Palmöl, Fische und Textilien: «Öko» ist nicht immer Öko
Nachhaltigkeitszertifizierungen halten oft nicht, was sie versprechen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Stiftung «Changing Markets». Wenn überhaupt, sei der Nutzen vieler Öko-Labels minimal, stellte sie fest.
Die Stiftung will in Zusammenarbeit mit anderen Nichtregierungsorganisationen auf nachhaltige und umweltfreundliche wirtschaftliche Entwicklungen aufmerksam machen und sie fördern. «Wir sind nicht generell gegen Zertifikate», stellte eine Wissenschaftlerin der Organisation gegenüber dem österreichischen Sender ORF fest. Dennoch müsse mehr getan werden, um sie auch zu rechtfertigen.
Umweltschutzorganisationen wie Greenpeace bemängeln schon länger, dass Nachhaltigkeits-, Transparenz- und Sozialanforderungen trotz Zertifizierung oft auf der Strecke bleiben.
«Changing Markets» hat drei verschiedene Produktkategorien unter die Lupe genommen: Palmöl, Fisch und Textilien. In allen drei Kategorien werden die natürlichen Ressourcen voll ausgenutzt oder übernutzt, die Gefahr einer dauerhaften Umweltschädigung ist gross. Menschen- und Arbeitsrechtsverletzungen sind in allen drei Branchen verbreitet (Infosperber: «Palmöl-Produktion: Zu zweit arbeiten für einen Lohn»)
Kein Durchblick im Label-Wald
Nachhaltigkeitslabels gibt es für fast jede Produktkategorie – zu viele, um als Konsument daraus schlau zu werden. Ganze 463 Gütezeichen listet der «Ecolabel Index» auf, sechs zum Stichwort «Fisch», sieben zu «Baumwolle» und 22 zu «Textil». Darunter auch Zertifikate für Eigenmarken, wie die Labels Naturaline von Coop und Migros ECO.
Fischerei-Labels: Offener Brief als letzter Reformversuch
Die beiden grossen Fischerei-Labels MSC (Marine Stewardship Council) und FSO (Friend oft he Sea) schafften es es immerhin, dass zertifizierte Produkte «nicht gänzlich illegal» gefischt würden, fasst die Studie zusammen. Doch das Ziel, die Umwelt durch Fangmethoden nicht zu zerstören, den Beifang einzuschränken und die Fischbestände nicht zu übernutzen, werde nicht erreicht.
Vergleich der Fischereilabels MSC und FSO (Changing Markets)
Teilweise wurde Fang zertifiziert, der unter Missachtung lokaler Gesetze gefangen worden war (Infosperber berichtete bereits vor einem Jahr: «Öko-Labels retten dezimierte Fische nicht»). Als eine Art letzter Versuch haben 60 Nichtregierungsorganisationen im Januar 2018 in einem offenen Brief an MSC dringend um Reformen gebeten.
Palmöl: Label ohne Durchschlagskraft
Die wachsende Palmölproduktion in den beiden grössten Herkunftsländer Indonesien und Malaysia geht mit Entwaldung, Einschränkung der Artenvielfalt und der übermässigen Produktion von Treibhausgasen einher. Das bekannteste Label RSPO helfe dagegen wenig.
Überblick über Nachhaltigkeitszertifizierungen bei der Palmölproduktion (Changing Markets) Bild in grösserer Auflösung
Andere Labels sind ebenfalls wenig wirksam oder zu klein, um Einfluss zu haben. Weichen Palmöl-Produzenten auf Länder in Afrika und Lateinamerika aus, entstehen dieselben Probleme.
Textilien: Verwirrende Vielfalt, wenig Wirkung
Das grösste Problem im Textilbereich ist der Einsatz von giftigen Chemikalien, die daraus resultierende Umweltverschmutzung und Belastung der Konsumenten. Bei Textilien gibt es auch die grösste Anzahl an Nachhaltigkeitsinitiativen – etwa 100 hat «Changing Markets» gezählt.
Eines der bekanntesten ist der Higg-Index, dem «Changing Markets» kein gutes Zeugnis ausstellt. Unter anderem fehle es an nachvollziehbaren Einschätzungen und Transparenz.
Zertifizierungen in der Textilindustrie (Changing Markets) Bild in grösserer Auflösung
Regelungen des Labels BCI (Better Cotton Initiative) haben sogar dafür gesorgt, dass Bauern von Biobaumwolle auf genetisch veränderte Baumwolle umgestellt haben, weil das Label Pestizide erlaubt. Andere Zertifizierungen, wie GOTS oder das EU-Ecolabel seien auf dem richtigen Weg, hätten aber Lücken, beispielsweise bei der vollständigen Abdeckung der Produktionsprozesse.
