Billig-Lebensmittel als Selbstverteidigung
Alles wird immer teurer, das Klima röchelt, die Inflation steigt. Konsument:innen wechseln von den Bioläden an die Billig-Regale. «Richtig so», sagt der Autor Thilo Bode, «schon aus Selbstverteidigung». Geiz sei die letzte Keule der Konsumentinnen und Konsumenten. Sonst hätten sie nämlich kaum noch etwas zu sagen.
«Discounter – das ist ja wie Rotlichtviertel», entgegnete taz-Journalist Jan Feddersen im taz-Talk halb erschrocken, halb ironisch. Was die beiden Pole in der Diskussion über Deutschlands Supermärkte ganz gut wiedergab.
Bode ist nicht irgendwer. Der langjährige Geschäftsführer von Greenpeace verantwortete unter anderem die Brent-Spar-Proteste, die Greenpeace weltweit bekannt machten. Nach seinem Ausscheiden gründete er 2002 die Konsumentenorganisation Foodwatch. Er weiss also zweifellos, wovon er spricht. Auf dem taz-Podium sass Bode Anfang März, um sein neuestes Buch «Der Supermarktkompass» vorzustellen.
Eine Brezel mit einem Dutzend Zutaten
Ein funktionierender Markt, argumentiert der Autor und Aktivist, könne nur entstehen, wenn Kund:innen eine informierte Entscheidung treffen können. Von Information könne aber längst nicht mehr die Rede sein. Wer im Supermarkt vor 30 Sorten Olivenöl stehe, die sich qualitativ in keiner erkennbaren Weise unterschieden, für den sei es nur folgerichtig, die günstigste Wahl zu treffen.
Auf dem Podium wie im Buch beschreibt Bode den grotesken Versuch, in einem Edeka-Markt Informationen über eine Laugenbrezel zu bekommen. Der Discounter wirbt in seinem Backbereich in fast kitschigen Slogans mit «Tradition» und «Leidenschaft». Die Verkäuferin gibt ihm einen 240-seitigen Ordner, in dem er nach zehn Minuten Suche dann die Laugenbrezel findet. In der Liste steht:
«Zutaten: WEIZENMEHL, Trinkwasser, Hefe, pflanzliches Öl: Raps, Speisesalz, MALZMEHL (GERSTE, WEIZEN), WEIZENKLEBER, Emulgatoren: Mono- und Diacetylweinsäureester von Mono- und Diglyceriden von Speisefettsäuren; Säureregulatoren: Natriumhydroxid, Calciumcarbonat, Calciumphosphat; Stabilisator: Xanthan, Mehlbehandlungsmittel: Ascorbinsäure, Enzyme (Hydrolasen, Transferasen).»
Zur Erinnerung: Zur Herstellung von Brot braucht es grundsätzlich nicht mehr als Mehl, Hefe und Wasser. Bei der Brezel käme noch Natriumhydroxid für den Laugeneffekt dazu.
«Bio» schmeckt auch selten besser
«Der Supermarktkompass» ist eher ein Aufklärungsbuch als ein Einkaufsführer. Bode untersucht gängige Lebensmittel wie Brot, Fleisch, Tomaten, Äpfel und Honig oder auch Superfoods. Er erklärt, wie diese in den Supermarkt kommen und was die Konsument:innen alles nicht erfahren – zum Beispiel, weil Konsumenteninformation gar nicht vorgeschrieben ist. Es gibt Info-Kästen mit wesentlichen Punkten, zum Beispiel über Aromastoffe.
Wie das taz-Podium kommt auch Bodes Buch nicht ohne kräftige Pointen aus, was aber kein Mangel ist. In vielen Beispielen finden sich Leserinnen und Leser wieder. Wem die geschmacklosen Tomaten in einem Discounter nicht passen, der könne dieselbe Sorte zwar nebenan für ein paar Cent weniger kaufen. Aber eine andere Sorte bekomme er nicht, schreibt Bode.
Bioprodukte schmeckten im Allgemeinen nicht besser und ihre Qualität sei vergleichbar mit konventionell produzierten Lebensmitteln, schreibt Bode und belegt seine Aussagen mit Umfragen und Tests. Den einzigen Unterschied – die geringere Pestizidbelastung – können Kunden weder sehen noch schmecken. [Bio-Liebhaber:innen finden insbesondere Karotten, Kartoffeln, Randen und bestimmte andere Gemüse geschmacklich deutlich besser. upg.]
