Die Baristas gehen auf die Barrikaden
Im Dezember 2021 gründeten Mitarbeitende der Starbucks-Filiale Elmwood Avenue in Buffalo im US-Bundesstaat New York die erste Arbeitnehmendenvertretung in der Geschichte von Starbucks. Für europäische Verhältnisse war das ein Ereignis, für die USA eine Sensation.
Die Gründung löste eine Lawine aus. Seither haben 400 von 15’000 Starbucks-Läden in den Vereinigten Staaten über eine Gewerkschaftsgründung abgestimmt, allein drei davon in Buffalo. Howard Schultz, der CEO, war dagegen, das hat er mehrmals geäussert. Starbucks hatte im Vorfeld viel Geld und namhafte Kanzleien mobilisiert, um die Abstimmung zu verhindern.
Den meist jungen Baristas im ganzen Land reicht es. Ihre Löhne sind teilweise unglaublich niedrig, schon nur die Boni der Filialleitung seien höher als ihre Gehälter, berichtet die «taz», die sich mit Starbucks-Angestellten in mehreren Bundesstaaten unterhalten hat. «Wir sind immer unterbesetzt und überarbeitet», sagt beispielsweise Gabrielle, eine Alleinerziehende mit zwei Kindern aus Salt Lake City.
Ein cooles Image genügt nicht mehr
Der Kaffeeröster galt bis vor nicht allzu langer Zeit als cooler Arbeitsplatz, der lockere Umgangsformen pflegt und auf Diversität achtet. Auch Starbucks› Sozialleistungen sind für ein US-Unternehmen im Servicebereich vergleichsweise gut.
Starbucks bietet US-Angestellten eine Krankenversicherung und bezahlt ein Onlinestudium. Das Unternehmen gilt als queer- und transfreundlich, weil die Versicherung geschlechtsangleichende Operationen bezahlt. Viele Menschen aus den LGBTI-Communities arbeiten deshalb bei Starbucks und unterstützen so das progressive Image.
Gewerkschaften auf der anderen Seite waren in den USA lange nicht besonders beliebt. Sie gelten als träge und gestrig, als starre Strukturen, die schnelle Entscheidungen und flache Hierarchien behindern. Derzeit ändert sich das, auch wegen der für Angestellte guten Lage am Arbeitsmarkt (Infosperber berichtete).
Problematische Arbeitszeitvereinbarungen und ahnungslose Vorgesetzte
Angestellte, die von Studium und Versicherung profitieren möchten, müssen auf mindestens 20 Stunden Wochenarbeitszeit kommen. Eine Garantie für diese Mindestarbeitszeit gibt es nicht, auch nicht im Gesetz der meisten US-Bundesstaaten. An diesem Punkt sind Baristas auf ihre Vorgesetzten angewiesen und auf den Starbucks-Algorithmus, der Schichtbelegung und Arbeitszeit berechnet.
Die Filialleitung hat meist keine Erfahrung mit der Arbeit vor Ort. Beschwerden der Baristas würden oft ignoriert, Gesetze missachtet, erzählen die Angestellten. Starbucks habe gegen jede Regel zur Beschäftigung Minderjähriger verstossen, als sie mit 17 Jahren dort angefangen habe, sagt zum Beispiel Laila aus Phoenix, Arizona.
Jede Filiale muss für sich verhandeln
Bisher muss jede Filiale einzeln über ihre gewerkschaftliche Organisation bestimmen und über einen Tarifvertrag verhandeln, das ist Bedingung des Konzerns. Mindestens 30 Prozent der Filialangestellten müssen für die Abstimmung über eine Gewerkschaftsgründung sein, damit sie stattfinden kann. Wenn die Hälfte der Mitarbeiter dafür ist, kann eine Arbeitnehmendenvertretung über einen Tarifvertrag verhandeln.
Ein komplizierter Prozess, den Starbucks an mehreren Stellen stören kann. So wurden einer Filiale kurz vor der Abstimmung plötzlich neue Mitarbeiter zugewiesen, die hinterher wieder verschwanden. Oder die Löhne wurden erhöht, aber nur an nicht organisierten Standorten. Starbucks ist bekannt dafür, Arbeitnehmendenvertretern das Leben so schwer wie möglich zu machen, auch in Deutschland, wo vergleichsweise arbeitnehmerfreundliche Gesetze gelten.
