Kommentar
«Suisse Secrets»: Kantengang zwischen Recht und Moral
(Red.) Thomas Kesselring war bis 2013 Professor an der Pädagogischen Hochschule Bern und bis 2015 Dozent an der Pädagogischen Universität von Mosambik. Er ist Mitglied vom Rat Kontrapunkt. Thomas Kesselring informiert auf Infosperber bereits seit 2016 über den Kreditskandal in Mosambik und die Rolle der Credit Suisse.
Gegen die Enthüllungen der «Suisse Secrets» vom 20. Februar über das Geschäftsgebaren der Credit Suisse setzte sich die Bank umgehend zur Wehr: Die Anschuldigungen seien unzusammenhängend und beträfen mehrheitlich weit zurückliegende, längst abgeschlossene Fälle. Das OCCRP (Organized Crime & Corruption Reporting Project – ein Konsortium von 45 Medien aus 39 Ländern) bezwecke mit diesen Enthüllungen, den Schweizerischen Bankenplatz in Verruf zu bringen.
Am 4.3.2022 doppelte der Rechtsanwalt Dimitrios Karathanassis in der NZZ nach: Der Verstoss gegen das Bankgeheimnis, der die Daten-Auswertung von 18’000 Konten ermöglichte, sei ein moralisch nicht gerechtfertigter Rechtsbruch. Dabei beruft sich Karathanassis auf den deutschen Rechtsgelehrten Gustav Radbruch, der 1946 ein Kriterium dafür formulierte, unter welchen Umständen eine Gesetzesübertretung moralisch legitim sei. Positives Recht sei grundsätzlich auch dann anzuwenden (ich zitiere Karathanassis), «wenn es ungerecht und unzweckmässig ist, denn es gewährt Rechtssicherheit.» Eine Ausnahme sei nur gestattet, «wenn die Ungerechtigkeit des geltenden Rechts ‹unerträglich› ist oder das geltende Recht nicht einmal das Ziel verfolgt, gerecht zu sein». Mit diesem Kriterium hatte sich Radbruch auf die Gesetze des nationalsozialistischen Unrechts-Regimes bezogen.
Das Bankgeheimnis – so Karathanassis weiter – diene allein dem Schutz der Privatsphäre. Beim OCCRP gehe man von einer falschen Unterstellung aus, wenn man den Schutz der Bankkunden lediglich für einen Vorwand halte und die Verschleierung schmutziger Bankgeschäfte als den eigentlichen Zweck des Bankgeheimnisses ansehe. Manche Medienberichte über die Suisse Secrets zitierten den FDP-Nationalrat Ruedi Noser mit einem ganz ähnlichen Argument. Als Beispiel unsauberer Bankgeschäfte, die man zum Schutz der Privatsphäre in Kauf nehmen müsse, erwähnen Karathanassis und Noser die Beihilfe zur Steuerhinterziehung – und nur sie.
Diese Argumentation erweist sich jedoch in mehrfacher Hinsicht als mangelhaft:
1. Die höchsten Strafen, die Schweizer Banken in den USA und anderen Ländern eingefangen haben, galten zwar hauptsächlich der Mithilfe zur Steuerhinterziehung. Aber die Suisse Secrets beziehen sich auch auf andere und krassere Vergehen, nämlich Geldwäscherei im Kontext von Drogen- und Waffenhandel, Betrug und Korruption generell.
2. Rechtssicherheit ist nicht nur in der Schweiz ein hohes Gut, sondern überall, wo sie existiert. Die Globalisierung bringt es aber leider mit sich, dass Schweizer Banken auch Gelder aus Ländern mit schwacher oder gänzlich fehlender Rechtssicherheit verwalten. Die Einführung des internationalen automatischen Informations-Austausches (AIA) im Jahr 2018 erschwert zwar schmutzige Geschäfte ganz erheblich. Aber ein Grossteil der übrigen 90 Länder, auf die sich die AIA nicht bezieht, sind besonders arm und können kaum als Rechtsstaaten betrachtet werden.
Eine prominente Rolle in den Suisse Secrets spielt in diesem Kontext Venezuela, wo die Rechtsstaatlichkeit seit langem zunehmend erodierte und wachsende Teile der Bevölkerung verarmte. Das hinderte die CS nicht, für problematische Figuren – einen Drogenschmuggler, einen als Schmiergeldempfänger berüchtigten Funktionär oder den Bodyguard von Hugo Chavez, Konten zur Verwaltung hoher Millionenbeträge zu eröffnen. Ein anderes Beispiel ist Kasachstan: Für die Tochter des langjährigen Diktators, Dariga Nasarbajewa, verwahrte die CS 21 Mio. Franken. (Nicht nur die CS war Frau Naserbajewa günstig gesinnt, sondern auch der Kanton Genf, der ihr für 106 Millionen Franken das Schloss Bellerive verkaufte.)
