Schwache Konsumentenrechte sind ein Schweizer Schandfleck
Sarkastisch zählt die Konsumentenschutz-Geschäftsleiterin (früher SKS) im neusten «Blickpunkt» auf, «wozu unser Parlament im vergangenen Jahr fähig war»:
- Es machte die Anschrift der Preise noch intransparenter und erlaubte irreführende Rabatte
- Es senkte den Wert der Waren, die zollfrei eingeführt werden dürfen
- Es erhöhte alle Preise der bisher günstigsten Medikamente
- Es verhinderte, dass die Nährwertangaben auf Nahrungsmitteln verständlich deklariert werden müssen
Kommentar von Stalder: «Die Wünsche von Konzernen und Industrie flossen ungehindert in die politische Arbeit ein und bestimmten die Gesetzestexte.»
Um wenigstens manchmal als «Spielverderber» erfolgreich zu sein, brauche der Konsumentenschutz mehr finanzielle Unterstützung.
Weniger Schutz als im Ausland
Im neuen Gönner-Magazin «Blickpunkt» nennt der Konsumentenschutz drei Beispiele von vielen, die aufzeigen, dass sich die Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz schlechter wehren können und schlechter geschützt sind als in Nachbarländern.
Schweizer Opfer des VW-Skandals gingen leer aus
Volkswagen hatte im grossen Stil Abgasvorrichtungen manipuliert. Nachdem der Skandal aufflog, verloren die als «umweltfreundlich» angepriesenen Autos schlagartig an Wert. Doch im Gegensatz zu vielen anderen Ländern erhalten Konsumentinnen und Konsumenten in der Schweiz keine Entschädigungen. Auch ein Strafverfahren gegen VW und den Schweizer Importeur Amag hat die Bundesanwaltschaft im letzten Herbst eingestellt.
Anders in den USA: Dort musste VW wegen illegaler Abgasmanipulationen mehr als zwanzig Milliarden Dollar Entschädigungen zahlen. Auch in den meisten Ländern Europas erhielten Geschädigte dank gemeinsamen Klagen eine finanzielle Entschädigung.
Nicht aber in der Schweiz. Die Geschädigten gehen leer aus und bleiben auf dem Schaden sitzen.
Der Konsumentenschutz erklärt, warum: «Wem hierzulande Unrecht widerfährt, kann nicht einfach vor Gericht klagen, weil die Hürden bezüglich Kosten und Beweislast für einzelne Personen viel zu hoch sind.»
Der Konsumentenschutz versuchte es trotzdem und reichte im Namen von rund 6000 Geschädigten am Handelsgericht Zürich eine Schadenersatzklage gegen VW und Amag ein. Die Klage landete beim Bundesgericht. Dieses wies die Klage jedoch aus formellen Gründen ab. Der Konsumentenschutz dürfe nicht stellvertretend prozessieren.
Für Sara Stalder ist klar: «Bei Massenschäden müssen Geschädigte mit dem Instrument einer Gruppenklage gemeinsam vorgehen können. Der VW-Skandal ist nur ein Beispiel von vielen Massenschäden. Auch bei Telekomanbietern, Versicherungen oder Banken konnten Geschädigte ihr Recht in den letzten Jahren nicht durchsetzen.»
«Unsägliches Verzögern des Parlaments»
Die meisten demokratischen Länder räumen Konsumentinnen und Konsumenten ein gemeinsames Klagerecht ein (Sammelklagen). In der Schweiz hatte der Bundesrat bereits 2013 festgestellt, dass im Schweizer Recht eine Lücke bestehe. «Seither folgte ein unsägliches Verzögern und Verweigern des Parlaments», kritisiert der Konsumentenschutz. Tatsächlich fanden vor allem «Volksvertreter» der SVP und FDP immer wieder neue Vorwände wie «Klageflut», «Untergang von KMUs» oder «amerikanische Zustände», um Gruppen- oder Sammelklagen in der Schweiz zu verhindern.
