Sie predigen Vegi und verschleudern Fleisch
Gerade mal fünf Monate sind vergangen, seit die Grossverteiler die vegane Ernährung propagiert und den Januar als «Veganuary» gefeiert haben. Das scheint alles vergessen zu sein. Nun ist Grillsaison. Und die Schweizer Grossverteiler haben kein Interesse daran, ihren Kunden auch Fleischloses für den Grill schmackhaft zu machen.
Schon Ende April haben sie damit begonnen, Grill-Fleisch ausgiebig zu bewerben und den Verkauf mit hohen Rabatten angekurbelt. Veganes Grillgut, Grillkäse oder Fisch gab es hingegen kaum in den Aktionsangeboten.
Der WWF hat Zahlen zu diesem Phänomen erhoben und kritisiert: «Massenweise Werbung für umweltschädliche Produkte ist nicht mehr zeitgemäss.»
Und trotzdem machen es die Grossverteiler: Innert vier Wochen haben sie 150 Grillprodukte reduziert angeboten, 95 Prozent davon waren tierischen Ursprungs.
Insgesamt waren 88 Prozent der rabattierten Grillprodukte Fleisch, nur fünf Prozent vegane Ersatzprodukte, vier Prozent Grillkäse und drei Prozent Fisch & Meeresfrüchte.
Mehr Rabatt für Fleisch
Stossend daran ist, dass fürs Fleisch nicht nur mehr geworben wurde, sondern dass es auch stärker verbilligt war. Für vegetarische Produkte gab es durchschnittlich 22 Prozent Rabatt, für Fleisch 29 Prozent.
Die am häufigsten in Aktion erhältlichen Fleischsorten waren Schwein (28 Prozent), Geflügel (20 Prozent) und Rind (19 Prozent). Nur Coop, Denner und Migros boten auch vegane Grill-Produkte oder Grillkäse zum Aktionspreis an.
Mariella Meyer, Senior Manager Sustainable Markets beim WWF Schweiz, findet: «Die Schweizer Detailhändler sollen Vegi-Alternativen mindestens genauso bewerben und rabattieren wie Fleisch.»
Kein Wunder nimmt der Fleischverbrauch in der Schweiz nicht ab, sondern stagniert seit Jahren bei jährlich gut 50 Kilo pro Person.
Aktionen kurbeln Verkauf an
Wie stark der Einfluss von Rabatten auf die Verkaufszahlen sind, hat das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) berechnet. «Aktionen sind ein etabliertes Mittel zur Absatz- und Umsatzsteigerung im Schweizer Detailhandel», stellt die Behörde fest. Und: Beim Fleisch liegt der Umsatz, der mit Aktionen erzielt wird, bei 41 Prozent.
Auch der Bund hilft kräftig mit, den Fleischverkauf anzuheizen. Er versorgt die Genossenschaft der Schweizer Fleischwirtschaft Proviande jedes Jahr mit mehreren Millionen Franken an Subventionen, damit diese ihr Fleisch bewerben kann. Dies, obwohl das Geld aus der Bundeskasse immer wieder kritisiert wird.
Der grosse Widerspruch
Seltsam bei diesen hohen Fleischrabatten ist, dass sich die Grossverteiler vordergründig stark um ein «Gemüse-Image» bemühen, jedoch ein Doppelspiel betreiben.
Auch in den Rezepten und Grill-Tipps wimmelt es von vegetarischen und veganen Vorschlägen mit Maiskolben, Auberginen und Peperoni. Doch wenn es ums Verkaufen geht, ist das günstige Gemüse nur Beilage. Umsatz machen lässt sich mit dem teuren Fleisch.
Schweiz nicht besser als andere
Der WWF hat auch in den deutschsprachigen Nachbarländern die Grill-Aktionen geprüft und festgestellt: Sowohl in Österreich als auch in Deutschland wird hauptsächlich für Fleisch geworben. Mit einem kleinen Unterschied: In der Schweiz gibt es etwas mehr Reklame für Fleischersatzprodukte als in Deutschland. Dafür setzt Deutschland mehr auf Grill-Käse.
So hat der WWF untersucht
Vom 24. April bis 21. Mai hat der WWF die Aktionsblätter und die Werbung von Coop, Migros, Lidl, Aldi, Denner und Volg untersucht. In die Analyse aufgenommen hat er alle beworbenen und rabattierten Fleischprodukte, welche sich zum Grillieren eignen, für den Grill ausgewiesene Fisch- und Meeresfrüchteprodukte, vegane Ersatzprodukte für den Grill und Grillkäse.
