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Sara Stalder (46) ist seit April 2008 Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz SKS © SKS

«Auch auf dem Bio-Markt kann betrogen werden»

Urs Zurlinden /  Pferdefleisch in der Lasagne, Lebensmittel im Abfall - und ist Bio wirklich Bio? Sara Stalder hat viel zu tun. Das Interview.

Frau Stalder, mögen Sie Lasagne?
Sara Stalder: Ja, ich mag Lasagne sehr und zwar in verschiedenen Variationen. Aber bei der Zubereitung habe ich meine Qualitätsansprüche.
Wie reagierten Sie, als Sie vom Pferdefleisch in der Lasagne hörten?
Ich fragte mich sogleich, wie lange es wohl gehe, bis dieser Skandal auch die Schweiz erreicht. Denn mir war bewusst, dass so etwas nicht vor der Landesgrenze Halt macht.
Die fragliche Lasagne war qualitativ völlig problemlos – nur falsch deklariert?
Betrug führte zu diesen falschen Deklarationen. Dadurch wurden sehr viele Leute weitläufig getäuscht.
Inzwischen haben die Konsumentenschutz-Organisationen Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht. Was erhoffen Sie sich davon?
Wir erwarten eine lückenlose Aufklärung mit umfassender Information der Öffentlichkeit und natürlich, dass Bussen ausgesprochen werden.
Die betroffenen Produkte wurden umgehend aus den Regalen genommen und weggeworfen. Musste das sein?
Das müsste nicht sein: Die Schweizer Gesetzgebung ist auf einen derart weitläufigen Skandal aber nicht vorbereitet. Es ist wirklich schade, dass wertvolle Nahrungsmittel weggeworfen werden mussten.
In der Schweiz landet ein Drittel der Lebensmittel im Abfalleimer. Eine skandalös hohe Zahl?
Das ist ein Irrsinn, der unbedingt korrigiert werden muss. Bei dieser immens hohen Zahl geht es nicht in erster Linie darum, einzelne Schuldige zu suchen: Die ganze Wertschöpfungskette ist in der Pflicht, diese Abfallmenge drastisch zu reduzieren.
Ist das nur das Problem der Überflussgesellschaft?
Es ist so: Die Gesellschaft, in der wir leben, kann es sich leisten, dass eine etwas zu krumme Salatgurke weggeworfen wird, weil sie nicht in die vorgesehene Styropor-Verpackung passt. Das grenzt an Dekadenz!
Das Verfalldatum wird von den Lebensmittelherstellern festgelegt – um den Absatz zu erhöhen?
Wir sind überzeugt, dass es auch darum geht, den Absatz zu erhöhen. Die Hersteller führen jeweils ins Feld, es gehe nur um die Lebensmittelsicherheit. Da haben wir unsere Zweifel. Es ist klar: Die Lebensmittel müssen sicher sein, da kann sich der Hersteller keine Nachlässigkeit leisten. Aber es sind jeweils wirklich grosszügig berechnete Daten aufgedruckt. Daher sind wir sicher, dass das Verfalldatum auch den Absatz erhöhen muss.
Als 2011 ruchbar wurde, dass Coop eigentlich abgelaufenes Fleisch auspackte und im Offenverkauf anbot, ging ein Aufschrei der Entrüstung durchs Land. Zu Recht?
Ja, wir waren ebenfalls empört. Denn das war wiederum ganz klar eine absichtliche Täuschung. Auch wenn es nicht direkt um Gesundheitsfragen geht, muss so etwas deklariert werden. Dann kann der Konsument entscheiden, ob er eine solches Produkt kaufen will oder nicht.
Sie haben für 2013 eine Kampagne gegen die Wegwerfmentalität angekündigt. Wie weit sind Sie?
Wir stehen am Anfang und stecken in Verhandlungen mit verschiedenen Bundesämtern und mit unseren Partnerorganisationen. Wann die Kampagne gestartet wird, ist noch offen.
Was erhoffen Sie sich von der Kampagne konkret?
Es soll deutlich weniger Abfälle produziert werden, beziehungsweise weniger noch geniessbare Produkte weggeworfen werden. Und es sollte sich allen jederzeit bewusst sein: Lebensmittel gehören nicht in den Abfall!
Pferdefleisch wurde auch in italienischen Ravioli und Tortellini entdeckt. Warum gerade Pferdefleisch?
Diese Frage haben wir uns auch gestellt. Bis heute wissen wir die schlüssige Antwort nicht. Grundsätzlich ist Pferdefleisch ein hochwertiges Fleisch. Zu vermuten ist, dass es um eine Bande geht, die in dieser Szene Pferdefleisch zu Spottpreisen handeln kann – oder vielleicht sogar nur Abfallfleisch verwendet.
Haben Sie den «Kassensturz»-Beitrag über die Pferdefarmen in Kanada, Argentinien und Mexiko gesehen?
Ja, den Beitrag habe ich mir teilweise nachträglich angeschaut.
Was ist für Sie gravierender: Die Irreführung der Konsumenten oder die tierquälerische Haltung der Pferde?
Das sind zwei ganz verschiedene Problembereiche. Sie hängen zwar indirekt zusammen, aber sie können nicht gegeneinander aufgewogen werden. Eine Klassierung dieser zwei unterschiedlichen Szenenfelder ist meines Erachtens nicht möglich. Die Bilder von diesen Pferdefarmen waren für mich aber schockierend und sollten alle zum Nachdenken anregen.
Die mit Pferd gepanschte Lasagne gab’s gleich in mehreren Ländern Europas. Waren Sie überrascht?
Das hat mich keineswegs überrascht: Der Fleischhandel ist inzwischen global und zwischen bestehenden Zentren vernetzt.
Der Skandal eröffnete einen Blick auf den völlig unübersichtlichen, internationalen Fleischhandel. Ein Herkunftsnachweis ist in einem solchen Markt illusorisch.

