China tischt auf: Zwangsarbeit im Fischfang
Die chinesische Fischfangflotte ist die grösste der Welt. Der Fisch und die Meeresfrüchte, die sie fängt, werden in der ganzen Welt verkauft, auch von Detailhändlern in Europa. Über die Bedingungen, unter denen dieser Fisch gefangen und verarbeitet wird, ist jedoch relativ wenig bekannt.
Aus mehreren Gründen. China lässt sich auch auf See ungern in die Karten schauen. Kontrollen sind schwierig und finden selten statt. Die Hochsee ist ein notorisch rechtsarmer, wenn nicht rechtsfreier Raum.
Jahrelange Recherchen zeigen systematische Menschenrechtsverletzungen
Auf sich aufmerksam macht die chinesische Fischereiflotte oft durch politische Querelen oder Vorwürfe illegaler Fischerei. Grosse Fischtrawler dringen an den Grenzen Taiwans oder der Philippinen in fremdes Staatsgebiet ein und agieren aggressiv gegenüber einheimischen Fischern.
Militärexperten vermuten, dass China seine Fangschiffe auch zu Spionagezwecken nutzt. China weist das zurück.
Was China am Ende auftischt, kann einem jedenfalls im Hals stecken bleiben. Ausbeutung, Zwangsarbeit und Gewalt seien in Chinas Fischereiindustrie eher die Regel als die Ausnahme, berichtet «The Outlaw Ocean Project» in Zusammenarbeit mit der «Zeit» und dem «New Yorker».
Die gemeinnützige Journalismusorganisation mit Sitz in Washington hat in jahrelanger Arbeit Stoff für mehrere Artikel, Videos und Audiobeträge zusammengetragen, die zeigen, wie rücksichtslos die Fischereiindustrie Chinas gegenüber Mensch und Natur vorgeht.
Zwangsarbeit im grossen Stil
In einer von zwei grossen Reportagen beschreibt sie die Lage von ausländischen Arbeitern auf chinesischen Fischtrawlern. Es ist auch die Geschichte zweier Freunde, die aus Indonesien aufbrachen, um auf hoher See Geld zu verdienen und von denen einer nicht lebend zurückkehrte.
Verstorben ist Daniel Aritonang am Mangel an Vitamin B1 oder Thiamin – eine Krankheit, die Beriberi genannt wird. Das zeigte die Autopsie, die auch Spuren von Gewaltanwendung feststellte. Beriberi lässt sich relativ einfach behandeln, kann unbehandelt aber zum Tod führen. Die Krankheit ist oft ein Hinweis auf Sklavenhaltung oder Zwangsarbeit.
Monatelang kaum Kontakt zur Aussenwelt
Aritonang und sein Freund Hengki Anhar hatten 2019 über eine Agentur angeheuert. Aritonang war da gerade 18 Jahre alt. Dass sie an Bord des chinesischen Tintenfisch-Trawlers namens Zhen Fa 7 arbeiten würden, erfuhren sie erst, als sie im September 2019 in Südkorea an Bord gingen. Acht Monate sollte der Einsatz dauern.
Sie stellten bald fest, dass es sehr viel länger dauern könnte. Und dass es bis dahin kaum Kontakt zur Aussenwelt geben würde. Chinesische Hochseefischer bleiben oft mehr als ein Jahr auf See, ohne einen Hafen anzulaufen. Betankt und entladen werden die Schiffe auf See. Wenn sich das Schiff einer Küste nähert, an der es ein Mobilfunksignal gibt, haben die Crewmitglieder keine passenden Mobilfunkkarten. Manche Familien hören monatelang nichts von ihren Angehörigen.
Der Arbeitsplatz chinesischer Hochseefischer sind nicht kleine Fischerboote, sondern die reinsten Fischereifabriken. Die Arbeit ist hart und schmutzig und findet in Schichten statt. Erholung für die Crew gibt es nur selten.
