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Wolfgang Schäuble und Yanis Varoufakis © ard

Schäuble wollte Griechenland stets aus dem Euro

Red. /  Im Rückblick auf die EU-Verhandlungen stützen James Galbraith und Tim Geithner einige Positionen von Yanis Varoufakis.

Red. Yanis Varoufakis wurde auf dem diplomatischen Parkett zur unerwünschten Person. An Lederjacke und offenem Hemd habe es nicht gelegen. «Er brach Tabus und war nicht zu korrumpieren», schreibt der Journalist Norbert Häring in seinem Blog. Wolfgang Schäuble wollte von Anfang an den Austritt Griechenlands aus dem Euro. Das bestätigt jetzt auch der frühere US-Finanzminister Tim Geithner.

«Konkursverschleppung privater Banken»
Yanis Varoufakis und die griechische Regierung sahen die «Hilfs»- und «Rettungs»-Programme der Gläubiger weder als Hilfe, noch als Rettung, sondern als Konkursverschleppung zugunsten der privaten Banken. Die Gläubiger dagegen sahen in Varoufakis Vorschlägen eines moderaten Schuldenschnitts ein trojanisches Pferd, einen Versuch, der Bevölkerung in anderen Krisenländern zu zeigen, dass es gute Alternativen zum Sparen und zu unpopulären Reformen gab.
Während man Alexis Tsipras den Verzicht auf eine Krawatte zu seinem feinem Zwirn mit einem milden Lächeln verzieh, riefen Varoufakis Lederjacken und seine leger heraushängenden Hemden offene Feindseligkeit hervor. Dass er seine dadurch im direkten Vergleich etwas spiessig aussehenden Kollegen mit seinem Sex-Appeal neidisch machte, dürfte nicht der Grund gewesen sein.
«Persönliche Vorwürfe waren Vorwände»
Varoufakis Kollege von der Universität Texas, sein Freund und Berater, der US-Ökonom James Galbraith, hält die persönlichen Vorwürfe gegen Varoufakis wegen dessen angeblicher Arroganz, Selbstverliebheit und Kompromisslosigkeit für Vorwände:
«Das sind amüsante Vorwürfe für mich, weil die gleichen oft gegen meinen Vater ** vorgebracht wurden, weil er die Verwegenheit besass, an der Weisheit des Vietnam-Krieges zu zweifeln…Die Geschichte hat ihre eigene Art, derartige Fehleinschätzungen zu korrigieren
Treffen von Varoufakis mit Schäuble vom 8. Juni 2015
Galbraith berichtet von Varoufakis Treffen mit Schäuble am 8. Juni, bei dem er dabei war: «Ich kann berichten, dass das Treffen, das eineinhalb Stunden dauerte, extrem freundlich war und man sich gegenseitig respektvoll begegnete». Galbraith sehe keinen Grund anzunehmen, dass Varoufakis sich in anderen Sitzungen arrogant verhalten habe und es gebe auch keine Belege für eine solche Behauptung.
Galbraith bestätigt, dass beide Seiten, Varoufakis sowie auch seine Verhandlungspartner, bei ihren Positionen blieben: «Die griechische Position in den Verhandlungen basierte auf den materiellen Fakten des griechischen Lebens: die Massnahmen von fünf Jahren Krisenpolitik waren gescheitert und mussten geändert werden. Die Gegenposition basierte auf der engstirnigen Verteidigung früher abgeschlossener ‚Vereinbarungen‘ und der Weigerung derer, die diese Massnahmen durchgesetzt hatten, zuzugeben, dass sie nicht funktionierten».
Galbraith beschreibt die Konfrontation zwischen Varoufakis und den übrigen Finanzministern des Euroraums: «Es gab tatsächlich einen materiellen Unterschied zwischen ‚Wahrheit‘ und ‚Irrtum‘, mit wichtigen Konsequenzen für die Legitimität der jeweiligen Positionen
Natürlich seien die versammelten Finanzminister nicht daran gewöhnt, dass ihre Positionen in Zweifel gezogen wurden, «aber das stellt nur ihnen selbst ein schlechtes Zeugnis aus», weist Galbraith den Vorwurf zurück, Varoufakis habe durch undiplomatisches Verhalten unnötig Porzellan zerschlagen.
«Hoffnungslos überschuldet»
Varoufakis beharrte in den Verhandlungen darauf, dass Griechenland schon lange hoffnungslos überschuldet sei, und wollte auf dieser Basis verhandeln. Damit unterschied sich seine Verhandlungsführung elementar von der anderer Krisenregierungen, wie der irischen oder spanischen, die die Grundidee der angebotsorientierten Reform- und Sparprogramme anerkannten und dafür mit beträchtlichen Zugeständnissen belohnt wurden. Irland durfte die Sanierung seiner Banken mit einem Kredit von der irischen Zentralbank bezahlen, der – wenn überhaupt – erst von der nächsten Generation zurückgezahlt werden muss.
Bedenken gegen diese monetäre Staatsfinanzierung hätten selbst Falken wie der Bundebankpräsident nur sehr leise geäussert. Für die kooperative spanische Regierung wurden 2013 die Sparvorgaben gelockert und deren spätere Nichteinhaltung mit massvoller Kritik bei gleichzeitiger Belobigung der gemachten Anstrengungen toleriert.