In Tat und Wahrheit ist der Schweizer Gesetzesvorschlag himmelweit von amerikanischen Zuständen entfernt.
Siehe Infosperber vom 19. Oktober 2024: Sammelklagen «passen nicht zum Schweizer Rechtssystem»
Irreführung mit «Aktionspreisen»
Seit dem 1. Januar 2025 dürfen Geschäfte ihre Kundschaft «regelrecht in die Irre führen», beanstandet der Konsumentenschutz. Es geht um die vielen Aktionspreise und Rabatte.
Manipulativ sind Läden, die mit «bis zu 50% Ermässigung» locken. Denn diese Aussage ist bereits zutreffend, falls nur ein einziges Produkt oder nur wenige Produkte um 50 Prozent herabgesetzt wurden und alle anderen nur um 10 Prozent.
Bisher durften die Geschäfte und Online-Läden grosszügige Aktionen mit Rabatten von 30, 50 oder sogar 70 Prozent nur anpreisen, wenn das herabgesetzte Produkt vorher mindestens doppelt so lange zum Normalpreis angeboten wurde. Der Konsumentenschutz erklärt es an einem Beispiel.
Bot ein Geschäft eine Kaffeemaschine während vier Wochen zu einem um 50 Prozent reduzierten Aktionspreis an, so musste das Geschäft die Kaffeemaschine vorher während mindestens acht Wochen zum doppelten «Normalpreis» verkauft haben.
Diese Halbierungsregel hat das Parlament seit Anfang Jahr abgeschafft. Die Geschäfte müssen ein Produkt jetzt lediglich einen Monat lang zum «Normalpreis» verkaufen und dürfen es nachher während einer unbeschränkten Zeit zum «Aktionspreis» anbieten.
Beispiel: Bietet ein Geschäft eine Kaffeemaschine während 30 Tagen zu einem stark überhöhten Preis an, darf es diese Kaffeemaschine nachher während einer beliebig langen Zeit als «Schnäppchen» mit «hohem» Rabatt anpreisen («zeitlich unbegrenzt für alle nachträglichen, aufeinanderfolgenden Preissenkungen»). Sogar wenn das Geschäft die Kaffeemaschine «temporär» aus dem Sortiment nimmt, darf es bei Wiedereinführung weiterhin den «Aktionspreis» verwenden (Preisbekanntgabeverordnung, Art. 16,3bis).
Erfahrungsgemäss kontrollieren weder kantonale Behörden noch das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco, ob diese ohnehin schwer zu kontrollierende Regel eingehalten wird. Käme je ein Kontrolleur vorbei, müsste der Anbieter nur «glaubhaft machen», dass er sie eingehalten hat (Preisbekanntgabeverordnung, Art. 16,2).
Ganz anders in den EU-Ländern: Dort muss sich der Aktionspreis immer auf den günstigsten Preis beziehen, der innerhalb der letzten 30 Tage für das Produkt tatsächlich verlangt wurde.
Ein Beispiel: Das Geschäft darf die Kaffeemaschine während maximal 30 Tagen zum gleichen Aktionspreis verkaufen. Danach muss das Geschäft die Werbung mit dem Aktionspreis stoppen oder den Preis weiter senken.
Bundesrat will die Werbesprüche «klimaneutral» oder «klimapositiv» weiterhin erlauben
Bisher waren Werbeaussagen zu Umweltvorteilen von Produkten, wie «öko», «nachhaltig», «klimaneutral» oder «recycelbar» und entsprechende Labels, kaum reguliert. Eine neue Richtlinie der EU soll nun das verbreitete «Greenwashing» in der Werbung verbieten. Sie wurde im EU-Parlament und im Ministerrat bereits einmal behandelt («Green Claims Directive (GCD)» oder auf Deutsch «Richtlinie über Umweltaussagen»)*. Die Richtlinie sieht folgendes vor:
- Allgemeine Umweltaussagen wie «grün», «öko», «nachhaltig», «klimaneutral» werden in geschriebenem oder gesprochenem Text bis auf wenige Ausnahmen verboten. Nur mit einer klaren Spezifizierung und Begründung sind solche Umweltaussagen weiterhin zulässig.
