Penny zeigt auf, wie teuer Lebensmittel eigentlich sind
Von den einen wurde die Aktion als Greenwashing verurteilt, von den anderen gelobt: Im deutschen Discounter Penny gab es eine Woche lang neun Produkte zum «wahren Preis». Das heisst, inklusive der Umweltkosten. Artikel wie Wiener Würstchen wurden fast doppelt so teuer.
Gemessen an der öffentlichen Aufmerksamkeit war die «Wahre Preise»-Aktion ein voller Erfolg. Zahlreiche Medien berichteten. «Ein reiner PR-Gag», kritisierte Foodwatch, «Greenwashing», wetterte der Bauernverband. Eine gute Aktion, um die Problematik anschaulich zu machen, aber nicht genug, sagten Greenpeace und der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).
Neue Aufregung um alten Ansatz
Die Preise von neun aus 3000 Produkten eine Woche lang zu ändern, ist keine Revolution. Der Rewe-Konzern, zu dem Penny gehört, hat es damit aber geschafft, eine Diskussion anzustossen.
Unterstützt wurde der Konzern dabei von Forschenden der Technischen Hochschule Nürnberg und der Universität Greifswald, die den «Aufpreis» für Klima, Boden, Wasser und Gesundheit berechneten.
Die Hochschulen bauten damit auf jahrelanger Forschungsarbeit auf. Den Begriff der Wahren Kosten, True Costs oder TCA (True Cost Accounting) gibt es schon länger und auch für andere Produkte wie Kleider.
Grundsätzlich werden dabei alle externen Kosten eines Produkts zusammengerechnet. Und da kommt einiges zusammen. Die Auswirkungen der Lebensmittelproduktion umfassen zum Beispiel Antibiotikaresistenzen, Artensterben, Fettleibigkeit, Klimawandel-Überschwemmungen, Kinderarbeit, Pestizidvergiftungen, Wasserverschmutzung und vieles mehr.
Wir bezahlen alle Lebensmittel zweimal
Externe Kosten in Form von Subventionen, Infrastruktur-, Gesundheits- oder Sanierungskosten werden meist von der Allgemeinheit getragen. Je nach Herkunft der Ware hier oder in anderen Ländern. Wir bezahlen also alles, was wir essen, zweimal. Einmal an der Kasse und einmal auf anderem Weg. Würde das Verursacherprinzip strikt angewandt, müsste der Handel diese Kosten tragen – und damit wieder der Konsument und die Konsumentin. Nur anteilig nach Produkt.
Dazu, wie das konkret in der Schweiz aussieht, gibt es eine Untersuchung der ETH Zürich von 2020, auf Basis der Preise von 2018. Die Lebensmittelwissenschaftlerin Alessa Perotti hat darin die externen Kosten des gesamten Schweizer Lebensmittelmarkts berechnet. Exemplarisch beleuchtete sie auch die konkreten Kosten von acht Lebensmitteln.
Auf nationaler Ebene hätten Lebensmittel 2018 im Schnitt pro ausgegebenem Franken 87 Rappen mehr kosten müssen. Den grössten Anteil daran hatten ernährungsbedingte Gesundheitskosten.
Im Lebensmittelvergleich fand Perotti, dass Rüebli und Äpfel günstiger und Rindfleisch viel teurer sein müssten, um die externen Kosten abzubilden.
In ihre Berechnung einbezogen hat die Wissenschaftlerin über 100 Faktoren, darunter zum Beispiel Landdegradation oder Lohndiskriminierung. 28 Faktoren hat sie höher gewichtet als andere. Und nicht für alles gebe es auch schlüssige Daten, führt sie in ihrer Arbeit auf.
Zu diesem Schluss kommen auch die Forschenden aus Deutschland, die die Umweltkosten für Penny berechnet haben. Um die Nachhaltigkeitskosten für sämtliche Lebensmittel zu berechnen, fehlten die wissenschaftlichen Grundlagen, sagte die Nachhaltigkeitswissenschaftlerin Amelie Michalke von der Universität Greifswald zur deutschen «Tagesschau». Damit antwortet sie unter anderem auf die Kritik des Bauernverbands an der Auswahl der neun «Penny-Lebensmittel», die Rewe getroffen hat.