Gefunden hat der WWF 243 Grillprodukte, davon 201 Fleischprodukte, 18 Fisch- und Meeresfrüchte-Angebote, 16 vegane Ersatzprodukte und 8 Grillkäse.
Die Analyse wurde während der gleichen Zeit in Österreich und Deutschland durchgeführt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Danke für diesen Beitrag. Ich habe diese Diskrepantz schon oft vermutet, hier die Bestätigung. Image und Realität sind leider weit weg auseinander und das Karroussel dreht, was warum wie gemacht wird munter weiter: der Konsument ist schuld weil er es nicht anders will, der Produzent produziert wie immer (zu viel) saisonbedingt weil es ja funktioniert, die Detailhändler machen Aktionen für die Anbieter, die die Differenz stemmen wollen und können, warum sollten sie es anders machen: das System ist gut geschmiert. Ich zweifle immer mehr daran, dass wir mit der heiligen Schweizer Freiwilligkeit es schaffen werden, unsere Klimaziele zu erreichen.
Mich stört diese ideologische und kompromisslose Haltung. Ich verstehe dass die Grossverteiler die ganze Produktepalette anbieten.
Danke für diesen denkwürdigen Artikel.
Die Sache ist jedoch einiges vertrakter. Ohne Konsument:innen-Verhalten und gesetzliche Vorgaben wird sich wenig ändern. Es beginnt bei der Landwirtschaft und endet beim Foodwaste.
Die Grossverteiler buchen ihre Fleischkontingente zeitgenau jeweils schon im Vorjahr. Die Verträge mit den Bauern und Fleischorganisationen liefern die Grundlagen für die «Produktion» in der weitestgehend durchrationalisierten Tier- und Fleischwirtschaft.
Wenn nun die Grillsaison wetterbedingt erst später losgeht oder während «Schlechtwetterphasen» kommt viel zu viel Fleisch zum Verkauf. Die Preise in den Läden «müssen» runter und «dank» Aktionen füllen die Fleischliebhaber ihre Tiefkühler mit den Billigangeboten, denn wer will bei Regen und Kühle draussen grillieren? Später lockt frisches Fleisch und damit geht viel auf Vorrat gekauftes Fleisch früher oder später in den Abfall. Rund 50% des Fleisches wird so aktuell zu Foodwaste.
«Insgesamt waren 88 Prozent der rabattierten Grillprodukte Fleisch, nur fünf Prozent vegane Ersatzprodukte»
«Gefunden hat der WWF 243 Grillprodukte, davon 201 Fleischprodukte, [..] 16 vegane Ersatzprodukte»
Alleine durch das Verhältnis der Produktekategorien war zu erwarten, dass auch mehr Rabatte bei Fleischprodukten zu finden sind. Das ist einfachste Statistik.
Sie haben 15x mehr Fleischprodukte beobachtet. Also wäre es logisch, das sie auch 15x mehr Rabatte bei Fleischprodukten finden würden.
Sie haben jedoch nur 12,6x mehr Rabatte bei Fleischprodukten gefunden.
Das heisst: Das Ergebnis kann man mit einfachster Statistik leicht erklären. Es hatte prozentual sogar mehr Rabatte bei veganen Produkten als bei Fleischprodukten.
Nur absolut betrachtet hatte es mehr Rabatte bei Fleischprodukten – was jedoch bei dem untersuchten Verhältnis nicht erstaunt.
Besonders in der Schweiz geht man doch vom selbstverantwortlichen mündigen Bürger aus; die Leute sollen und dürfen selbst entscheiden was sie essen. Und das ist auch gut so. Wir brauchen keine obrigkeitsstaatliche Bevormundung. Wer gutes Fleisch schätzt und bereit ist, etwas mehr zu bezahlen, kauft es sowieso nicht im Supermarkt, sondern vom Bauern ab Hof oder am Wochenmarkt. Man kann auch mit kleinen Mengen Fleisch, asiatisch dünn geschnitten und kurz gebraten, eine vierköpfige Familie mit schmackhaften Gerichten satt bekommen. Ab und zu eine Innerei wie Leber oder Niere ist auch nicht teuer und voll mit guten Inhaltsstoffen. Wer einmal gutes Fleisch genossen hat, will kein Quälkotelett aus dem Supermarkt mehr auf den Grill legen – hier muss man ansetzen, wenn man eine Konsumänderung erreichen möchte. Alternativen zeigen, überzeugen, verkosten.