Spanien: Mit sozialen Währungen der Krise trotzen
Im krisengeplagten Spanien ist ein neues Phänomen auf dem Vormarsch: Neben dem Euro sind gegenwärtig mindestens 30 soziale Alternativwährungen im Umlauf. Sie tragen Bezeichnungen wie Boniato, Ecosol, Puma oder Mora und es gibt sie in allen Regionen – von Andalusien bis ins Baskenland. Zwar existieren in der Regel keine «echten» Banknoten, doch die Währungen sind als Zahlungsmittel für Esswaren, Bücher, Kleider, Spirituosen, Fahrstunden und sogar für Psychotherapie anerkannt.
Das System funktioniert ähnlich wie die Bonusprogramme von Supermärkten und Fluggesellschaften: Geschäfte und Anbieter von Dienstleistungen, die eine bestimmte Parallelwährung akzeptieren, schliessen sich zu einem Netz zusammen. Für jeden Einkauf in Euros erhält der Kunde eine Gutschrift in Boniatos – üblicherweise 10 Prozent des Kaufbetrags. Mit den gesammelten Boniatos können Kunden Waren und Dienstleistungen bezahlen.
Symbol für solidarische Ökonomie
Experten sind sich einig: Soziale Währungen können in Krisenzeiten den lokalen Wirtschaftskreislauf stärken und den Zusammenhalt zwischen Produzenten und Konsumenten festigen. Oft sind sie auch eine Kampfansage an ein Finanzsystem, das versagt hat. «Die Boniatos sind ein Symbol für Veränderung. Sie sind der Beweis, dass eine solidarischere Ökonomie sowohl heute als auch in der Zukunft möglich und notwendig ist», sagt César Gómez Veiga. Er ist Mitglied der Genossenschaft Heliconia, die ökologische Dienstleistungen anbietet und eine der wichtigsten Förderinnen des Boniato ist. Laut Veiga könnten Genossenschaften, die zum Netz alternativer und solidarischer Ökonomie gehören und den Boniato fördern, die Krise viel besser meistern als traditionelle Geschäfte.
Fehlende institutionelle Unterstützung
Für einen langfristigen Erfolg komplementärer Währungen braucht es jedoch die Akzeptanz der breiten Bevölkerung und einen Rückhalt der Banken. Das ist in Spanien noch nicht der Fall. Erst eine Minderheit benützt alternative Währungen, und von einer institutionellen Unterstützung sind die neuen Zahlungsmittel weit entfernt. Aber: «Wenn eine soziale Währung wenig Akzeptanz hat, ist sie zum Misserfolg verurteilt», sagt Álvaro Martín Enríquez, Leiter für Innovation von AFI, einer Beratungsfirma mit angeschlossenem Institut für Finanzstudien.
Der Ökonom nennt als erfolgreiches Beispiel das «Pfund von Bristol». Diese Parallelwährung mit gleichem Wert wie das Englische Pfund tauchte 2012 in Grossbritannien erstmals auf. Heute kann man damit in über 300 Geschäften Waren oder Dienstleistungen kaufen. Und: Die Währung hat den Rückhalt der Bristol Credit Union und somit der britischen Zentralbank. Es gibt reale Banknoten, die Kunden haben elektronische Konten um direkt in den Geschäften oder übers Internet und mit dem Handy einzukaufen. Das System hat einen klaren Rechtsrahmen – anders als in Spanien, wo sich die parallelen Währungen laut Martín Enríquez «in einer Grauzone bewegen».
Messen verhelfen dem Boniato zu Aufschwung
Bis jetzt gibt es noch keine offiziellen Statistiken oder Umfragen des spanischen Finanzministeriums über die Entwicklung von Alternativwährungen. Doch ihr Vormarsch ist von Tag zu Tag sichtbar. Zum einen gibt es immer mehr alternative Währungen und auch das Interesse der Konsumenten wächst.
Der Juni war für den solidarischen Konsum und vor allem für den Boniato ein Schlüsselmonat. Anfang Monat fand in Madrid die erste Messe für solidarische Ökonomie statt. 130 Aussteller nahmen daran teil und 10’000 Personen besuchten sie. Wegen der Grösse des Anlasses druckten die Veranstalter – die Organisation Solidarische Ökonomie in Madrid – ausnahmsweise Boniatos. Laut Schätzungen wurden an der Messe 40’000 Geschäfte in dieser Währung abgeschlossen. Mitte Juni wurden in Zaragoza und Pamplona ähnliche Anlässe organisiert, weitere sind im Herbst in Bilbao und Barcelona geplant.
Auch das ist eine Folge der Krise: Die Spanier kaufen bewusster ein und suchen nach Alternativen, um die Wirtschaft in ihrer nächsten Umgebung mit Parallelwährungen zum Euro in Gang zu halten.
(Übertragung aus dem Spanischen: Regula Ochsenbein)
Der Artikel ist auf swissinfo.ch erschienen.
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Der WIR: Erfolgreiche Komplementär-Währung in der Schweiz
Auch in der Schweiz gibt es eine – allerdings anerkannte – Komplementär-Währung. Der WIR wurde kurz nach der Wirtschaftskrise 1929 eingeführt. Heute sind rund 60’000 Klein- und Mittelunternehmen dem WIR-System angeschlossen. Die Umsätze mit WIR belaufen sich jährlich auf ca. 1,8 Milliarden Franken. Das WIR-System hat seinen Sitz in Basel und Niederlassungen in verschiedenen Regionen. Es wird von der Nationalbank überprüft, um Transparenz und Zahlungsfähigkeit zu gewährleisten.
Lesen Sie dazu auch das Interview mit Hervé Dubois, Direktionsmitglied der WIR-Bank. Es stammt aus der «Gazette» (Nr. 26, Sommer 2010).
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Keine