Nein, da sind wir ganz klar nicht dieser Meinung. Ein Herkunftsnachweis ist möglich, vor allem wenn die Wege wieder kürzer werden. Es macht keinen Sinn, ein Lebensmittel um die halbe Welt zu karren, um es dann irgendwo in ein Verkaufsregal zu stellen.
Besteht Handlungsbedarf auch für die Schweiz?
Ja, diesen Handlungsbedarf sehen wir, und insofern kommt der Pferdefleisch-Skandal gerade zum richtigen Zeitpunkt: Das Parlament revidiert zur Zeit das Lebensmittelgesetz, dort werden solche wichtige Fragen geregelt.
Das Thema ist in der jetzigen Frühlingssession des Nationalrates traktandiert. Wie sind Ihre Forderungen?
Unsere Präsidentin wird drei Forderungen vertreten: Erstens die Herkunftsdeklaration darf nicht aufgeweicht werden, auch für verarbeitete Produkte nicht. Zweitens die Kontrolle: Sie ist kantonal geregelt, sollte aber national besser koordiniert sein. Und drittens die Bussen: Zur Zeit könnten die kleinen Bussgelder mit der Kaffeekasse der betroffenen Unternehmen beglichen werden.
Wird generell zu viel Fleisch gegessen?
Ja, und der Fleischhunger steigt weltweit.
Kürzlich mussten nach einem Verkehrsunfall bei München 700 Ferkel notgeschlachtet werden. Der Tiertransport war von Dänemark nach Italien unterwegs – weil es die Konsumenten so wollen?
Die Konsumenten wollen das nicht so, sie wissen in der Regel auch nicht, was im Hintergrund passiert! Leider spielen die Transportkosten überhaupt keine Rolle. Dadurch werden enorme Distanzen über die ganze Welt hinweg in Kauf genommen, um von einem Verarbeitungsschritt zum nächsten zu gelangen. Die Transportkosten sollten endlich richtig eingerechnet werden, sodass solche Produkte teurer würden. Die Realität ist aber so: Weit weg produzierte Lebensmittel sind deutlich billiger als die regional hergestellten. Das ist absurd. Ein Beispiel: Dörrbohnen aus China kosten einen Drittel der Dörrbohnen aus der Schweiz!
Sind Nahrungsmittel generell zu billig auf dem Markt?
Das Verhältnis zwischen dem Preis, welcher die Produzenten für die Rohstoffe erhalten und dem Verkaufspreis stimmt schon lange nicht mehr. Die Schere wird immer grösser: Der Zwischenhandel und die Verarbeitungsindustrie verdienen hingegen sehr gut an verarbeiteten Lebensmitteln. Die Preise auf dem Markt müssten als erstes zu Gunsten der Produzenten korrigiert werden. Das heisst aber nicht, dass die Verkaufspreise dann deutlich steigen würden, denn vorerst müssen die Zwischenstationen ihre Margen deutlich verkleinern.
In Deutschland kostet eine Lasagne 1.45 Euro. Wie rechnet sich das noch?
Das ist in der Tat erstaunlich. Denn gerade bei verarbeiteten Produkten holt der Zwischenhandel eine grosse Marge heraus. Es rechnet sich nur noch, weil die Rohstoffe nichts mehr kosten dürfen.
Ist der Pferdefleisch-Skandal der Preis für diese Billig-Mentalität?
Man muss fair sein: Der Pferdefleisch-Skandal ist ein Betrug, bei dem vermutlich viel Geld verdient wurde. Im Normalfall herrscht aber Wettbewerb: Je billiger die Produkte sein müssen, desto billiger werden auch die Rohstoffe produziert und man sucht ständig nach noch billigeren Lösungen. Das ist eine gefährliche Abwärtsspirale, die unbedingt aufgehalten werden muss.
Die Deutschen geben nur noch 11 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus, die Franzosen 15, die Portugiesen 20 Prozent. Der Trend zeigt klar nach unten?
Die Schweizer geben gemäss Bundesamt für Statistik sogar unter 7 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel aus. Eigentlich ist es schon so: Die Lebensmittel können ihren Wert auf dem Markt nicht mehr lösen.
Eine Ihrer SKS-Broschüren gibt Tipps: «Grenzenlos einkaufen». So fördern Sie das Billigpreis-Denken.
In dieser Broschüre geht es um rein technische Ratschläge, wie hoch beispielsweise die Freimengen sind oder was zu beachten sei beim Empfang von Paketen aus dem Ausland. Mit dieser Broschüre fördern wir das Billigpreis-Denken keineswegs, sondern listen nur auf, was als Privatperson bei der Einfuhr von Waren alles zu beachten sei – und das ist eine ganze Palette an Vorschriften!
Dennoch: Die allgemein verbreitete Schnäppchen-Jagd animiert zur Produktion billiger Nahrungsmittel. Einverstanden?
Es sind zwei Dinge zu unterscheiden: Einerseits gibt es international hergestellte Produkte wie Kosmetika, Kleider, Spielzeuge oder Software. Diese werden irgendwo auf der Welt –vielfach in Billiglohn-Ländern – hergestellt und in die Schweiz importiert. Hier in der Schweiz wird dann ein Preiszuschlag erhoben, weil die hohe Kaufkraft der Schweizer abgeschöpft werden will. Dieser ungerechtfertigte Zuschlag Schweiz fliesst aber in irgendein grosses, internationales Unternehmen ab. Davon hat die Schweizer Volkswirtschaft überhaupt nichts. Wir bekämpfen solche überhöhten Preise, die keinerlei Mehrwert bieten. Bei den Lebensmitteln ist es anders: Korrekte Produktionsmethoden sollen auch richtig entlöhnt werden. Da setzen wir uns für eine faire Preisbildung ein.
Deutschland ist bekannt für seine Lebensmittelskandale: Da landete Gammelfleisch auf Kebab-Spiessen, dann waren gefährliche Darmkeime auf Salatsprossen, und jetzt platzte der Bio-Eier-Skandal. Zufall?
Aus der Ferne lässt sich das nicht beurteilen. Deutschland hat aber ähnlich wie die Schweiz die Kontrollen regional geregelt. Falls die Kontrollen nicht gut koordiniert werden, bleiben solche Skandale lange Zeit unbemerkt.
Der Eier-Skandal wirft ein schiefes Licht auf die Bio-Label. Wie gross ist der Schaden?
Es ist wichtig, dass Labels wie Bio oder IP-Suisse glaubwürdig bleiben. Die Organisationen müssen also immer wieder darauf achten, dass die Kontrollen streng sind, dass sie reibungslos funktionieren – und dass Verstössse umgehend sanktioniert werden. Wenn dem so ist, dann kann man getrost auf diese Label setzen. Auf die Schweizer Bio-Szene dürfte der jüngste Skandal keinen grossen Einfluss haben, aber es ist ein Warnschuss.
Können Sie garantieren, dass in der Schweiz auch Bio ist, was als Bio verkauft wird?
Vor rund einem Jahr flog ja dieser Betrug von Bio-Produkten aus Italien auf. Es ist immer so: Auch auf dem Bio-Markt kann betrogen werden. Daher braucht es eben ganz klare Spielregeln und entsprechende Kontrollen.
Die Bio-Bauern klagen, der Mehraufwand würde ihnen kaum abgegolten. Sind Bio-Produkte zu billig?
Auch die Bio-Bauern sollen für ihren Aufwand fair abgegolten werden. Der Zwischenhandel, die Verarbeitungsindustrie und der Detailhandel müssen sich überlegen, wie gross ihre Margen sein sollen. Es geht nicht, dass wir Konsumenten immer mehr bezahlen, die Produzenten hingegen immer weniger erhalten. Diese Rechnung geht einfach nicht auf!