Der Umgang an Bord sei oft gewaltvoll, abwertend und unmenschlich, erzählen Seeleute. Wer in Ungnade falle, müsse mit Prügeln rechnen. Wenn jemand krank werde, weigere sich der Kapitän oft, einen Hafen anzulaufen. Es sei ein Leben «wie in einem Käfig», sagt ein Arbeiter.
Die Arbeiter müssen hohe Strafen zahlen, falls sie die vereinbarte Arbeitszeit nicht ableisten. Der Arbeitgeber oder die vermittelnde Agentur behalten ihre Pässe ein und geben diese erst wieder heraus, wenn die Schuld beglichen ist. In den USA und auch in Indonesien ist das illegal.
Todesursache: Beriberi. Und Zeichen von Gewalt
Zu Neujahr 2021 gelang es Aritonang, aus chilenischen Gewässern seine Eltern anzurufen. Kurz darauf erkrankte er. Seine Beine schwollen an und seine Augen seien gelb geworden, sagt sein Freund Hengki Anhar. Der chinesische Kapitän weigerte sich zunächst, etwas zu unternehmen. Als die Crew mit Streik drohte, übergab er Aritonang an einen Tanker, der ihn nach Montevideo, Uruguay, brachte.
Als Aritonang endlich in einem Krankenhaus ankam, sei er desorientiert, mit blauen Flecken übersät und in sehr schlechtem Zustand gewesen, sagt die Dolmetscherin Jesica Reyes. Am darauffolgenden Tag starb er.
Reyes machte Fotos des jungen Manns und zeigte den Vorfall an. Die Obduktion bestätigte Beriberi als Todesursache und wies auf Zeichen physischer Gewalt hin. Anhar verliess die Zhen Fa 7 im Mai 2021 in Singapur und erfuhr erst dann vom Tod seines Freundes. Das Schifffahrtsunternehmen Rongcheng Wangdao wies jedes Fehlverhalten von sich.
An einer Aufklärung ist niemand besonders interessiert
Aritonangs Tod ist kein unglücklicher Einzelfall. Nach Beobachtung des Teams von «The Outlaw Project», das auch bei einigen Schiffen an Bord gehen konnte, kommt Beriberi auf chinesischen Fangschiffen häufiger vor. Während ihrer Recherchen von 2013 bis 2021 zählten die Journalisten nach eigenen Angaben «mindestens 15 Todesfälle durch Beriberi». «Nach US-Gesetzen ist das kriminelle Vernachlässigung», sagt Victor Weedn, ein Gerichtsmediziner aus Washington. Mord in Zeitlupe sei immer noch Mord.
An einer Aufklärung von Aritonangs Tod schien niemand besonders interessiert zu sein. Das sagen sowohl der Leiter des indonesischen Konsulats in Montevideo, Nicolas Potrie, wie auch Reyes. Zu gross sei der Einfluss des finanzkräftigen Landes im Osten. Die chinesische Fischfangflotte ist 35 Milliarden Dollar wert und wickelt ein Fünftel des internationalen Geschäfts mit Fisch und Meeresfrüchten ab. Viele Länder und Städte sind durch die Belt and Road Initiative an China gebunden, das unter anderem weltweit Häfen finanziert.
China fängt fünf Milliarden Pfund (2,2 Millionen Tonnen) Fisch und Meeresfrüchte im Jahr, der grösste Teil davon ist Tintenfisch. Verkauft werden Fisch und Tintenfisch aus chinesischem Fang durch die US-Unternehmen Walmart, Costco, Kroger und Albertsons. In Europa gelangt er an den in Deutschland ansässigen Grosshändler Nomad Foods und von dort zu Carrefour, Tesco oder Edeka.
Auch in den Fischfabriken gibt es Zwangsarbeit
Zuvor hat der Fisch oder Tintenfisch sehr wahrscheinlich noch einen Zwischenhalt in einer chinesischen Fischfabrik gemacht, wo er verpackt und für den Verzehr vorbereitet wurde. Die Arbeitskräfte freuten sich dabei über «Massenbeschäftigung und die gesellschaftliche Harmonie». So drückt es China aus.