3. Besonders pikant sind die Enthüllungen der Suisse Secrets über den bankinternen Schlendrian bei Compliance-Prozessen. Sie zitieren ein paar Faustregeln, die nach Aussagen eines anonymen Bankangestellten bei verlockenden, aber zwielichtigen Geschäften zur Anwendung kamen: «Stelle keine Fragen, auf die du die Antwort nicht hören willst»; «Kratze nicht an der Oberfläche»… Und sie erwähnen einen weiteren Banker, der seinen Vorgesetzten über einen Verdachtsfall unterrichten wollte, von einem Kollegen aber gewarnt wurde, wenn er das tue, werde er seine Stelle verlieren.
Die Bank wehrte sich gegen diese Berichte und behauptete, das seien speziell ausgesuchte Sonderfälle. Aber sind sie das wirklich? Im September 2018 wurde die CS von der Finanzmarktaufsicht Finma wegen einer ganzen Reihe von Verstössen ähnlicher Art gegen die Compliance gerügt.
Finma rügt die Credit Suisse wegen Mängeln bei der Geldwäschereibekämpfung
Die Finma-Rüge an die Credit Suisse vom 17. Sept. 2018 betraf drei Fälle: FIFA, brasilianische Petrobras und venezolanische Ölfirma PDVSA. Ein Auszug:
«Der untersuchte Zeitraum betraf die Jahre 2006 bis 2016. (…) Gestützt auf ihr Verfahren stellte die Finma fest, dass die Credit Suisse AG in allen drei Fällen gegen aufsichtsrechtliche Pflichten zur Bekämpfung der Geldwäscherei verstossen hat. Die festgestellten Mängel betreffen:
- die Identifizierung der Vertragspartei
- die Feststellung des wirtschaftlich Berechtigten
- die Kategorisierung als Geschäftsbeziehung mit erhöhtem Risiko
- die notwendigen Abklärungen bei erhöhtem Risiko und deren Plausibilisierung sowie
- die Dokumentation
Die festgestellten Verfehlungen traten über Jahre hinweg (…) und wiederholt auf. (…) Die Prüfungen zum Verhalten der Bank in den Fällen FIFA, Petrobras und PDVSA kommen unabhängig voneinander zu ähnlichen Ergebnissen und zeigen dieselben Muster auf.»
Gleichzeitig rügte die Finma das Gebaren der CS im Fall Lescaudron und seinen Kundenbeziehungen mit russischen Oligarchen und dem Georgischen Premierminister Bidzina Ivanishvili:
«Der angesprochene – gemessen an den verwalteten Vermögen sehr erfolgreiche – Kundenberater verletzte über mehrere Jahre hinweg wiederholt und aktenkundig Compliance-Vorschriften der Bank. Anstatt den Kundenberater wegen der Verstösse jedoch rechtzeitig und angemessen zu disziplinieren, honorierte die Bank den Kundenberater mit hohen Entschädigungen und positiven Mitarbeiterbeurteilungen. Der Sonderstatus des Kundenberaters führte dazu, dass dieser ungenügend kontrolliert wurde.»
Ein anderer prominenter Fall, der den Schlendrian der CS London bei Compliance-Verfahren bezeugt, sind die abenteuerlichen Kredite aus den Jahren 2013-14 an das mausarme Mosambik. Diese Kredite wären nie möglich gewesen, hätte die Bank die Risiken vorher seriös abgeklärt. Dabei hatte der Leiter der Abteilung Europa, Mittlerer Osten und Afrika (EMEA) bankintern mehrfach und eindringlich vor diesem Geschäft gewarnt und mehreren Versuchen seiner Kollegen widerstanden, ihn im letzten Moment umzustimmen. Dass er einen Tag später sein Amt als Abteilungsleiter EMEA verlor – angeblich wegen einer internen Umstrukturierung – und die Bank verliess, spricht nicht dafür, dass eine gewissenhafte Compliance zur Firmenkultur der Bank gehörte.
Über die Umstände und Folgen der Kreditvergabe an Mosambik hat Infosperber wiederholt berichtet: Es ging um einen Zweimilliarden-Kredit für ein schlecht geplantes Küstenschutzprojekt, bei dem die CS den Lead hatte. Bei diesem Geschäft wurden Gesetze in mehreren Ländern verletzt: Die Kredite wurden mit Schmiergeldern von ca. 200 Millionen Dollar – auch an zwei CS-Banker –, ermöglicht, die mosambikanische Staatsgarantie war verfassungs- und gesetzwidrig und die Gläubiger wurden durch die Anleihenprospekte irregeführt. Als Folge dieser Kredite entzogen der IWF und die Gläubigerländer Mosambik weitere Entwicklungsgelder, das Land wurde insolvent, und eine Million Menschen versanken in absoluter Armut. Dieser Skandal ist, was die soziale und wirtschaftliche Schadensbilanz betrifft, der mit Abstand schwerste, in den sich die CS nach der Finanzkrise verwickelt hat. Im Oktober 2021 bestraften die amerikanische und englische Bankenaufsicht die Bank daher mit einer Busse von ca. 500 Millionen Dollar und verpflichteten sie zu einem Schuldenerlass von 200 Millionen Dollar zugunsten von Mosambik. Die Busse wäre geringer ausgefallen, hätte die CS den Skandal rechtzeitig intern aufgearbeitet und seriös mit den Ermittlungsbehörden kooperiert. Die Klagen der getäuschten Gläubiger gegen die CS sind noch in Vorbereitung. Sie dürften die Bank noch weitere Hunderte Millionen Franken kosten.