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Das Interview mit Sara Stalder erschien zuerst in der "Südostschweiz am Sonntag"

Zum Infosperber-Dossier:

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Konsumentenschutz

Einseitige Vertragsklauseln. Täuschungen. Umweltschädlich. Hungerlöhne. Erschwerte Klagemöglichkeiten.

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Eine Meinung zu

  • am 5.03.2013 um 19:42 Uhr
    Permalink

    Nur Utopisten konnten annehmen, dass die Unmengen an ‹biologischen› Nahrungsmitteln, die heute in allen Grossmärkten angeboten werden, ‹biologisch› erzeugt werden konnten. Bio-logisch ist doch alles was von selbst wächst… Das Prinzip ökologisch zu nennen, hat sich weiland niemand getraut. Und den Rest hat die EU mit ihrer Gleichmacherei erledigt. Wenn wir nicht so weit kommen, dass die heutige intensive Landwirtschaft komplett auf exzessiv umgestellt wird (und das erfordert Reduktion der Gier der Konsumenten), wird es nur beneidenswerte Selbstversorger und einige Privilegierte geben, die zufällig in der Nähe von nachhaltig wirtschaftenden Bauernhöfen wohnen und sich dort selbst eindecken können. Die Nahrungsmittel-Multis werden sich nie um die Gesundheit der Kunden scheren. Kennt jemand noch den Unterschied zwischen Nahrungs- und Lebens-Mittel? In letzterem steckt noch Leben, und das war ursprünglich der Zweck der Nahrungszufuhr!

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