Kommentar
Sektierer und Kurpfuscher in der Währungspolitik
«Der Eurokollaps wird immer wahrscheinlicher», schreibt «The Economist» in einem Leitartikel, abgedruckt in mehreren europäischen Zeitungen. «Geniessen wir also die Ferienzeit. Der Herbst droht hässlich zu werden», schrieb das Euro-feindliche Wirtschaftsblatt aus London abermals. Untergangspropheten und Weltretter, Kurpfuscher und Quacksalber haben in Zeiten der währungspolitischen Verunsicherung Hochkonjunktur. Auch in diesen Wochen und Monaten bewirtschaften gewisse Medien, Kolumnisten und selbsternannte Gurus die so genannte Euro-Krise, die in ihrem Ursprung eine Bankenkrise ist.
Wirtschaftswissenschaft ist Weltanschauung
Eine solche Verunsicherung mit unzähligen Weltrettungsplänen gab es auch in den 1930er Jahren nach dem Kollaps des Finanzsystems 1929. Das ist nicht zufällig. Denn unter allen Disziplinen der Wirtschaftswissenschaften ist die Geld- und Währungspolitik die schwierigste. Sie ist stets ideologisch belastet. Denn in der Währungspolitik handelt sich um hoch aggregierte, abstrakte volkswirtschaftliche Grössen, deren Zusammenwirken stets nur mit Annahmen und Verhaltenshypothesen erklärbar ist. Die Nationalökonomie ist eben keine exakte Wissenschaft, auch wenn sie mit noch so viel scheinexakten Modellen imponiert. Wirtschaftswissenschaft ist Weltanschauung, angereichert mit Mathematik und Interessen!
In den USA will ein Teil der Tea Party-Bewegung das Fed, die US-Notenbank, gleich abschaffen und die Geldschöpfung ans private Bankensystem dezentralisieren. In der Schweiz sammelt die SVP derzeit für eine «Goldinitiative» Unterschriften, die wir nachstehend erklären. Von Aussenseitern der Alternativszene wird eine «Monetative» – eine kaum verständliche Initiative für eine «Vollgeld-Reform» – diskutiert, die den Banken die Kreditschöpfung verbieten will. Wieder andere schwärmen von einem «Staatsfonds» nach chinesischem oder norwegischem Muster als stabilisierendem Goldesel für den Staat. Und in unbelehrbaren akademischen Kreisen grassieren heute noch monetaristische Lehrbuch-Dogmen der Geldpolitik aus den 1980er Jahren. Allen diesen Weltanschauungen ist gemein, dass sie einen Kern Teilwahrheit verabsolutieren und alle andern Teilwahrheiten verdrängen: Genau das ist Sektierertum.
SVP-Goldinitiative bewirtschaftet den Gold-Mythos
Die Eidgenössische Volksinitiative «Rettet unser Schweizer Gold» (Gold-Initiative) der SVP will die Goldreserven der Schweizerischen Nationalbank SNB als unverkäuflich in der Bundesverfassung verankern und die SNB verpflichten, diese nur noch in der Schweiz zu halten, also allfällige SNB-Golddepots aus den USA zurück zu holen. Damit bewirtschaftet die Partei den nationalen Goldmythos und richtet wohl keinen Schaden an.
Doch in einem Forderungspunkt ist die SVP-Goldinitiative hoch gefährlich: Sie schreibt vor, dass der Goldanteil nach einer Übergangsfrist zwanzig Prozent der SNB-Aktiven nie unterschreiten darf. Im Klartext bedeutet dies: Sie verbietet damit der SNB die Intervention auf den Devisenmärkten und die Verteidigung einer bestimmten fixen Franken-Fremdwährungs-Relation, wie zum Beispiel die 1.20 Franken pro Euro. Die Nationalbank würde ihres wichtigsten geld- und währungspolitischen Instruments beraubt!
Industrielle fehlen bei dieser Kurpfuscherei
Am Jahresende 2011 hatte die SNB 346 Milliarden Franken Aktiven, wovon etwa 50 Milliarden oder 14% in Gold. Im zweiten Quartal 2012 musste sie zur Verteidigung des Fixkurses von 1.20 Franken pro Euro vorübergehend weitere 167 Milliarden Devisen (Aktiven) aufstocken. Wäre die SVP-Initiative wirksam und in Kraft, würde unsere Nationalbank ohne jede Handlungsfähigkeit zusehen müssen, wie internationale Hedgefonds, andere Spekulanten und Kapitalflüchtlinge den Frankenkurs in die Höhe jagen, unsere Exportwirtschaft schädigen und die Industriesubstanz samt Arbeitsplätzen aus dem Lande treiben. Kurzfristig wäre ein massiver Golderwerb unmöglich und durch internationale Vereinbarungen unterbunden.
