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Bankenprofessor Urs Birchler: «Alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.» © uni zh

«Staatsbankrotte wären der sicherste Weg»

Red. /  «Es geht um die Banken», sagt Professor Urs Birchler. Die Politiker hätten «fast alle Fehler gemacht, die man machen kann.»

(Red.) Der Bankenspezialist an der Universität Zürich nimmt kein Blatt vor den Mund. Er kritisiert die Verfilzung zwischen Banken und Staaten. Wie ein bankrottes Ehepaar würden die beiden Eigentum hin- und herschieben.
Wenn ein Banker wie Oswald Grübel gesagt habe, er wolle 15-20 Prozent Rendite auf den Eigenmitteln erzielen, dann wisse er nicht, wovon er rede oder habe kein Verwantwortungsgefühl.
Infosperber veröffentlicht hier den zweiten Teil eines Interviews mit Professor Birchler, das Thomas Gull und Roger Nickl für das Magazin der Universität Zürich realisiert haben. Birchler vertritt eine ökonomische Sichtweise.

INTERVIEW
Sind die Staaten und die grossen Banken unentrinnbar aneinandergekettet?

Im Moment sieht es so aus. Ich möchte kurz aufzeigen, was sich da abspielte. In den Monaten vor der Krise 2008 haben sich die Risikoprämien für die Staaten und die Banken unterschiedlich entwickelt. Die Risikoprämien für die Banken stiegen, weil man wusste, den Banken geht es nicht mehr so gut. Dann kam die Rettungsphase im Oktober und November 2008. Da fielen die Risikoprämien auf den Bankpapieren und stiegen diejenigen auf den Staatspapieren. Das ist wie bei einer Fusion: Die schlechte Firma, das sind die Banken, werden wieder sicherer, weil die gute Firma, der Staat, sie gekauft hat. In den nächsten Monaten schwankten die Risikoprämien der beiden Akteure im Gleichklang. Die Fusion war vollzogen. Es fand eine wirtschaftliche Schmelze statt, in der die Staaten und die Banken zusammengewachsen sind.

Das zeigt sich in der Bewältigung der Griechenlandkrise, wo die Kosten für die Sanierung zwischen der EU und den Banken aufgeteilt werden sollen.

Das ist wie bei einem bankrotten Ehepaar, bei dem das Eigentum hin und her überschrieben wird.

Wer kann so gerettet werden?

Eins ist klar: Es geht nicht um die Griechen, sondern um die Banken. Wenn Griechenland nicht mehr bezahlt, geraten griechische und andere europäische Banken in ernsthafte Schwierigkeiten. Die Regierungen wären dann mit einer einheimischen Bankenkrise konfrontiert. Es erscheint günstiger, den Griechen aus der Patsche zu helfen, als zu Hause eine Bankenkrise bewältigen zu müssen.

Welche Folgen hat die von Ihnen beschriebene Fusion der Staaten mit den Banken?

Die Banken sind zum Teil verstaatlicht, die Staaten verbankt, man weiss nicht mehr, wem was gehört. Man könnte nun sagen, das sei die beste aller Welten. Wenn ich als Sparer bei der Bank Geld verliere, hilft mir der Staat. Wenn es dem Staat nicht gut geht, hilft die Bank. Doch der Eindruck täuscht. Das Problem bei dieser Konstellation ist, dass niemand mehr für sein Handeln verantwortlich ist. Deshalb kann es jedem egal sein, was er tut. Das ist bis zu einem gewissen Grad auch passiert. Man rechnete damit, dass der Staat die Bank rettet.

Da wurden offensichtlich die falschen Anreize gesetzt?

Absolut. Den Parallelfall haben wir jetzt bei den Staaten: Man kann es dem griechischen Steuerzahler nicht verargen, wenn er die Steuern nicht zahlt und sich sagt: Wenn der Staat pleite ist, hilft uns die EU oder die Europäische Zentralbank.

Ein System kollektiver Verantwortungslosigkeit?

Es handelt sich um individuelle Rationalität, die sich zu kollektiver Verantwortungslosigkeit addiert.

Wie könnte verantwortungsvolles Handeln gefördert werden?

Wir simulieren das mit Modellen der Spieltheorie. Der sicherste Weg ist der Staatsbankrott auf breiter Front. Dann weiss jedermann, es ist niemand mehr da, der den Banken helfen kann. Dann müssen die Banken wieder so investieren, dass sie sich das Vertrauen der Geldgeber sichern.

Weshalb tut sich die EU so schwer damit, Griechenland Konkurs gehen zu lassen?

Mir will das auch nicht in den Kopf. Es wäre die naheliegendste Option. Es wäre besser, Griechenland bankrott gehen zu lassen, als das Problem aufzuschieben. Doch die ganze Politik der EU der letzten beiden Jahre ist historisch gesehen aussergewöhnlich. Es wurden fast alle Fehler gemacht, die man machen kann. Und fast alle faulen Tricks wurden probiert.

Was wurde falsch gemacht?

