somit ‹liebt› keine Industrie Lenkungsabgaben. Subventionen schaffen Märkte für Produkte die wir sonst nie kaufen würden. – Weiter so Infosperber!
Danke Herr Guggenbühl
Erlauben Sie mir noch einige Ergänzungen. Gemäss Bundesamt für Bevökerungsschutz gilt als grösstes Risiko der Schweiz ein lang andauernde Strommangellage. Es handelt sich dabei um ein europäisches Problem. Die Strombilanz im gesammten europäischen Stromnetz muss jede Sekunde im Gleichgewicht sein. Um die Schweiz ab zu sichern, müsste sie sich im Notfall innert Minuten, aus dem europäischen Stromnetz auskoppeln können und sich dann autark selbst versorgen. Dafür fehlen der Schweiz ab Januar 2019, jedoch über 4 GW (entspricht z.B. 1000 Windkraftwerken und Speichern). Mit zusätzlicher Stromproduktion kann das Ziel nie erreicht werden. Es braucht vor allem eine Ausschreibung von mindestes 4 GW zu- und vor allem abschlatbarer Regelleisung (z.B. abschaltbare Stromvebraucher). An diesem Markt muss jeder Stromkonsument teilnehmen können. Die wirksamste Massnahme ist und bleibt jedoch, eine Energie-Lenkungsabagbe mit Rückerstattung pro Kopf. Die meisten Politiker scheinen zu vergessen, dass Strom ganz einfachen physikalischen Gesetzen folgt und niemals politischem Klamauk, von welcher Partei auch immer.