Fleischkonsum: Die Menschheit frisst sich die Haare vom Kopf
Es wird nicht nur alles teurer, irgendwann ist womöglich nicht mehr genügend da, wenn die Menschheit ihre Ernährung nicht ändert. Davon gehen gleich zwei Analysen aus. Eine der naheliegenderen Lösungen ist, dass wir weniger Fleisch produzieren.
Die Erzeugung von Lebensmitteln benötige einen grossen Teil der weltweiten Ressourcen, die durch den Klimawandel schwinden werden, warnen die Vereinten Nationen (United Nations, UN), die gerade einen mit dem Roten Kreuz und dem Roten Halbmond erstellten Bericht über die globalen Hitzegefahren vorgestellt haben.
Mehr Lebensmittel mit weniger Ressourcen
Hitze werde in Zukunft direkte, tödliche Auswirkungen auf Menschen haben, stellt er klar. Dazu würden sich landwirtschaftliche Flächen durch die zunehmende Hitze verkleinern, Frischwasser werde vielerorts knapp. Durch Krisen wie Covid-19, Brände oder kriegerische Konflikte entstandene Hungerkrisen könnten durch die Erderhitzung zu Hungerkatstrophen werden.
Grund genug, die bestehenden Ressourcen so gut wie möglich zu nutzen. Was die Menschheit bisher nicht tut: Wenn wir unsere Ernährungsgewohnheiten beibehalten, untergraben wir die Ernährung der Zukunft. Zu diesem Fazit kommt ein anderer Bericht der Unternehmensberatung PricewaterhouseCoopers (PwC) zur Ernährungsstrategie der Welt. Wir produzieren das Falsche, sind dabei ineffizient und werfen zu viel weg, sagt PwC.
Fazit der Fachleute: So geht’s nicht weiter
Beide Berichte kommen zum gleichen Schluss: So geht’s nicht weiter. Zumindest nicht, wenn die Menschheit nicht bis 2050 drei Erden brauchen will, um sich zu ernähren (PwC) und «grosses Leid und den Verlust von Menschenleben» (UN) verhindern will. Laut PwC befinden wir uns an einem Kipppunkt. Das System müsse sich radikal wandeln.
Während die Vereinten Nationen dringend Massnahmen gegen den Klimawandel und die Unterstützung der besonders betroffenen Menschen anmahnen, setzt PwC auf die Umstellung der Ernährungsgewohnheiten bei den Konsument:innen. Auch die landwirtschaftlichen Methoden müssten sich ändern.
Die Lebensmittelproduktion müsse umweltschonender werden und der Verlust von Nahrung in den Lieferketten (Food Loss) verringert. PwC schlägt vor, anspruchslosere alte Sorten zu kultivieren und neue ressourcenschonende Lebensmittel zu fördern. Was sich teilweise mit den Forderungen der UN deckt.
Fleisch ist ein ineffizientes Nahrungsmittel
Als grösste Stellschraube identifiziert PwC den globalen Fleischkonsum. Fleisch verbrauche im Vergleich zu pflanzlichen Alternativen pro erzeugte Kalorie hundert Mal mehr Fläche, stelle aber nur 11 Prozent der Kalorien bereit – bei gleichzeitig höherem Wasserverbrauch und höherer Klimabelastung. Die Fleischproduktion habe sich in den letzten 50 Jahren jedoch verdreifacht, der Pro-Kopf-Verzehr verdoppelt. Ineffizienz, die sich die Menschheit nicht mehr leisten könne, folgert PwC.
Selbst kleine Änderungen im Konsum hätten signifikante Wirkung: Wenn auf der Welt nur noch Poulet statt Rind gegessen würde, halbierten sich die CO2-Emissionen aus Fleischverzehr, der Wasserverbrauch sänke um 30 Prozent. Derzeit investiere die Menschheit weltweit in ein ineffizientes, teures und nicht nachhaltiges Ernährungssystem. Stattdessen favorisiert PwC neue Technologien wie Fleischersatzprodukte, Vertical Farming und Lebensmittel aus dem Drucker.
Fleisch kann nachhaltig sein
Vor allem in wohlhabenden Ländern müsse der Fleischkonsum um mindestens 75 Prozent sinken, findet auch eine neue Studie der Universität Bonn. Das bedeute nicht, dass Fleisch gar nie nachhaltig sein könne, sagen die Agrarökonomen Matin Qaim und Martin Parlasca gegenüber dem «Standard». Wenn sich Grasland nicht anders nutzen lasse, sei es sinnvoll, darauf Vieh zu halten. Tierhaltung im kleineren Rahmen sei für viele Menschen in ärmeren Ländern auch eine wichtige Einnahmequelle.