Die SVP bewirtschaftet mit ihrer Gold-Initiative den irrationalen Goldmythos und legt unsere wichtigste wirtschaftspolitische Behörde lahm. Eine unheimlichere, wirtschaftsschädlichere Kurpfuscherei kann man sich in der Exportwirtschaft nicht vorstellen. Die drei Co-Präsidenten des Initiativkomitees, die SVP-Nationalräte Lukas Reimann und Luzi Stimm und der alt-Nationalrat Ulrich Schlüer gehören in der Partei gewiss nicht zur ersten Garnitur in Sachen Wirtschaftspolitik, ebenso wenig wie die weiteren 13 SVP-Politiker im Initiativkomitee. Die Industriellen fehlen bei diesem Kurpfuscherprojekt. Allerdings passt diese Stossrichtung exakt zum zermürbenden Kleinkrieg, den der Herrliberger SVP-Protagonist und dessen Kampfblätter seit zwei Jahren gegen die Schweizerische Nationalbank fahren, mit Vorwürfen von «Verscherbelung des Volksvermögens» und «Falschmünzerei».
Besserwisser auch in der Schulökonomie
Die starke Aufblähung der Nationalbank-Bilanz ist auch für die Schulökonomie eine intellektuelle Herausforderung. Zwar betonen alle Geldpolitiker jeglicher Couleurs, dass die Schweizerische Nationalbank quasi unlimitiert Franken schöpfen darf, mit denen sie dann auf den internationalen Devisenmärkten intervenieren kann. Und man ist sich auch einig, dass die allfälligen Buchverluste auf fremden Währungen für ein Noteninstitut technisch kein Problem darstellen.
Doch in einem Punkt streiten sich die Ökonomen, nämlich in der Frage der Risiken und Folgeeffekte für die Geldwertstabilität. Seit fünf Jahren warnen die NZZ-Wirtschaftsredaktion und die monetaristisch inspirierten Lehrbuchökonomen wegen der Geldmengenexpansion vor einer Inflationswelle. Doch diese ist nicht eingetreten. Die Schweiz ist heute gar am Rande einer Deflation mit sinkenden Preisen. Diese Untergangspropheten übersehen in ihrer «Inflationsparanoia», der krankhaften Angst vor Inflation (Paul Krugman), zwei moderne Elemente: Erstens verhindern China und andere Schwellenländer mit ihren Billigexporten eine preistreibende Wirkung der Geldpolitik auf den hiesigen Gütermärkten. Und zweitens ignorieren sie die geldpolitischen Instrumente, die die Nationalbank wie andere europäische Notenbanken zur Hand hat, um die expandierte Geldmenge bei Bedarf wieder abzuschöpfen.
Gewiss, es gibt Risiken bei der Anlagepolitik und Geldmengenexpansion der SNB. Aber die Risiken des Nichtstuns sind hundert mal grösser!
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Dieser Beitrag erschien zuerst in der UnternehmerZeitung Nr. 9/2012 vom 23.8.2012
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Ich sehe auch nicht, was an der Monetative unverständlich sein soll…
Sogar der IWF kam wohl zu einem anderen Schluss, in einer Studie über das Vollgeld: http://www.positivemoney.org.uk/2012/08/imf-working-paper-offers-supports-full-reserve-banking/
Oder auf Deutsch: http://www.handelsblatt.com/politik/oekonomie/nachrichten/vollgeld-iwf-forscher-spielen-radikale-bankreform-durch-seite-all/7008170-all.html
Inflation falsch gemessen
Von 1990 bis 2010 wuchs das BIP in der Schweiz nur um 32%, die Geldmenge aber um volle 274%, ein Indiz für starke Inflation. Viel überflüssiges Geld diente der Spekulation statt der Produktion. Das trieb zwar, u. a. wegen Billigprodukten aus Fernost, nicht die Preise der Konsumgüter, aber jene von spekulativen Vermögensgütern nach oben, z. B. Immobilien. Die Preise der Eigentumswohnungen in Zürich stiegen von 2005 bis 2010 um über 50%, so viel wie in Amerika vor dem Crash. Die SNB vernachlässigt die Inflation der Vermögensgüter fast ganz. Die tatsächliche Gesamtinflation ist wesentlich höher als die offizielle. Trotzdem verbreitet die SNB seit Jahren eine panische Angst vor Deflation und verdoppelte die tolerierbare Inflationsrate kurzerhand von 1% auf 2%. Unserer im weltweiten Vergleich sehr tiefen Staatsverschuldung steht die vermutlich weltweit höchste Pro-Kopf-Verschuldung der Privathaushalte gegenüber. Das führte dazu, dass wir schon 2008 insgesamt (Summe aus staatlicher und privater Verschuldung) höher verschuldet waren als Deutschland, Italien oder die USA. J.P. Roth sagte 2002 als Präsident der SNB: „Für die Geldgeber bedeutet dies (die exzessive private Hypothekarverschuldung) ein nicht zu unterschätzendes Klumpenrisiko. Daraus lässt sich erahnen, wie wichtig das vergleichsweise tiefe Zinsniveau für die Schweiz ist.“ Der verklausulierte Satz heisst im Klartext: Die SNB muss mit billigem Geld unser Schuldenbabylon stützen, weil das Kartenhaus sonst zusammenbricht. Und das schon Jahre vor dem Problem mit dem Eurokurs. Langfristig drohen Kaufkraftverluste der Löhne, Renten und Ersparnisse und eine gigantische Umverteilung von unten nach oben durch inflationäre Aufwertung der Immobilien. Die OECD kritisiert denn auch, dass die Schweizer Schuldenblase durch den Abzug der Schuldzinsen von den Steuern immer grösser wird.