Auch wenn 2018, das Jahr, aus dem Perottis Preise stammen, schon fünf Jahre her ist: Die Schlüsse, zu denen die Forschenden kommen, sind die gleichen. Zum Beispiel, dass Produkte tierischen Ursprungs weit höhere Umweltkosten verursachen als pflanzliche. Oder dass der Umweltaufpreis für Bio-Produkte geringer ausfällt als für konventionell hergestellte Lebensmittel. Hier am Beispiel einer True-Cost-Berechnung der Universität Augsburg von 2020:
An manchen Erfassungskriterien gibt es auch berechtigte Zweifel. Wie, zum Beispiel, beziffert man Tierwohl? Perotti hat sich für Tierleidensjahre (Animal Years suffered), entschieden, gibt aber an, dass das kein umfassendes Kriterium ist.
Kritik an True Costs und an der Penny-Aktion gibt und gab es reichlich. Foodwatch beispielsweise kritisierte, dass «wahre Preise» in der Realität von den grossen Lebensmittelhändlern gemacht würden. Teilweise, ohne an jede Kostenwahrheit gebunden zu sein. Die Verbraucherzentralen kritisieren, dass Discounter Preise anscheinend willkürlich erhöht haben, ohne dass die Erhöhung durch die Inflation wirklich gerechtfertigt ist.
Umweltorganisationen wollen die Preise dem wahren Wert näherbringen
Verbraucherzentralen und Umweltorganisationen begrüssen aber auch, dass den wahren Kosten Aufmerksamkeit gewidmet wird, und erhoffen sich einen Impuls für die öffentliche Diskussion. Die beteiligten Forschenden sehen es ähnlich.
Mit «True Costs» sind auch politische Forderungen verbunden. Etwa die, die Mehrwertsteuer für Lebensmittel mit niedrigen externen Kosten zu senken und für solche mit hohen externen Kosten anzuheben, um sie dem «wahren Preis» näherzubringen. Tobias Gaugler von der Uni Greifswald, die mit Penny zusammengearbeitet hat, erklärt im Interview mit der «Tagesschau» Ansatz, Absicht und mögliche politische Folgen.
Die «wahren Preise» sind dazu eine Vorschau darauf, was passieren würde, wenn die Kosten in den Lieferketten wirklich dort bezahlt würden, wo sie entstehen. Die beiden an der Penny-Aktion beteiligten Hochschulen werden nun auswerten, wie oft Konsument:innen den Preisaufschlag bei Penny auch wirklich bezahlt haben. «Selten», nimmt der Wissenschaftler an.
Neun Produkte sind aus Konsumentensicht auch nicht sehr herausfordernd. Wer den Aufpreis nicht bezahlen will, verzichtet für eine Woche auf das entsprechende Produkt, oder er kauft es in einem anderen Laden. Gekostet habe die Aktion Penny einen kleinen Millionenbetrag, berichtete die «Tagesschau». Trotzdem kamen 370’000 Euro «Umweltgeld» zugunsten eines Klimaschutzprojekts und zum Erhalt familiengeführter Bauernhöfe im Alpenraum zusammen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Jedes Mal, wenn ich mit den Argumenten im Artikel komme in Diskussionen, ist die Mehrheit der Reaktionen irritiert, unverständig oder ablehnend, eher selten einsichtig.
Dabei ist es einfach eine glasklare Sache: alle Folgekosten einbezogen, sind unsere Lebensmittel zu billig.
Im Artikel steht:
«Den grössten Anteil daran hatten ernährungsbedingte Gesundheitskosten.» Bei den abgebildeten Würstchen sind die ernährungsbedingten Gesundheitskosten extrem davon abhängig wieviel man davon isst, gilt z.B.auch für Cola.
Das ganze ist wie bei Corona und dem Klimawandel wieder so ein Murks wo man Daten in ein unübersichtliches Modell steckt und am Ende soll die «Wahrheit» rauskommen. Bei den Umweltkosten muss ein zusätzliches Modell herhalten, um den Schaden zu beziffern. Als ob z.B. Landdegenration so pauschal bewertet werden kann.
Gemessen an andern Grossverteilern,ist die Werbung gut.Sie regt zum Nachdenken an.
Schau ich unter Unglücksfälle und Verbrechen einen Film, schüttet mir ein Basler Lebensmittelhändler mitten im Film bestimmt e Chüebu grüeni Farb a Grieng. Franz Hohler müsste heute singen: Es si Aui so grüen.
Statt Wienerli würde Penny aber besser ein richtiges Stück Fleisch berechnen.
Für Wienerli wird kein Tier geschlachtet, ein Teil des Inhalt könnte in der Entsorgung auch Kosten.
Man probierte es mit Kühen, aber die wurden wahnsinnig.
Ich gestehe, ich esse auch Wienerli, aber ich reagiere mit Internetsucht und schreibe wirres Zeug.