Um die Ernährungssicherheit zu erhalten, müssten wohlhabende Länder ihren Fleischkonsum aber um wenigstens 75 Prozent einschränken, sonst kollabierten viele Ökosysteme und die Klimaziele wären nicht einzuhalten. Gesünder wäre weniger Fleisch nebenbei auch. Das fand schon die EAT-Kommission des Fachmagazins «The Lancet» 2019.
Verschwendung in den Lieferketten
Von den bereits erzeugten Nahrungsmitteln verdirbt ausserdem zu viel. Laut PwC gehen etwa 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel entlang der Lieferkette als Food Loss verloren, was durch bessere Technologien bekämpft werden könne.
Automatisierung solle den Anbau von Lebensmitteln effizienter, umweltschonender und damit ergiebiger machen, skizziert PwC. Food Waste – das Wegwerfen von Millionen Tonnen geniessbarer Lebensmitteln bei Handel und in Privathaushalten – thematisiert der Bericht nicht.
Die Vereinten Nationen setzen eher auf die Unterstützung lokaler Projekte, um Resilienz gegen Klimafolgen wie Hitzewellen, Waldbrände und Stürme aufzubauen. Die Welthungerhilfe erinnert im Welthungerindex 2022 genauso wie die UN daran, dass Armut, Ungleichheit, mangelhafte Regierungsführung und schlechte Infrastruktur massgeblich zum weltweiten Hunger beitragen.
Matin Qaim, einer der Wissenschaftler aus Bonn, schlägt deutliche Steuererhöhungen auf Fleisch vor, um den Konsum zu reduzieren. Das sei zwar unpopulär, beziehe die Konsument:innen aber in die Umweltkosten ein, die Fleisch verursache. Andere Studien untersuchen Anreizsysteme um den Fleischverbrauch zu senken.
Die vergessenen 44 – der Hunger, den es jetzt schon gibt
Prognosen zufolge müsste die Menschheit bis 2050 die Nahrungsmittelproduktion um 70 Prozent steigern, um die Weltbevölkerung von bis dahin 9 bis 10 Milliarden Menschen satt zu bekommen – mit deutlich weniger Fläche. Aussitzen lässt sich das Problem also nicht.
Laut dem Welthungerindex 2022 steigt die Zahl der Hungernden derzeit an. Voraussichtlich werden bald rund 50 Millionen Menschen mehr an Hunger leiden, grösstenteils als Folge des Angriffs Russlands auf die Ukraine.
Ohne grundlegende Änderungen werde sich die Ernährungssituation in den derzeit hungernden Ländern nicht verbessern, sondern eher verschlechtern. In 44 Ländern weltweit herrscht derzeit akuter Hunger. Für weitere 20 Länder gibt der Welthungerindex «mässiges, ernstes oder sehr ernstes» Hungerniveau an.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Der Welthunger hat mit der Ukraine wohl kaum etwas zu tun. Mit diffuser Kriegsführung und extremer Verstädterung in ex-Kolonien aber umso mehr. Die Hungersnot in Yemen, Somalia, Tigrey bald auch im Ost-Kongo… hat mit der Ukraine nichts zu tun und in der Schweiz auf Fleischkonsum verzichten wird auch nichts dazu beitragen, eine echte Lösung zu finden.
Wenn Bauern systematisch von ihren Ländereien vertrieben werden und in Städten ein minimum an Sicherheit suchen, entstehen Logistik-Probleme (Lieferketten-Probleme) welche bei der gegebenen Einkommensverteilung finanziell nicht gelöst werden können.
Wer finanziert die vielen Bürgerkriege rund um die Welt ? Eine Korrektur im internationalen Waffengeschäft dürfte mehr zur Lösung dieser Probleme beitragen als Scheinlösungen aus einer warmen Stube potentieller Klima-Versteher.
Es ist leicht auf die Tränendrüsen zu drücken, aber einiges schwieriger echte realistische Lösungen anzubieten.
Die Welthungerhilfe schreibt dazu im Kommentar zum Welthungerindex: «Die Hungertreiber Konflikte, Klimakrise und COVID-19 werden die Lage voraussichtlich noch verschlimmern. Der Krieg in der Ukraine hat weltweit die Preise für Nahrungsmittel, Energie und Düngemittel weiter in die Höhe schnellen lassen und wird auch 2023 und darüber hinaus den Hunger noch erheblich verschärfen.»
Das ist nicht unbedingt «hat mit dem Krieg in der Ukraine kaum etwas zu tun».
@Daniela Gschweng Daran ist aber nicht «der Krieg» schuld, sondern der Westen (EUSA) primär via Sanktionen. Russland/Weissrussland wollen Gas, Düngemittel, Getreide exportieren in Langfristverträgen; der Westen wollte Börsenspekulation alias Kurzfristverträge, sowie eben die Sanktionen inklusive Nordstream-«Torpedierung»; bitte berichten Sie darüber).
