Insekten in Lebensmitteln – mehr zur neuen EU-Verordnung
Die EU-Verordnung über die Zulassung einiger Insektenprodukte in Lebensmitteln sorgt für anhaltende öffentliche Diskussion. In Folge unseres Artikels «EU lässt Insektenmehl im Kuchenteig zu» haben uns zahlreiche Kommentare und Fragen unserer Leserinnen und Leser erreicht. Deshalb widmen wir uns diesem Thema nochmals ausführlich.
Mehrfach wurden wir gefragt, worin der Nutzen liege, Insektenmehl in Lebensmitteln zu verarbeiten, was wir nicht eindeutig beantworten können. Was wir sagen können:
Wozu soll Insektenmehl gut sein? – Protein
Insektenpulver in Lebensmitteln wie Teigwaren erhöht den Proteinanteil. In Ländern mit Nährstoffknappheit kann das sehr sinnvoll sein. Das Angebot proteinreicher Lebensmittel in der Schweiz ist mehr als ausreichend. Die Bevölkerung nimmt durchschnittlich mehr Protein zu sich als nötig, Proteinmangel kommt nur bei speziell bedürftigen Gruppen vor. Zusätze oder Produkte aus Hülsenfrüchten wie Erbsen oder Linsen können den Proteinanteil von Nudeln und Backwaren zudem genauso erhöhen wie Insektenmehl.
Nudeln mit Insekten zu «strecken» lohnt sich nicht
Abschreckend dürfte der hohe Preis sein. Lebensmittel aus oder mit Insekten sind relativ teuer, fand eine Untersuchung der deutschen Verbraucherzentralen, die 2020 das Angebot des Einzelhandels unter die Lupe genommen haben. Sie untersuchten dabei 16 Snacks, neun Riegel, vier Sorten Teigwaren, zwei Müslisorten und eine Süssspeise, die aus Insekten bestanden oder solche enthielten.
Die «Berliner Zeitung» fand 2019 Preise von 160 bis 180 Euro für ein Kilogramm Mehlwürmer, rund 250 Euro für ein Kilo Buffalowürmer und über 500 Euro pro Kilogramm Wanderheuschrecken. Auch wenn die Preise bei steigender Produktion fallen dürften, ist das im Vergleich zu einem Kilo Mehl oder Kartoffeln viel. Für die lebensmitteltechnischen Eigenschaften eines Produkts wie Bindungsfähigkeit sind Insekten auch nicht von Vorteil. Wie viel Insektenmehl Produkte enthalten dürfen, ist teilweise durch Vorschriften begrenzt.
Muss ich mir Sorgen machen, dass demnächst Insekten in allen Nudeln sind?
Die meisten Lebensmittel mit Insekten sind bisher keine Grundnahrungsmittel, also verzichtbar. Das hat auch das österreichische Faktenchecker-Portal «Mimikama» festgestellt, das sich in gleich fünf ausführlichen Artikeln mit Insekten in Lebensmitteln beschäftigt hat.
Dass Insekten-Food noch selten ist, hat laut «Mimikama» mit Allergien zu tun. Und zwar solchen, die womöglich noch nicht entdeckt wurden. Aus Furcht vor Klagen hielten sich Hersteller deshalb zurück, bis entsprechende Studien abgeschlossen seien.
In der Schweiz ist mit mehr Insektenprodukten so bald eher nicht zu rechnen. Bei Coop Schweiz, das diverse Snacks mit Insekten verkauft, seien die Knabber-Krabbler eher ein Nischenprodukt, sagt das Unternehmen. Die Nachfrage nach Insektenprodukten sei nicht gross, aber stabil.
Pläne, Produkte mit Insektenbestandteilen wie Grillenmehl als Coop-Eigenmarke einzuführen, gebe es derzeit nicht, sagt Coop auf Nachfrage. Die Migros hat den Verkauf von Insekten wegen mangelnder Nachfrage bereits Ende 2021 eingestellt. Es braucht also niemand Angst zu haben, dass es bald keine insektenfreien Lebensmittel mehr zu kaufen gibt.
Klimafreundlich: Grille schlägt Rindvieh, Ei und Milch
Gekauft und verzehrt werden Insekten bisher wohl eher aus Neugier – oder als Klimastatement. In der Klimabilanz sehen sie sehr gut aus. Gegenüber Nutztieren wie Rindern haben sie einen grossen Vorteil: Sie sind kleiner und werden zum grössten Teil oder im Ganzen verwertet.
Die «Berliner Zeitung» zitiert unter anderem eine Untersuchung der Universität Wageningen, die Mehlwürmer auf ihre Klimawirkung untersucht hat. Pro Kilogramm Mehlwurmprotein entstehen demnach 14 Kilogramm CO2 -Äquivalente. Bei Rindfleisch sei es acht- bis vierzehn Mal so viel, bei Protein aus Huhn, Milch und Eiern das Doppelte.
Wie genau sieht nun die Klimabilanz der Krabbeltiere aus?
Vereinheitlichen lässt sich diese Bilanz nicht. Vor allem, weil Insekten es warm mögen. Wo gezüchtet wird und wie geheizt wird, macht deshalb einen grossen Unterschied bei der Kosten- und Klimabilanz.