Und wer hat eigentlich festgelegt, dass Kund:innen Plastikpakete mit genau drei unterschiedlich farbigen Peperoni kaufen wollen? Wahlfreiheit sieht anders aus.
Wenn sich fast nichts mehr unterscheidet, gewinnt entweder der Impuls oder der Geiz
Discounter, so Bode, seien auch nicht schlechter als andere Supermärkte. Qualität orientiere sich schon lange nicht mehr am Preis. Das zeigten Tests von Organisationen wie «Stiftung Warentest» oder «Öko-Test». Das günstigste Produkt schneidet im Qualitäts-Ranking immer mal wieder am besten ab.
Qualität und Preis hätten sich entkoppelt, resümiert er. Die deutsche Lebensmittelindustrie habe zum «Qualitätsblindflug» angesetzt. Transparenz gebe es kaum. Die Kundschaft? Im Informationsinferno «definitiv: lost». Ihr bleibe die werbegesteuerte Impulsauswahl oder die rationale Wahl nach dem Portemonnaie. Geiz als letztes Mittel also.
Die «Berliner Bio-Blase», zu der sich taz-Moderator Jan Feddersen zählt, darf sich trotzdem bestätigt fühlen. Bodes Buch erklärt einiges, was der informierte Kunde bereits ahnt oder neu erfährt: Marmelade darf in Deutschland per Gesetz nicht Marmelade heissen. Stattdessen gibt es «Erdbeer-Fruchtaufstrich» und «Himbeer-Konfitüre». Aber Vorsicht, Konfitüre ist kein Fruchtaufstrich und auch keine «Konfitüre extra». Wer Honig kauft, unterstützt womöglich mafiöse Strukturen. Ausbeutung in der Lieferkette ist eher die Regel als die Ausnahme. Und wo «Erdbeere» draufsteht, muss nicht unbedingt Erdbeere drin sein. Oder nur mickrig wenig.
Die «Big Four» und warum sich nichts ändert
Bode fragt, wer im deutschen Lebensmittelmarkt überhaupt noch Entscheidungsgewalt hat. Die Konsument:innen seien es jedenfalls nicht. Eher schon die grossen Lebensmittelketten, die 85 Prozent des Marktes kontrollieren und die Politik, die die Regeln dazu macht.
In Deutschland beherrschen vier Grossunternehmen den Lebensmittelmarkt. Aldi, Edeka, Lidl und Rewe mit ihren Discounter-Töchtern Netto, Kaufland und Penny kontrollieren 85 Prozent davon. Die «Big Four», wie sie Bode nennt, stützen sich auf die grossen Zulieferer, denen sie die Bedingungen diktieren können. Es gewinnen die, die möglichst günstig möglichst gleichförmige Lebensmittel liefern können.
Auch Zulieferer und Grosskonzerne seien im Dumping-Wettbewerb gefangen, zeigt der Autor und Aktivist auf. Der Lidl-Konzern, der im Alleingang versuchte, nur fair gehandelte Bananen zu verkaufen, scheiterte und musste den Versuch abbrechen. Zu viele Marktanteile gingen an die Konkurrenz.
Die Politik und warum sich nichts ändert
Die Regeln, seien sie ländertypisch oder EU-weit gültig, sind wiederum alles andere als konsumentenfreundlich, denn sie regeln vor allem den Umgang der Mitbewerber untereinander. Mit viel Lobbyarbeit stellten die grossen Konzerne und die Supermärkte dabei sicher, dass die Kund:innen möglichst wenig wissen, legt Bode dar. Die Auswirkungen kennt jeder Supermarktkunde, nicht nur in Deutschland: extrakleine, kontrastarme Schrift auf den Produkten oder Nicht-Informationen wie «enthält Zutaten aus EU-Ländern und Nicht-EU-Ländern».
Seit seinem Buch «Abgespeist», das er 2007 publizierte, habe sich nichts zum Besseren geändert, findet Bode im Talk. Die Konsument:innen seien schlechter informiert und machtloser als je zuvor. Bio-Produkte seien weiter ein Nischenmarkt. Wer denke, dass er mit seiner Kaufentscheidung den Markt beeinflussen könne, liege falsch.