In den Suisse Secrets kommt Mosambik nur am Rande vor, und zwar in einer anderen Angelegenheit: Der Banco do Moçambique unterhält bei der CS offenbar seit zwanzig Jahren ein rätselhaftes Konto, auf dem einige zig-Millionen Franken liegen. Das Konto sei nicht zur Abwicklung üblicher staatlicher Zahlungen benutzt worden und übersteige bei weitem den Betrag, der laut Angaben der Zentralbank auf ausländischen Konten liege. In Mosambik, das mit der Credit Suisse keine guten Erfahrungen gemacht hat, ist die Enthüllung dieses obskuren Kontos ein weiterer Anlass zur Beunruhigung.
Die Veröffentlichung der Suisse Secrets ist unerfreulich. In der CS leisten viele Angestellte hervorragende Arbeit, und die CS ist sicher nicht die einzige Bank, die gegen die Gesetze diverser Länder verstossen hat. Doch die Häufigkeit ihrer Skandale und das Leid, das sie damit einer schwer abschätzbaren Zahl von Menschen am unteren Rand der Weltgesellschaft – in Venezuela, Kasachstan oder Mosambik – zugemutet hat, rechtfertigt die konzertierte Aktion, mit der 45 Medien aus 39 Ländern unsere zweitgrösste Bank im Februar an den Pranger stellten.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Seit ich lesen kann…57 Jahre…lese ich das gleiche bei und von Banken: Sie sind in einen Skandal verwickelt, zahlen horrende Strafen, geloben Besserung, und das Karussel dreht sich weiter, es ändert sich gar nichts.
Leider ist es heute noch Praxis im Bankgeschäft, dass der Grundsatz gilt :
«Es ist alles erlaubt, solange man nicht erwischt wird».
Wird man in der Schweiz einmal erwischt, dann gibt es eines auf die Finger d.h. ein Rüffel, ein Büsschen im schlimmsten Fall! Die CH Gesetzgebungen und Regulierungen sind eine Farce:
1) der Schweizer Finanzplatz wird von einer banknahen Selbstregulierungsorganisation überwacht
2) das Geldwäschereigesetz ist schwach, weil Anwälte, Treuhänder und Berater diesem Gesetz nicht unterliegen
3) es gibt keinen gesetzlichen Schutz für Whistleblower
4) Journalisten bzw. Herr u Frau Jedermann unterliegen nach dem CH Parlamentsbeschluss von 2015 dem Bankgeheimnis bzw. die Pressefreiheit wurde massiv eingeschränkt
5) die Verletzung des Bankgeheimnisses wird drakonisch bestraft und zu einem Kapitalverbrechen hochstilisiert
6) die schleppende Rechtshilfe der Schweiz usw.
Es stellt sich die Frage: Ist «Swiss Banking» zu einem Schurkengeschäft verkommen?
Ihr letzter Satz stimmt 100 %.Verantwortlich sind rechtsbürgerlichen Mehrheiten im NR und SR die ihre «Besteller» per Täterschutzgesetze abschirmen.
Mir tun die Menschen leid, welche ihr bestes geben ein anständiges, ehrliches und für sich und die Mitmenschen ein gutes Leben zu führen. Viele von ihnen ziehen Kinder gross, bemühen sich, ihnen gute Werte und einen guten Start ins Leben zu geben, sie Mühen sich ab, nehmen Leiden hin, Zahlen nicht zu knapp Steuern. Um dann zu erleben wie die welche weder Nahrungsmittel noch Häuser noch sonst Lebensnotwendiges produzieren, als Superreiche zum Teil ohne Steuern zu bezahlen, machen können was sie wollen. Bis hin zur inszenierung von Kriegen, Menschenhandel, Waffenhandel, Vereelendung ganzer Völker, usw. Der Missbrauch des Tauschmittels Geld als Waffe macht es möglich Menschen, Meinungen, Medien und Regierungen zu kaufen. Feindbilder zu schaffen, und mit Söldnern Nationen zu ruinieren. Gewalt jenseits von Notwehr ist das Grundübel allen Elendes und Zerstörung.