Man muss von der Fiktion wieder zur Realität zurückkehren. Hätte man Griechenland bankrott gehen lassen, so wäre das ein Schritt hin zur Realität gewesen. Doch Die EU-Politiker habe sich mit Prestigeüberlegungen beschäftigt, die einer Lösung im Weg standen. Sie proklamierten: Fällt Griechenland, fällt der Euro. Damit wurde der Euro mit der Zahlungsfähigkeit Griechenlands verknüpft. Das war unnötig.

Hätte der Konkurs Griechenlands nicht noch grössere Probleme verursacht?

Einige Banken hätten teilverstaatlicht werden müssen. Das wäre wahrscheinlich unvermeidlich gewesen. So hat man Geld nach Griechenland gepumpt und den Staat zum Sparen gezwungen. Jetzt bricht in Griechenland die Konjunktur ein. Die Konsequenz: Griechenland braucht noch mehr Geld.

Die EU hat mittlerweile anerkannt, dass die Griechen ihre Schulden nicht zurückzahlen können. Deshalb wird die Hälfte gestrichen.

Das ist wieder keine richtige Lösung, weil alles freiwillig ist. Die EU versuchte, das Problem der europäischen Banken mit Griechenland, Portugal, Spanien oder Italien unter dem Deckel zu halten, indem man in Griechenland mit Geld das Loch stopft. Jetzt zeigt sich, dass das nicht geht.

Der «Haircut» mit dem Abschreiben von 50 Prozent der Schulden könnte aber funktionieren?

Es ist immerhin eine Annäherung an die Realität. Man spricht zumindest über den richtigen Punkt. Das ist ein Schuldenschnitt für Griechenland. Doch Griechenland muss sparen, die Einnahmen erhöhen und seine Institutionen komplett erneuern. Das braucht eine gewisse Zeit. Wenn man Griechenland dazu zwingt, innerhalb von einem oder zwei Jahren massiv zu sparen, ist das im Prinzip Gift. Die EU müsste einen Fünf- oder Zehnjahresplan fordern, der dann auch ein- gehalten wird. Das geht aber nicht. Wenn man den Schuldenschnitt realisiert, langfristig aber keine Finanzdisziplin garantieren kann, führt das lediglich dazu, dass die Griechen wieder Luft haben, um die Reformen aufzuschieben.

Zurück zu den Banken: Diese konnten grosse Risiken eingehen und ihre Gewinne maximieren, weil sie wussten, dass der Staat im Notfall hilft. Was muss da geändert werden?

Das Problem ist, dass der Staat, ist es einmal so weit, nichts anderes tun kann als zu helfen. Das wissen die Banken und die Märkte und verhalten sich entsprechend. Die Bankiers sind natürlich nicht alles Piraten, die absichtlich hohe Risiken eingehen, weil sie Staatsgarantien haben. Teilweise versuchen sie ganz brav im Namen ihrer Aktionäre Geld zu verdienen. Dafür ist eine Aktiengesellschaft da. Die Aktionäre rufen aber auch an und fordern: In diesem Jahr haben wir 7 Prozent Rendite, wir möchten aber schon lieber 20 oder 25 Prozent. Wenn die Bank keine Staatsgarantien hat, kann der CEO dem Grossaktionär antworten: «Mein Lieber, ich kann schon versuchen, eine Rendite von 25 Prozent zu erreichen, aber dann laufen mir die Gläubiger davon, weil sie wissen, dass die Bank nun riskant wird.» Wenn die Staatsgarantie da ist, hat er dieses Argument nicht. Es geht also nicht nur um die bösen Banker, sondern genauso um die Aktionäre, die ihre Forderungen und Gewinnerwartungen formulieren.

Der frühere UBS-Chef Oswald Grübel definierte ein Renditeziel von bis zu 15 Prozent. Ist das realistisch?

Wenn ein Bankier sagt, er wolle 15 oder 20 Prozent Eigenmittelrendite erzielen, dann ist sein Unternehmen entweder keine Bank oder seine Bank geht Risiken ein, indem sie die Eigenmittel so stark senkt, dass jeder Verdienst eine hohe Rendite bedeutet. Oder er weiss nicht, wovon er spricht. Das sind die einzigen drei Möglichkei- ten, die es gibt: Er hat entweder keine Bank, keine Ahnung oder kein Verantwortungsgefühl.

Was müsste sich ändern, damit verantwortungs- bewusster gehandelt wird?

Die Anreize muss man den Banken via Vorschriften setzen: Eigenmittel oder Schulden, die in Eigenmittel umgewandelt werden. Das ist das Einzige, was der Staat tun kann.

Das wurde jetzt in der Schweiz umgesetzt mit der Festlegung einer Eigenmittelquote von 19 Prozent für die beiden Grossbanken. Ist das das richtige Mittel?

Die 19 Prozent beziehen sich auf die risikogewichteten Anlagen der Bank. Das allein reicht nicht aus. Diesen Wert können die Banken stark beeinflussen. Die aktuelle Lösung ist besser als nichts, aber sie löst das Problem der unfreiwilligen Staatshaftung noch nicht definitiv.