Weil Starbucks den Betriebsrat nicht auflösen konnte, habe das Unternehmen kurzerhand den Distrikt Berlin 2 aufgelöst, berichtete der Berliner Starbucks-Betriebsrat Michael Gläser 2020. Da hatte Gläser bereits zwölf fristlose Kündigungen erhalten. Entlassen wurde er unter anderem, weil er Gäste gesiezt hatte.
In der Schweiz untersteht Starbucks dem Gesamtarbeitsvertrag Gastronomie. Auch hier klagen Baristas über Druck und übergrosse Anforderungen an die zeitliche Flexibilität.
Wer sich einsetzt, riskiert die Kündigung
Wer sich einsetzt, für den hagelt es in den USA Vorgesetztengespräche und Verwarnungen. Mehr als 100 Angestellte wurden schon gefeuert, weil sie sich für die Selbstorganisation einsetzten. An vielen Orten tauschte Starbucks das Personal komplett aus.
Mit einer Handvoll unterbezahlter Prekärarbeitender gegen die Anwälte zu bestehen, die aktiv «Gewerkschaftsvermeidung» betreiben, ist also schwer bis unmöglich. Deshalb schlug die Gründung in Buffalo so ein.
Niemand von uns kann so leben, mit einem miserablen und prekären Job.
Tyler, Barista aus Long Beach, Kalifornien
Vielleicht auch deshalb, weil der am 9. Dezember 2021 gefasste Beschluss im «Rust Belt» der USA stattfand, einer Gegend mit Gewerkschaftstradition.
Einige der meist jungen Starbucks-Angestellten gaben auch an anderen Orten nicht nach – trotz der «Union Busters», wie die Kanzleien und Berater genannt werden, die die Gewerkschaften bekämpfen. 230 Starbucks-Filialen haben im Oktober mit Tarifverhandlungen begonnen, in 300 Filialen wurde bisher über die Gewerkschaftsgründung abgestimmt.
Die klassische Starbucks-Karriere beginnt meist, wenn sich jemand etwas dazuverdienen will oder kurzfristig Geld braucht. Viele bleiben jahrelang dabei, auch wenn klar ist, dass die prekäre Beschäftigung sie nirgendwo hinbringen wird. «Niemand von uns kann so leben, mit einem miserablen und prekären Job», sagt Tyler aus Long Beach, Kalifornien.
Auch der nächste Job ist keine Lösung
Massgeblich war auch die Coronazeit. Tyler berichtet von positiv getesteten Mitarbeitenden, die gezwungen waren, arbeiten zu gehen, weil nur fünf Krankheitstage erlaubt sind. Er erzählt von hohem Druck und Personalknappheit.
Jobhopping, das von einer prekären Anstellung zur nächsten führe, in der die Bedingungen ebenso schlecht seien, sei auch keine Lösung, sagt er. Die jüngere Generation, die durch die verschiedenen Krisen in den letzten Jahren auch mehr politisiert ist, fängt an, sich gegen die Verhältnisse aufzulehnen. In einer Starbucks-Filiale in Boston wird beispielsweise seit Wochen gestreikt.
Untereinander sind die Starbucks-Läden lose vernetzt. Starbucks Workers United habe bisher nicht einmal ein Budget, berichtet die «taz». Ausgeholfen hätten bisher andere Gewerkschaftsverbände, etwa aus der Restaurant- und Hotelbranche. Das Geld wird verwendet, um Lohnausfälle und Übergangsgelder zu bezahlen.
Baristas wie Tyler und Bill wollen, dass sich das ändert. Sie pflegen Kontakte zu Uber-Fahrern, Cannabis-Verkäufern, zu Angestellten bei Amazon, Chipotle und dem Telekommunikationsunternehmen Verizon. Bill allerdings arbeitet in einem anderen Café, seit ihm Starbucks gekündigt hat. Was die Zukunft «seiner» Starbucks-Filiale betrifft, sei er pessimistisch, sagt er.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
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