Von Greenpeace ausgezeichnet wurden die Labels IVN Best, GOTS (Global Organic Textile Standard) und Made in Green von Oeko-Tex. Für noch gut befand Greenpeace die Labels Bluesign, das Cradle to Cradle Siegel, den Blauen Engel und das EU-Ecolabel.
Die Kompromiss-Falle
Öko-Siegel seien grösstenteils eine Täuschung der Konsumenten, urteilt «Changing Markets» abschliessend, sie könnten sogar Schaden anrichten. Freiwillige Initiativen mögen eine gute Ergänzung nationaler und internationaler Gesetze sein, so die Studie. Ersetzen könnten sie gesetzliche Regelungen jedoch nicht.
Die Gründe dafür bedingen sich laut «Changing Markets» teilweise gegenseitig. In allen drei untersuchten Branchen wächst die Nachfrage. Nur ein kleiner Teil der Produkte ist zertifiziert. Die Zertifizierungs-Organisationen versuchen, möglichst viele Unternehmen einzubinden, um an Grösse und Bekanntheit zu gewinnen. Um dies zu erreichen, werden die Standards so weit gesenkt, dass sie nicht mehr nachhaltig wirksam sind.
Zu wenig Kontrolle und fehlende Transparenz
Dazu kommt die Komplexität der globalen Lieferketten, die Transparenzbestrebungen entgegensteht, zu wenige und zu schwache nationale und internationale Regelungen sowie mangelnde Unabhängigkeit der zertifizierenden Stellen. Unternehmen, die grössere Anstrengungen unternehmen, um nachhaltiger zu produzieren, werden so bestraft, der Standard weiter gesenkt.
Als grösste Kritikpunkte identifiziert «Changing Markets» neben der Freiwilligkeit der Initiativen
- Vage Angaben zu den Anforderungen und Zielen der Zertifizierung
- Mangelnde Kontrolle und fehlende Durchsetzungsmechanismen
- Unwirksame Beschwerdeverfahren
- Unzureichende Mitgliedschafts- und Beteiligungsregeln
- Schwache Verfahren zur unabhängigen Bewertung der Wirkung einer Zertifizierung
- Interessenkonflikte für die Zertifizierungsorganisationen
- Mangelnder Anreiz zu kontinuierlicher Verbesserung.
Generell deckten viele Labels nicht die gesamte Produktionskette ab und auch bei der Transparenz hapere es, was es teilweise unmöglich mache, Fortschritte auch festzustellen.
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Diesen Beitrag hat Daniela Gschweng aufgrund eines Gutachtens von «Changing Markets» und anderer Quellen erstellt. Grosse Medien in der Schweiz haben bisher nicht darüber berichtet.
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DOSSIER: «Fair Trade» und «Bio»
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Rundumschläge gegen Labels sind beliebt – und billig zu haben. Dass Labels eine wichtige Aufgabe erfüllen, indem sie in praxi vorausnehmen und vormachen, was eine vernünftige Gesetzgebung dereinst regeln soll, gerät dabei aus dem Blickwinkel.
Die wohlfeile Behauptung, auch Labels machten Fehler, erspart dem bequemen Konsumenten die Anstrengung, eine Wahl zu treffen. Damit werden nicht nur die Bemühungen der Leute hinter den Labels gefährdet, sondern auch die notwendigen Gesetze auf noch später verschoben.
Natürlich teile ich fachlich fundierte Kritik an Labels wie MSC oder Friend of the Sea (FOS – bitte richtig schreiben, macht sonst nicht den Eindruck seriöser Recherche), und natürlich hat jedes Label (auch z.B. Bio) Verbesserungsbedarf. Es wäre jedoch fatal, das Kind mit dem Bad auszuschütten. Erstens bewegen sich selbst anspruchsvolle und seriöse Labels nicht im luftleeren Raum, sondern im realexistierenden Markt. Und zweitens ist der verbreitete Hang, von einem Label die Erfüllung aller möglichen Ansprüche zu erwarten, inklusive Heiligenschein, den man sich beim Kauf des entsprechenden Produkts aufs Haupt setzen dürfte, jenseits von dem, was man selber zu tun bereit wäre. Ich teile die Sorge, dass das Gebaren des MSC zunehmend kontraproduktive Auswirkung auf die Bemühungen um nachhaltige Fischerei haben kann; aber ich äussere diese Sorge, auch wenn ich sie selber manchmal scharf akzentuiere, immer in der Hoffnung auf konkrete Verbesserung.
Die Leute hinter einem Label wie MSC sind ja nicht dumm; aber sie brauchen manchmal eine kritische Unterstützung als Gegenpol zu den Marktzwängen, denen sie – wir wir alle – leicht unterliegen.