Migros Werbung 16bis24 Juli 2023

Migros-Prospekt aus der Kalenderwoche 29 - die Migros biete bei weitem zu viel Fleisch an, um nachhaltig zu sein, kritisiert Greenpeace. © Migros

Greenpeace stellt Migros schlechtes Nachhaltigkeits-Zeugnis aus

Daniela Gschweng /  Die Nachhaltigkeitsstrategie des Detailhändlers sei unambitioniert und habe Lücken, kritisiert die Umweltorganisation.

Zusammen mit Coop versorgt die Migros den grössten Teil der Schweiz mit Lebensmitteln. Der Detailhändler hat also einen grossen Einfluss darauf, was Herr Schweizer und Frau Schweizerin essen und wie umweltfreundlich es ist.

Die Migros wirbt damit, die zertifiziert «nachhaltigste Detailhändlerin der Welt» zu sein. Sie bezieht sich dabei auf die Rating-Agentur ISS-Oekom, die die Migros unter 150 Unternehmen an die Nachhaltigkeits-Spitze setzte. ISS bescheinigt der Migros beispielsweise ein «überdurchschnittlich grosses Sortiment an nachhaltigen Produkten». Aber stimmt das?

Greenpeace: zu wenig ambitioniert und lückenhaft

Greenpeace hat die Nachhaltigkeitsbemühungen der Migros unter die Lupe genommen und bescheinigt dem orangen Riesen ein eher lahmes Engagement. Dessen Nachhaltigkeitsstrategie sei zu wenig ambitioniert und lasse wichtige Bereiche aus, sagt die Umweltorganisation. In einem 25-seitigen Bericht analysiert sie ausführlich die Nachhaltigkeitsziele der Migros.

Die Hauptkritikpunkte:

  • Die Ziele der Migros sind laut Greenpeace nicht ambitioniert genug. 
  • Die Migros gibt an, dass sie sich bei ihren Nachhaltigkeitskriterien an den planetaren Grenzen orientiert. Das tut sie nur teilweise. Die Stickstoffbelastung bleibt aussen vor. Gerade diese hat aber mit Lebensmitteln, speziell Tierprodukten, sehr viel zu tun.
  • Einige der Migros-Ziele sind auch nach den Migros-eigenen Kriterien nicht auf Kurs, speziell Foodwaste.
  • Greenpeace kritisiert weiter, dass es für den Bereich Dienstleistungen und Importe kein Klima-Reduktionsziel gibt, obwohl dieser Bereich der grösste Posten bei der Klimawirkung ist.

Die Planetaren Grenzen sind ökologische Grenzen, die die Menschheit nicht weiter strapazieren darf, wenn sie das Ökosystem der Erde und damit ihre Lebensgrundlagen bewahren will. Derzeit sind neun planetare Grenzen identifiziert: Wasserverbrauch, Landnutzung, Klima, naturfremde Stoffe wie Umweltchemikalien, Ozonloch, Aerosolbelastung (beispielsweise durch Smog und Feinstaub), Ozeanversauerung, biologische Vielfalt sowie der Stickstoff- und Phosphorkreislauf.

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Die planetaren Grenzen wurden 2009 erstmals festgelegt und seither erweitert.

Das Schrumpfen der globalen Biodiversität sowie ein aus dem Ruder gelaufener Stickstoffkreislauf sind bisher am ehesten an einem Kipppunkt angelangt. Ihnen sollte besondere Aufmerksamkeit gelten.

Ausgerechnet den Stickstoffhaushalt der Erde ignoriere die Migros, stellt Greenpeace fest. Das heisst vor allem: Der Einsatz von Düngemitteln und Import von Sojafutter haben für die Migros keine Priorität.

Neben Düngemitteln enthält auch Soja viel Stickstoff in Form von Protein. Es wird vor allem genutzt, um Eier, Milch und Fleisch nach gängigen Massstäben profitabel zu produzieren. Die Produzenten füttern Tieren grosse Mengen eiweisshaltiger Futtermittel wie Soja, damit sie schnell wachsen, viele Eier legen und viel Milch geben.

Die Sojaproduktion wiederum verursacht die Abholzung von Regenwald und bedroht sowohl die biologische Vielfalt wie auch ein lebenswertes Klima. Stickstoffüberschüsse aus Dünger, Gülle und Mist gelangen ins Wasser und verschmutzen es. Die Migros gebe zwar an, Legehühner nur mit europäischem Soja zu füttern. Zu Masthühnern mache sie jedoch keine Angaben, kommentiert Greenpeace. Zudem werde Soja von der Migros nicht als kritischer Rohstoff eingestuft wie beispielsweise Palmöl. Deshalb gibt es auch keine Nachhaltigkeitsbewertung der Soja-Wertschöpfungskette.

Migros tut sich schwer mit der Wertschöpfungskette

Der weitaus grösste Teil des Klima-Fussabdrucks der Migros stammt aus dem Einkauf von Produkten und Dienstleistungen. Für diesen Löwenanteil habe die Migros kein Klima-Reduktionsziel festgelegt, kritisiert Greenpeace.

Einzelne selbstgesetzte Ziele halte die Migros darüber hinaus nicht ein, speziell solche im Bereich Abfälle und Foodwaste. Beim Erfassen der zu reduzierenden Abfälle würden nur solche gezählt, die derzeit noch verbrannt würden. Abfälle, die in Biogasanlagen gelangen, würden nicht erfasst.

Schlecht sieht es auch beim Thema «Foodwaste» aus, den die Migros bis 2025 um ein Fünftel reduzieren will. Zumindest jenen Teil, der in den Migros-Filialen entsteht. Lebensmittel, die vorher vernichtet werden, weil sie schon beim Bauern oder im Schlachthof die Migros-Standards nicht erfüllen, werden nicht erfasst.