Viele Angestellte in chinesischen Fischfabriken stammen aus dem weit entferten Xinjiang, dokumentiert «The Outlaw Ocean Project». Und sie arbeiten nicht freiwillig dort.
Tatsächlich haben sie keine Wahl, wenn ein Rekrutierer an ihre Tür klopft. Mindestens tausend Uigurinnen und Uiguren seien bereits nach Shandong gebracht worden, um dort Fisch zu verarbeiten. Shandong ist ein grosser Hafen an der chinesischen Ostküste.
Kritik werde von der chinesischen Regierung zensiert, schreibt das Journalismus-Projekt. Viele Unternehmen streiten ab, dass sie Personen aus Xinjiang beschäftigen. Journalistinnen und Journalisten ist der Zugang in der Regel nicht erlaubt. Fabrikarbeitende aus Xinjiang werden überwacht und oft von Sicherheitspersonal begleitet. Sie leben meist in Sammelunterkünften und essen in separaten Kantinen. Wer die zahlreichen Regeln verletzt, wird hart bestraft.
MSC-Siegel für Fabriken, die Zwangsarbeitende beschäftigen
Dennoch gibt es Berichte aus den Fabriken. In Videos auf Douyin, dem chinesischen TikTok, äusserten sich viele auf versteckte Weise, dokumentiert «The Outlaw Project», das mit Hilfe von Dolmetschenden tausende Social-Media-Einträge gesichtet hat.
Die Journalist:innen untersuchten mehrere Fabriken, die vermutlich auch Fisch für den europäischen Markt verarbeiten. Ausnahmslos alle, die Zwangsarbeitende aus Xinjiang beschäftigten, seien vom Marine Stewardship Council (MSC) zertifiziert. Es könne «für die Prüfer schwierig und riskant sein, staatlich verordnete Zwangsarbeit ausdrücklich zu erkennen», sagt das Zertifizierungsunternehmen Sedex, das nachhaltige Lieferketten zertifiziert.
Produkte zu verkaufen, die mit Hilfe von Zwangsarbeit hergestellt wurden, ist in den USA und in Europa verboten. Gesetze zur Fischerei verlangen jedoch oft keine Dokumentation der Arbeitsbedingungen in Fischerei und Fischfabriken. Bei anderen Produkten wie Textilien, Computerchips oder Tomaten wird bereits genau hingesehen. Fisch und Meeresfrüchte müssten einfach als Nächstes schärfer geprüft werden sagt der Juraprofessor Robert Stumberg von der Georgetown University in Washington. Die US-Gesetze seien dafür ausreichend.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ui, dieser Artikel riecht jetzt aber ein Bisschen sehr, – nein, nicht nach Fisch -, sondern nach «böse-Chinesen-gute-Amerikaner-und-Europäer-Propaganda». Faktisch glaube ich alles, was da erzählt wird. Gute Propaganda kommt ohne Lügen aus. Die Penetranz, mit der die «aktuellen Themen» Uiguren, Taiwan u.a. eingearbeitet sind und, mehrfach, um
die Message auch wirklich rüberzubringen, darauf hingewiesen wird, dass bestimmte üble Praktiken «durch US- und EU-Gesetze verboten sind», will wohl sagen: «schaut mal in welchem Arbeiterparadies wir leben!», ist aber halt dann doch entlarvend. Zu Amerikanisch halt. Da möchte ich den InfoSperber doch um etwas mehr Sorgfalt bei der Redaktion bitten.
@Daniel
Treffender Kommentar, was nicht gesagt wird ist, dass wir die Produkte wollen, aber das Dreckgeschäft an die Chinesen auslagern.
«China fängt fünf Milliarden Pfund (2,2 Millionen Tonnen) Fisch und Meeresfrüchte im Jahr, der grösste Teil davon ist Tintenfisch.»
Ich bin mir nicht sicher, ob diese Zahlen so stimmen. Mir scheint, entweder sind die 5 Milliarden zu hoch oder die 2,2 Millionen zu tief. Die Ocean Review schreibt von einer gesamten jährlichen Fangquote (inkl. Acquakultur) von 170 Millionen Tonnen.