- Kennzeichnungen mit einem Nachhaltigkeitssiegel, das weder von staatlichen Stellen stammt noch auf einem Dritt-Zertifizierungssystem beruht, sind in Zukunft verboten. Zudem müssen Labels allen Unternehmen zugänglich sein und ihre Bewertungsmassstäbe sind öffentlich auszuweisen.
- Es darf nicht mehr ein gesamtes Produkt mit einer umweltfreundlichen Eigenschaft beworben werden, wenn diese Eigenschaft nur einen Teil des Produkts betrifft.
- Produktbezogene Klimaaussagen, die auf dem Ausgleich von Treibhausgasemissionen beruhen, werden in die Liste unlauterer Praktiken aufgenommen und damit stark eingeschränkt.
Diese neue Richtlinie der EU sollen alle EU-Länder 18 Monate nach Inkrafttreten in ihre Gesetze und Verordnungen aufnehmen.
In der Schweiz macht der Bundesrat keine Anstalten, das «Greenwashing» in der Werbung zu unterbinden. Er «beobachtet die Entwicklung», ist aber der Meinung, dass die bestehenden Vorschriften wie das Gesetz über unlauteren Wettbewerb (UWG) in der Schweiz genügen.
Konsumentenschutz auf Gönnerinnen und Gönner angewiesen
Irreführende Werbung ist ein Dauerärger. Ob Werbeaussagen wahr sind, bewerten Gerichte viel grosszügiger als Aussagen in einem Zeitungsartikel. Angeblich wüssten Konsumentinnen und Konsumenten, dass die Werbung oft irreführt und lügt.
Das ist stossend. Werbung sollte nicht in erster Linie verführen dürfen, sondern wahrheitsgetreue und lautere Aussagen machen müssen. Dann lassen sich Konsumentinnen und Konsumenten weniger täuschen und kaufen jene Produkte und Dienstleistungen, welche die Bedürfnisse wirklich befriedigen. Nur so könnte die Werbung ihren volkswirtschaftlichen Zweck erfüllen. Die zweckmässigsten Produkte würden sich durchsetzen. Anbieter von geeigneten Produkten würden belohnt, schlechte Produkte aus dem Markt verdrängt.
Doch in kaum einem anderen Land Europas erhält der Konsumentenschutz so wenig finanzielle Unterstützung des Staates. In Deutschland gibt der Staat pro Kopf der Bevölkerung etwa zwanzig Mal so viel Geld für Konsumentenschutz aus[1]. Dort erhalten Verbraucherverbände spezielle Subventionen, um Firmen, die mit unlauteren Werbemethoden arbeiten, abzumahnen. Wenn diese Firmen nicht einlenken, riskieren sie einen öffentlichen Gerichtsfall. Das System hat sich bewährt.
In Frankreich erhalten Konsumentenorganisationen pro Kopf der Bevölkerung etwa fünfmal so viel Geld[2]. Dabei ist die Schweiz erst noch dreisprachig (ohne romanisch).
In Österreich[3] erhält allein der Verein für Konsumenteninformation viermal so viel staatliche Unterstützung wie die Konsumentenorganisationen in der Schweiz.
Ungleiche Spiesse
In der Schweiz sollte das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) die Konsumenten ähnlich gut schützen. Das bleibt jedoch Theorie. Denn dem Konsumentenschutz fehlt das Geld, um gegen unlautere Machenschaften von Konzernen vorzugehen – der einzelnen Konsumentin und dem einzelnen Konsumenten erst recht.
Dagegen haben Konzerne, Wirtschaftsverbände und -organisationen die Mittel, um behördliche Verfügungen, die sie betreffen – auch zur Werbung –, mit Hilfe teurer Anwaltskanzleien vor Gericht anzufechten. Falls nötig bis vor Bundesgericht. Das hält viele Bundesämter und kantonale Behörden davon ab, mit ihren Verordnungen die Gesetze konsequent durchzusetzen.