Seine Grillen benötigten etwa zwölfmal weniger Futter als Rinder, um ein Kilogramm Masse aufzubauen, sagt der Hersteller Timo Bäcker der Kölner Firma Swarm gegenüber der «Berliner Zeitung». Bäcker bezieht seine Grillen aus Thailand. Der Fütterungsvorteil sei aber so gross, dass er die Transportkosten und -emissionen übersteige, sagt er.
Werden Insekten mit Soja- oder Fischmehl gefüttert, ändert sich die Umweltbilanz ebenfalls. Günstiger und nachhaltiger ist es, wenn Insekten mit Reststoffen wie Gemüseabfällen gefüttert werden, was durch die Lebensmittelgesetze aber teilweise verboten ist.
Wie sieht das mit der Hygiene in Insektenzuchten aus?
Mehrere Leser wollten wissen, wie es mit der Hygiene bei der Insektenzucht bestellt sei. Nach den in der EU und der Schweiz geltenden Regeln werden Heuschrecken als Tiere behandelt – das heisst, nicht anders als Schweine und Rinder. Danach richten sich auch die Hygienevorschriften. Insekten und Insektenzubereitungen müssen beispielsweise für eine Zeit erhitzt oder tiefgekühlt werden, um Keime sicher abzutöten. Inseken dürfen nicht mit Abfällen gefüttert oder mit Stoffen behandelt werden, die in der Tierzucht nicht erlaubt sind.
Infosperber hat bei Coop Schweiz nachgefragt, woher die dort verkauften Insekten-Snacks kommen. Coop verweist auf den Hersteller Essento. Dieser gibt auf seiner Webpage an, dass die Tiere «aus dem europäischen Ausland wie auch der Schweiz» stammen. Sie würden mit «Nebenströmen der Lebensmittelproduktion» wie Weizenkleie gefüttert.
Der Biologe Mark Benecke gibt in einem Interview mit «Utopia» zu bedenken, dass Insektenzucht im grösseren Massstab unweigerlich neue Gifte gegen deren Parasiten und Krankheiten hinter sich herziehen werde. In welchem Ausmass genau, könne aber noch niemand sagen.
Studie aus Spanien zeigt angeblich, dass Insekten giftig sind
Die Diskussion um Insektenmehl in Lebensmitteln hat sich in den vergangenen Wochen vor allem auf Social Media verselbständigt – bis hin zu abseitigen Verschwörungstheorien. Ausführlich damit beschäftigt haben sich, wie gesagt, die Faktenchecker von «Mimikama».
«Mimikama» untersuchte unter anderem einen der ernsthafteren Beiträge, der sich auf eine spanische Studie bezieht. Diese warnt vor Stoffen aus Insekten, die giftig sein könnten. Die eher populärwissenschaftliche Studie bezieht sich allerdings generell auf Insekten, nicht auf die vier zugelassenen Arten. Diese haben einen Zulassungsprozess durchlaufen, damit gewährleistet ist, dass sie für Menschen nicht giftig sind.
Die Studie erwähnt auch Stoffe, die Probleme bei der Verdauung und der Aufnahme von Nährstoffen verursachen können. Als «sekundäre Pflanzenstoffe» sind diese in konventionellen Lebensmitteln ebenfalls anzutreffen, Oxalsäure in Spinat zum Beispiel oder Phytinsäure in Getreide. Vorsicht ist aber bei Allergikern geboten, die auf Krebstiere und auf Hausstaubmilben allergisch sind.
Insektenmehl löst keine Erbkrankheiten aus
Ein weiterer Social-Media-Betrag warnt vor den Krankheiten Morbus Gaucher und Sarkoidose, die angeblich durch Insektenverzehr ausgelöst werden können. Das, führt «Mimikama» detailliert auf, ist Unsinn. Schon deshalb, weil Morbus Gaucher eine Erbkrankheit ist, deren Ursache genetisch und nicht von der Ernährung abhängig ist.
Farbstoffe enthalten keine ganzen Tiere
Lebensmittel mit dem Farbstoff «Karmin» (E120) oder Produkte mit Schellack (E904) enthalten auch keine ganzen Käfer und Läuse – schon gar nicht diejenigen, die teilweise auf Social Media dazu abgebildet sind, fand «Mimikama» auch. Wer zum Beispiel «Müllermilch Kirsch-Banane» trinkt, trinkt aber Lausfarbstoff mit – was auf der Verpackung mit der Angabe «Karmin» korrekt bezeichnet ist. Die Tierschutzorganisation Peta gibt an, dass bei der Produktion von Schellack, der eigentlich ein Ausscheidungsprodukt ist, auch «jede Menge Läuse» in der Produktion landen.
Sind Insekten im Essen eine grosse Verschwörung?
Auf die Theorie einzugehen, dass die Menschheit im Zuge einer Weltverschwörung durch Insekten in Lebensmitteln ausgerottet werden soll (oder wenigstens der weisse Teil davon), hatte dann wohl selbst «Mimikama» keine Lust mehr.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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