Glosse
Ran an den Food!
Niemand soll in die Pfanne gehauen werden, doch zwischen Veganern, Vegetariern, Flexitariern, Karnivoren und sogar Allergikern (Frauen mitgemeint) tobt ein ideologischer Meinungsstreit um die «richtige» Ernährung. In saturierten Gesellschaften wird das Essen unweigerlich zur wissenschaftlich gestützten Religion. Forschungsstudien bestärken jeweils die Argumente und wiederholen meist schon verschimmelte Befunde: «Knoblauch und Tomaten sind gut fürs Herz», «Fleisch forciert den Klimawandel» oder aber «Gesunde Kantinenkost senkt die krankheitsbedingten Abwesenheitskosten». Die Gesundheitskiller und Umweltsünder auf dem Teller kennen wir zur Genüge, alles können wir hingegen nicht in einen Topf werfen.
Nun will also FOOD ZURICH während elf Tagen eine Art ökumenische Messe für die Gläubigen des Essens und Trinkens feiern. Das Festival ist letzten Donnerstag gestartet und bietet an über hundert Anlässen kulinarische Action – vom Street Food über Urban Gardening bis zur städtischen Trüffelsuche, vom Backen mit Blut über Chabis-Kochkurse bis hin zur Haute Cuisine. Dabei werden keineswegs kleine Brötchen gebacken, es wird mit der grossen Kelle angerichtet. Zürich Tourismus und namhafte Partner aus der Gastronomie haben sich zusammengeschlossen, um die «blühende Food-Szene zu fördern und klarer zu positionieren». Stadträtin Claudia Nielsen unterstützt die Veranstaltung und beschwört dabei die 2000-Watt-Gesellschaft, wofür die Ernährung eine zentrale Rolle spiele.
Kulinarisch weit über den Tellerrand hinaus
Doch hinsichtlich 2000-Watt-Gesellschaft kommen wir zwangsläufig in Teufels Küche. Unsern ökologischen Fussabdruck bei der Ernährung hinterlassen wir hauptsächlich und zunehmend im Ausland. Wir schauen nämlich gerne über den heimischen Tellerrand hinaus. Der Selbstversorgungsgrad ist zwar in den letzten 20 Jahren konstant bei 60% geblieben, doch der Import von Nahrungsmitteln und Getränken hat sich in dieser Zeit verdoppelt. Immer beliebter sind Gourmetprodukte, so hat die Einfuhr von Meeresfrüchten seit 2005 um über die Hälfte zugenommen (Anteil am gesamten Fischimport 17%). Geradezu sprunghaft in die Höhe geschnellt ist der Verkauf exotischer Früchte. Heute geht mehr als die doppelte Menge an Mangos, Papayas, Passions- und anderen Tropenfrüchten über den Ladentisch als vor zehn Jahren.
Auch Avocados sind ein wahrer Renner. Allein in der Schweiz landen 12‘000 Tonnen im Jahr auf dem Teller (mit jährlicher Zuwachsrate von 20%). Der globale Heisshunger auf die schmackhafte Frucht führt allerdings im weltweit grössten Anbauland Mexiko zu weitflächigen, illegalen Abholzungen. Doch «Food Zurich» hat auch gegen die kulinarische Globalisierung etwas in der Pfanne und propagiert den gastronomisch völlig vergessenen Chabis. Das wohl urchigste aller eidgenössischen Gemüse ruft bei mir leider kötzerige Kindheitstraumata wach, mahnte mich doch die Mutter jeweils streng, den Röseli- oder Rüebchöli oder gar den Suurchabis (wie es sich gehört) endlich aufzuessen. Doch das Revival des krautigen Grünzeugs scheint heute ein gastronomischer PR-Schlager zu sein. Am «Food Zurich» kreieren über 70 Restaurants ureigene Chabis-Variationen, freilich nicht immer ganz auf schweizerische Art, wie z.B. Champagner-Chabissuppe (Helvetia, Zürich) oder Kimchi Rainbow Roll aus Korea (Yooji’s, Zürich).
Gehobene Kulinarik als nachhaltiges Geschäft
Bei «Food Zurich» lässt man wirklich nichts anbrennen, um die «kulinarische Vielfalt der Stadt zu zelebrieren» und auch die «regionale und saisonale Küche kreativ ins Zentrum zu stellen». Wichtigste Sponsoren sind aber nicht etwa die Stadtküche, Pfarrer Siebers Sozialwerke oder die Heilsarmee, sondern Food Market Jelmoli, die Feinkostfirma Bianchi und das berüchtigte Limonadenimperium Coca-Cola. Diese grosszügigen Betriebe, nicht gerade bekannt als karitative Organisationen, wollen garantiert ihren Umsatz erhöhen – mit Sushi-Thon und Cola Zero. Im weltweit bekanntesten Getränk, 1886 erstmals von einem US-Apotheker gemischt, stecke mehr Schweiz, als man denke, wirbt Coca-Cola. Bianchi wiederum setzt (im Inserat) auf Exotik, gibt sich aber sozial: Black Tiger Crevetten (in «nachhaltiger Aufzucht» in Vietnam) seien eine Delikatesse, die sich jeder leisten könne.
Die hiesige gehobene Kulinarik will also endlich dauerhaft zum grossen Geschäft werden. Obwohl umgarnt von Marketing und omnipräsenter PR, so dumm wie Bohnenstroh sind wir nicht und merken genau: Mit Werbespeck fängt man die kulinarischen Mäuse. Dazu können jetzt noch alle ihren Senf geben.
(Quellen: Bundesamt für Statistik, Eidgenössische Zollverwaltung, Bundesamt für Umwelt, Schweizerischer Obstverband)
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Der langjährige Wissenschaftsjournalist Beat Gerber publiziert heute auf seiner satirischen Webseite «dot on the i», auf der diese Glosse erschien.
Merci Beat
Sauber den Food Circus seziert, der ja nur in Zürich vorkommen kann, denn nur die schwirren auf den oberen (abgehobenen) Drähten (das ist CH-Rassismus). Das ist gute Journalisten-Arbeit.
Dr Faschte Waihe der Basler Qualität wurde bisher nirgends, nicht einmal im hochgelobten und versnobten Zürich überboten.
Xoph vI
Fein, aber wenn ich «Faschte Waihe» ohne Bindestrich lese, verstehe ich «fascht e Waihe».