Sie plädieren für einen Wechsel zum Laissez-faire-Prinzip, bei dem der Staat keine Unterstützung garantiert und die Banken auch keine erwarten. Was wäre der Vorteil dieses Systems?

Das ist nichts anderes als Marktwirtschaft. Dort gilt: Wer zahlt, befiehlt, und wer befohlen hat, der zahlt. Wer ein Risiko eingeht und gewinnt, behält das Geld. Wenn es aber schlecht läuft, realisiert man eben einen Verlust.

Das Problem ist nun aber, dass diese Banken systemrelevant sind. Lässt man sie Konkurs gehen, gibt es grosse Probleme für die ganze Wirtschaft. Was macht man da? Teilt man sie auf?

Wenn man einen faulen Apfel aufteilen will, kann man machen, was man will, jemand bekommt immer ein faules Stück. Die Alternative wäre ein Insolvenzrecht, das die Möglichkeit bietet, die grösseren Aktionäre oder die Schuldner bluten zu lassen. Oder eine Regulierung, wie man sie jetzt in der Schweiz eingeführt hat mit den Wandelanleihen, die zu Aktien werden, wenn die Bank zu wenig Eigenkapital hat.

Diese Wandelanleihen, die so genannten CoCo-Bonds, sind eine Art Luftmatratze, die das finanzielle Risiko abfedert. Was passiert, wenn die Luft nicht reicht, um die Bank wieder solvent zu machen?

Es gibt immer das so genannte Tail-Risk, das sind Verluste, die sehr unwahrscheinlich sind. Wenn sie dann aber eintreten, ist der Schaden sehr gross. Das Prinzip kennt man von Naturkatastrophen. Der UBS-Verlust in London ging in diese Richtung. Auch mit sehr viel Kapital ist man nie 100-prozentig sicher, dass eine Bank ein solches Ereignis überlebt. Beim UBS-Verlust in London haben die Aktionäre und nicht der Staat den Schaden berappt, weil die Bank genügend Eigenmittel hatte, um den Milliardenverlust abzufangen. Die neuen Vorschriften in der Schweiz schaffen für die Banken einen Anreiz, sich so zu verhalten, dass sie die Luftmatratze gar nicht benötigen. Wir können aus dem ganzen Schlamassel wieder herauskommen, wenn wir den Bankensektor so weit es geht wieder auf Marktdisziplin umstellen können. Das bedeutet: Genügend hohe Eigenmittel und ein internationales Insolvenzrecht. Die grossen Finanzplatzländer wie die USA, Grossbritannien und die Schweiz sollten eine gemeinsame Plattform schaffen, über die Bankeninsolvenzen abgewickelt werden können. Bei den Staaten braucht es eine Mischung aus Konkursen von Krisenstaaten wie Griechenland, wirksamen Schuldenbremsen und langfristigen Reformen. Ob das gelingt, kann ich nicht abschätzen.

Wird der Euro die Krise überleben?

Der Euro ist eine Fehlkonstruktion genauso wie die EU. Die EU ist strukturell nicht in der Lage, mit Krisensituationen umzugehen. Es gibt zu viele Institutionen und zu viele Interessenkonflikte. Leider hatte die EU die tragische Idee, den Euro einzuführen. Das Wort tragisch ist mit Bedacht gewählt. Das ist wie bei Ödipus, der das ihm prophezeite Schicksal verhindern wollte und es gerade deshalb vollzog. Die EU hat mit dem Euro versucht, sich zusammenzuschweissen. Doch genau das ist jetzt der Zündstoff, der das Ganze zur Explosion bringen könnte.

Wäre es eine Alternative, den Euro als gesamteuropäische Währung aufzugeben? Oder die Eurozone auf einen Kern von Ländern zu reduzieren?

Das wären dann Deutschland, Frankreich, Holland, Österreich, Dänemark und vielleicht sogar die Schweiz. Das ist vorstellbar. Ein solches Kerneuropa, in dem der Euro weiter besteht, wäre das positive Szenario. Die anderen könnten austreten oder ihre Währungen an den Euro koppeln.

Das würde bedeuten, die Geschichte rückwärts zu drehen. Man hat versucht, das geeinte Europa auch in den Euro zu packen. Ist das gescheitert?

Das ist auf jeden Fall gescheitert. Der Euro kann nicht der Grund, sondern nur die Folge der europäischen Integration sein. Man hat versucht, den Euro als Instrument der Integration einzusetzen, anstatt zu sagen: Wenn Europa funktioniert, kommt irgendwann die gemeinsame Währung.

Herr Birchler, besten Dank für das Gespra?ch.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Urs Birchler (61) ist Professor für Banking am Institut für Banking und Finance der Universität Zürich. Früher war er Direktionsmitglied der Schweizerischen Nationalbank. Er ist Autor eines Lehrbuchs über Information Economics (mit Monika Bütler). Zusammen mit anderen Wirtschaftsprofessoren betreut er den Blog zur Schweizer Wirtschaftspolitik batz.ch.

Zum Infosperber-Dossier:

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