Den Welthunger und vor allem -Durst sehe ich als multiplen Konstruktionsfehler und hat mit der Ukraine wenig zu tun, dazu ist sie dann doch zu klein (unbedeutend).
Besten Dank für Ihre Reaktion. Es ist klar, dass diese Preissteigerungen die Kosten des Welternährungsprogrammes erhöhen werden und einzelne Hilfsaktionen erschweren werden.
Wenn aber in Ost-Kivu 1.5 Mio Bauern von ihrem angestammten Land nach Goma vertrieben wurden, ist das nicht das Problem der Weltmärkte sondern der Gier der Mineral-Förderer (Kobalt) zu «verdanken», welche erst diese Kriege finanziert haben. Sollte man nicht in erster Linie den Nutzen mobiler Telephone und elektrischer Autos hinterfragen ?
Bei über 2000 km schlechter Verkehrswege schon nur bis zum nächsten Meerhafen, dürfte es klar sein, dass die internationale Hungerhilfe das Problem etwas lindern, aber gewiss nicht lösen kann.
«Es ist leicht auf die Tränendrüsen zu drücken, aber einiges schwieriger echte realistische Lösungen anzubieten.» – Mit dieser Aussage haben Sie wohl leider recht. Und doch wäre es tatsächlich sehr einfach; wenn wir weg von politischen und wirtschaftlichen Lösungen kämen und das Individuum ins Zentrum stellen würden. Denn würde jede/r für sich erkennen, dass ein hoher Fleischkonsum ökologisch wie auch gesundheitlich drastische Folgen hat und deswegen den Konsum aus eigenem Antrieb reduzieren würde, wäre das Problem gelöst. Und das wäre noch die günstigste Lösung überhaupt. Leider ist unsere Gesellschaft (noch) weit, weit weg davon…
«Fleisch ist ein ineffizientes Nahrungsmittel» – nicht aber für den Menschen, es ist das effizienteste. Wahrlich von Kopf bis Fuss.
Doch essen wir nur das Entercôte, davon viel zu viel und der Rest landet im Müll.
Es wäre genug, nein zuviel!, da für die ganze Welt.
Das kommt darauf an, wie sie «den Menschen» auffassen. Zur Verringerung der Zahl lebender Menschen wäre es ein geeignetes Mittel, wenn sich ein Teil ausschliesslich von Fleisch ernähren würde. Diese Menschen stürben relativ schnell an Skorbut, da Fleisch kein Vitamin C enthält. Der sieben- bis zehnmal höhere Ressourcenverbrauch fiele nicht lange ins Gewicht.
Ganz einfach; der Mensch in seiner Biologie.
Ihr Kommentar zielt an meinem vorbei, denn eine rein fleischliche Ernährung kann nie das Ziel sein.
Wie achtsam/sensitiv das Volk punkto «Fleischkonsumsenkungsnotwendigkeit» alias «Gesundheitssteigerungseffekt» und «Wir fressen uns nicht nur die Haare vom Kopf, sondern letztlich uns» ist, war kürzlich anlässlich Massentierhaltungs-Abstimmung besichtigbar: Es ist der entscheidenden Mehrheit WURST (entschuldigen Sie den fleischhaltigen Ausdruck).
Mein Vorschlag: Ein Entwicklungsbüro (eine Aufgabe, die eigentlich die Politik längst hätte), das Ideen aus dem Volk entgegennimmt, sowie das Ganze unternehmerisch vorantreibt. Ich meine fleischlose oder «fleischparfümierte» Alternativangebote, die attraktiver (!) sind als die bisherige «Fleischkultur» (ich habe interessante Unterlagen), als Prototyp (Vorbild) einen schmackhafteren (ökologischen) McDagobert’s (vs. McDonald’s).
Das Fleisch ist nur ein Beispiel. Aber die Probleme sind globaler.
Die Menschheit produziert über ihre Verhältnisse und sie konsumiert über ihre Verhältnisse-
Dadurch erzeugten die Menschen lebensmindernde Verhältnisse und Zustände für alle Lebewesen auf der Erde. Folgen davon sind u.a. Luft- und Wasserverschmutzung sowie Bodenversiegelung, irreguläre Klimaschwankungen; und die Vergiftungen von Menschen durch viele körperfeindliche Chemikalien in den industriell gefertigten Lebensmitteln. – Die Folgen sind die Zunahme der tödlichen Krankheiten mit vorzeitiger Todesfolge. Die Queen bildet eine Ausnahme; sie ist an Altersschwäche gestorben.
Viele Grüße
Kurt Wolfgang Ringel, Braunschweig