Verbessern könnte sich die Migros durch Tierverzicht

Zugegeben: Sich an den planetaren Grenzen zu orientieren, heisst nicht, dass man ihnen akribisch folgen muss. Ausgerechnet die beiden am meisten gefährdeten planetaren Grenzen in einer Nachhaltigkeitsbewertung auszulassen, ist dennoch fragwürdig.

Relevante Verbesserungen in mehreren Bereichen könnte die Migros laut Greenpeace erreichen, indem sie weniger Tierprodukte verkauft, vor allem weniger Fleisch. Stattdessen plant sie einen neuen Riesenschlachthof in St-Aubin, Freiburg. Dort sollen pro Jahr rund 40 Millionen Hühner aus Massentierhaltung geschlachtet werden.

Mit dem Migros-Label M-Check, der die Nachhaltigkeit eines Lebensmittels bewertet, verschiebe die Migros die Verantwortung letztendlich wieder auf den Konsumenten, kritisiert Greenpeace weiter.

Die Konkurrenz ist auch nicht besser

Als Teil des Duopols Coop-Migros haben das Migros-Angebot und dessen Zusammensetzung unbestritten grossen Einfluss auf die Ernährung der Schweizer Bevölkerung. Migros, Migros-Tochter Denner und Coop haben in der Schweiz einen Marktanteil von rund 80 Prozent (NZZ).

Beide Konzerne betonen regelmässig, wie ernst es ihnen damit ist, mehr vegane und vegetarische Lebensmittel ins Sortiment aufzunehmen. Zumindest im «Veganuary» wird dieses Engagement ausführlich beworben.

Wie es im weiteren Jahresverlauf damit bestellt ist, kann jeder selbst beobachten: Bald ist der 1. August. Eine Aktionskampagne für Fleisch und Fleischprodukte dürfte nicht ausbleiben – wie vor allen Feier- und Festtagen.

Coop, der grösste Konkurrent der Migros im Schweizer Markt, ist auch nicht besser. Die Coop-Tochter Bell baut derzeit ihren Rinderschlachthof in Oensingen SO aus (Infosperber berichtete).

Greenpeace fordert Migros und Coop auf, umfassende und viel ehrgeizigere Nachhaltigkeitsziele zu setzen. Die Migros antwortete auf Nachfrage von 20min.ch, es liege «in der Natur von Greenpeace, mit Anschuldigungen und Angriffen zu arbeiten». Die Migros selbst sei von ihrer Strategie überzeugt.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Weiterführende Informationen

Zum Infosperber-Dossier:

Logos Migros etc

Migros, Coop, Aldi, Lidl & Co. in der Verantwortung

Die Detailhändler sprechen ständig von Nachhaltigkeit und Regionalität. Aber sie bewerben Lebensmittel vom anderen Ende der Welt.

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3 Meinungen

  • am 23.07.2023 um 12:45 Uhr
    Permalink

    Seien wir ehrlich: die Migros kann machen was sie will, Greenpeace wird immer monieren, es sei zu wenig ambitioniert und habe Lücken. Leider ist es so, dass die Migros nicht mehr profitabel produzieren könnte, wenn sie alle Nachhaltigkeitsforderungen zu 100% erfüllen müsste. Damit wäre dann auch niemandem gedient.
    Was mich immer besonders irritiert, ist der Vorwurf, dass die Migros denjenigen Kunden, die dies wünschen, Fleisch verkauft. Sorry, aber diese Verantwortung liegt beim Kunden. Es ist nicht die Aufgabe der Migros, ihre Kunden zu Fleischverzicht umzuerziehen zu versuchen.

    • am 24.07.2023 um 21:21 Uhr
      Permalink

      Die Migros wird richtigerweise an ihren Ansprüchen gemessen – und die genügen eben nicht was nicht verwunderlich ist. Als Grosskonzern hätten sie gewisse Marktmacht um ihre propagierten Ziele zu implementieren. Weniger wäre mehr! Alleine damit könnten Standards eingehalten werden. Die Gewinnmargen würden weniger, dass wäre klare Konsequenz. Aber ohne diese Beschränkungen muss man klar festhalten, dass die KonsumentInnen getäuscht werden. Und was war zuerst: Die NACHFRAGE nach überrissen grosser Auswahl bei allen Artikeln, oder das ANGEBOT danach. Klar letzteres durch Marketing gesteuert und dann wundert man sich?! Nein, ohne Demut und VERZICHT rasen wir dem Abgrund entgegen!

  • am 23.07.2023 um 12:48 Uhr
    Permalink

    Greenpeace stellt Migros schlechtes Nachhaltigkeits-Zeugnis aus. OK! Aber ist das Nachhaltigkeitszeugnis von Greenpeace besser? Solange für die «selbsternannten Umweltverteidiger» die nicht nachhaltige Zahl der globalen Bevölkerung kein Thema ist, ist die ganze Diskussion über Nachhaltigkeit ein gewolltes Ablenken vom eigentlichen globalen Problem und somit irrelevant. Für genau diese Art der Nachhaltigkeitskritik wird die Grüne Partei bei den Wahlen im Herbst die Quittung erhalten. Solange die globale Bevölkerungsexplosion kein Thema sein darf, solange bleiben alle Massnahmen wie Nachhaltigkeitsbemühungen, Klimaschutz, Energieeffizienz, usw. nicht korrigierbare Symptome einer seit dreihundert Jahren verfehlen Bevölkerungspolitik.

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