Wer «bio» kauft, tut wenigstens sich selbst etwas Gutes
Alles sinnlos also? Nicht ganz, sagt Bode. Wer Bio-Ware kaufe, tue beispielsweise sich selbst etwas Gutes. Und auch das geltende Recht wie die EU-Basisverordnung habe seine Vorteile – es müsste nur konsequent angewandt werden. Kennzeichnungsvorschriften, so konsumentenfeindlich sie seien, liessen sich ändern. Lieferketten liessen sich kontrollieren. Bio sollte längst Standard sein.
Änderungsansätze sieht der Autor und Aktivist vor allem auf politischer Ebene. Er fordert unter anderem eine Umverteilung der EU-Milliarden-Subventionen für die Landwirtschaft, die Einführung griffiger Klima-, Düngemittel- und Pestizidabgaben und die Gründung einer gesamteuropäischen Konsumentenschutzbehörde.
Veranstaltungshinweis: Thilo Bode spricht am Dienstag, 23. Mai, 19.30 Uhr in der Schöpflin-Stiftung in Lörrach (von Basel aus gut erreichbar).
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Man schaue sich mal den Preis dieses Buches in EUR und CHF an!!
Was Thilo Bode über den Lebensmittelmarkt in Deutschland und in der EU sagt, gilt ähnlich auch in der Schweiz. Die «Macht des Kunden» beschränkt sich weitestgehend auf den Entscheid, das Billigste oder gar nichts zu kaufen. Um die Grossen im Lebensmittelhandel zu Transparenz und Nachhaltigkeit zu zwingen, braucht es die kollektive Macht der Kundschaft, und genau da dran mangelt es enorm in einer neoliberalisierten Gesellschaft von einzelkämpfenden armen Seelen.
(Danke für den Artikel!)
Ab zum Wochenmarkt, lokale Produzenten finden, an den Ständen Informationen einheben. Ab-Hof-Läden – gibt es auch mit Selbstbedienung – herausfinden. Brot selber backen; mit Hefe ein Kinderspiel, mit Sauerteig schwieriger aber hinzukriegen. Gemüse selber einsäuern (selbstgemachtes Sauerkraut schmeckt viel besser als gekauftes). Selber ernten – das geht auch in Städten: Es gibt massenweise herrenlose Holunderbüsche, Apfel-, Mirabellen-, Walnussbäume, Wildobst, das schon unsere germanischen Vorfahren liebten (Holzapfel, Schlehe, Hagebutten, Mispeln) etc. Wenn verfügbar, etwas im Garten, Balkon oder Fensterbank anbauen. Selbsternteparzellen buchen bzw. mit extrem viel Glück einen Schrebergarten ergattern. Importiere Produkte soweit wie möglich meiden usw. usw. Der «Konsument» ist mitnichten machtlos und an schlechter Information höchstens selber schuld. Man muss auch nicht den ganzen Tag Kaffee trinken und ständig Schokolade essen.
Das ist jetzt etwas sehr vereinfachend. Und hier liegt vielleicht das Grundproblem.
Zu Viele haben nicht Zeit und Lust, sich vertiefend zu informieren, aus z.T. nachvollziehbaren Gründen wie z.B. durch den täglichen Nachrichtentsunami überfordert zu sein.
Beispiel Palmöl: die meisten Leute verstehen nur «Palmöl böse». Dabei ist aber Palmöl eines der ökologisch besten Öle, da der Ertrag pro Ressource sehr günstig ist. Das Problem sind die mafiösen Zustände in der weltweiten Nahrungsmittelindustrie, der es egal ist, wenn Urwälder abeholzt und Menschen vertrieben oder gar umgebracht werden, wenn nur der Profit stimmt.
Dass solche Zusammenhänge den Meisten nicht klar sind oder sie einfach weniger interessieren als die Waffen für die Ukraine, ist den Schurken durchaus recht. Und wird entsprechend gefördert.
Palmöl ist ungesund und sehr kosteneffizient herzustellen. Das sind doch bereits 2 gute Gründe um es in grossen Mengen in Fertigprodukten zu verquanten… en guete