Anliegen der Konsumentinnen und Konsumenten drohen «schachmatt gesetzt» zu werden, sagt Geschäftsleiterin Sara Stalder. Sie ruft dazu auf, Gönnerin oder Gönner des Konsumentenschutzes zu werden. Mit einem Jahresbeitrag von 60 Franken sei man dabei. Als Gegenleistung bietet der Konsumentenschutz unter anderem eine kostenlose Beratung per Telefon und E-Mail.
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*Hier stand anfänglich fälschlicherweise, die Richtlinie sei bereits endgültig beschlossen.
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FUSSNOTEN
[1] In der Schweiz beschränkt sich die staatliche Förderung von vier Konsumentenorganisationen in drei Landesteilen auf etwa 1 Million Franken jährlich.
In Deutschland erhalten nationale und regionale Verbraucherorganisationen staatliche Mittel in Höhe von mehreren hundert Millionen Euro:
- Institutionelle Förderung durch den Bund und die Länder:
Der Verbraucherzentralen-Bundesverband (VZBV), als Dachorganisation der 16 Verbraucherzentralen, wird vom Bund gefördert. Im Jahr 2023 betrug das Budget des VZBV rund 57,9 Millionen Euro, wobei ein Grossteil aus Zuwendungen des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz stammt. - Projektmittel:
Zusätzlich zur institutionellen Förderung erhalten Verbraucherorganisationen Projektmittel vom Bund für spezifische Massnahmen. Im Jahr 2023 haben zehn Bundesministerien 32,8 Millionen Euro für Projekte an den Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) bereitgestellt.
Landesförderungen:
Die Verbraucherzentralen der einzelnen Bundesländer werden überwiegend durch die jeweiligen Landesregierungen finanziert. Beispielsweise erhält die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen im Jahr 2025 eine institutionelle Förderung von 23,69 Millionen Euro vom Land.
In Niedersachsen wurde die Finanzierung durch eine gesetzliche Abgabe auf Glücksspieleinnahmen gesichert, was dort zu einer Fördersumme von 4,2 Millionen Euro im Jahr 2025 führt.
[2] In Frankreich erhalten Verbraucherschutzorganisationen eine bedeutende staatliche Unterstützung. Es gibt 18 nationale Verbraucherorganisationen mit Klagebefugnis wie UFC–Que Choisir oder CLCV. Diese Organisationen müssen bestimmte Kriterien erfüllen, um akkreditiert zu werden, darunter finanzielle Unabhängigkeit von gewerblichen Interessen.
Zusätzlich finanziert die EU das Netzwerk der Europäischen Verbraucherzentralen (2023 mit 8,8 Millionen Euro).
[3] In Österreich erhielten Verbraucherorganisationen, insbesondere der Verein für Konsumenteninformation (VKI), eine bedeutende staatliche Unterstützung. Für den VKI beläuft sich die jährliche Förderung durch das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) auf 4,8 Millionen Euro. Der VKI nutzt diese Mittel für Verbraucherberatung, Vergleichstests, Rechtsdurchsetzung (z. B. Musterprozesse) und die Marktüberwachung. Österreichs zuständiger Bundesminister Johannes Rauch erklärte 2023 dazu: «Verbraucherinnen und Verbraucher haben zwar viele Rechte, Unternehmen halten sich aber leider viel zu oft nicht an die geltenden Regeln. Geschädigten mit Beratung und wenn notwendig Klagen zur Seite zu stehen, ist gerade in Zeiten hoher Inflation und der zunehmenden Verlagerung des Handels ins Internet wichtiger denn je. Der VKI ist dabei ein zuverlässiger Partner.»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der Autor leitete während zehn Jahren die Konsumentensendung «Kassensturz» und war von 2000 bis 2010 Mitglied des Stiftugsrats der SKS.
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