Derart zweierlei Mass ist für Varoufakis ein Beweis dafür, dass es seinen Verhandlungsgegnern nicht um die Sache ging, sondern darum, einer linken Regierung, welche die Politik der übrigen Regierungen in Europa in Frage stellt, keinen Erfolg zu gönnen, um damit in anderen Ländern keine Zweifel an der Notwendigkeit harten Sparens und angebotsorientierter Reformen aufkommen zu lassen.

Varoufakis gegen Entmündigung Griechenlands
Varoufakis trat am 6. Juli zurück, obwohl das griechische Volk am Vortrag mit grosser Mehrheit in einem Referendum das Spar- und Reformpaket der Geldgeber abgelehnt hatte, so wie Varoufakis und Tsipras das wollten. Er sei nicht gut gelitten gewesen bei seinen Kollegen und wollte durch seinen Rücktritt Tsipras Chancen verbessern, mit dem Referendum im Rücken eine günstige Vereinbarung herauszuholen, erklärte er damals den überraschenden Schritt.
Seit Tsipras einer Vereinbarung mit den Gläubigerländern zugestimmt hat, die in vielem noch deutlich schlechter ist, als das, was Tsipras und Varoufakis den Griechen vorher zur Ablehnung empfohlen hatten, hat Varoufakis seine Rücktritts-Begründung geändert: Tsipras sei nicht bereit gewesen, die Konsequenz aus der Ablehnung des Pakets zu ziehen und zu zeigen, dass Athen bereit wäre, Griechenland wenn nötig aus der Währungsunion zu führen. Varoufakis wollte Schuldscheine ausgeben, um den Geldmangel zu beheben und die Bank von Griechenland unter staatliche Kontrolle zu bringen. Er setzte sich nicht durch und trat deshalb zurück, lautet nun seine Erklärung. In einem Interview mit der ARD wiederholte Varoufakis am 24. Juli diese Begründung für seine Demission.
«Schäuble gegen jeden Kompromiss»
Schäuble wirft er vor, nie an einem echten Kompromiss interessiert gewesen zu sein. Die Finanzminister, die nach Schäubles Pfeife tanzten, hätten Varoufakis konstruktive Vorschläge zwar angehört, seien aber nie darauf eingegangen und hätten danach den Medien gesteckt, die Griechen hätten keine sinnvollen eigenen Vorschläge. Tatsächlich habe Schäuble die ganze Zeit den Plan verfolgt, Griechenland aus dem Euro zu drängen, und er verfolge ihn wohl immer noch.
Ein Grexit hätte den Startschuss für die Neugestaltung Europas geben sollen, erklärt Varoufakis. Griechenland sollte aus der Euro-Zone gedrängt werden. Es handle sich um eine «rituelle Aufopferung eines Mitgliedstaats…eine kontrollierte Eskalation der jahrelangen griechischen Leiden, die durch geschlossene Banken verschärft» würden. Der von Schäuble geplante Umbau, so Varoufakis, ziele unter anderem darauf, einen «Haushalts-Oberaufseher» für die Euro-Staaten zu bestimmen, der über ein Vetorecht gegen nationale Haushalte verfügt.
Statt der von den Franzosen gewollten Fiskalunion mit Betonung des Finanzausgleichs wolle Schäuble eine Union der Haushaltsregeln und Reformvorgaben durchsetzen, mit ein bisschen Transfers. Ein gewisses Mass an Nervosität der Finanzmärkte aufgrund eines Grexit würde entscheidend dazu beitragen, die anderen Finanzminister gefügig zu machen. Varoufakis: «Auf der Grundlage monatelanger Verhandlungen bin ich davon überzeugt, dass der deutsche Finanzminister will, dass Griechenland aus der Währungsunion herausgedrängt wird, um den Franzosen das Fürchten zu lehren und sie zu zwingen, sich seinem Modell einer Euro-Zone zu unterwerfen, in der strenge Disziplin herrscht
Im ARD-Interview sagte Varoufakis am 25. Juli: «Unsere Verhandlungspartner haben uns nie eine Chance gegeben, ein faires Abkommen zu erreichen.» Gemeint ist ein Abkommen, das auch einen Schuldenerlass beinhaltet.
Schon ganz zu Anfang der Verhandlungen habe Schäuble ihn gefragt, wie viel Geld Athen als Gegenleistung für einen Austritt aus der Währungsunion haben wolle, schreibt Varoufakis.
Es gibt einen hochkarätigen Kronzeugen für Varoufakis These von Schäubles langjährigem Grexit-Plan, den früheren US-Finanzminister Tim Geithner. In seinem 2014 erschienenen Buch «Stress Test» schreibt Geithner über seinen Besuch bei Schäuble auf Sylt im Sommer 2012:
«Er sagte mir, es gebe immer noch viele in Europa, die dachten, die Griechen aus der Währungsunion zu werfen, sei eine plausible – ja sogar wünschenswerte – Strategie. Die Idee war, dass, wenn Griechenland draussen wäre, die Deutschen eher bereit wären, die finanzielle Unterstützung zu leisten, die der Euroraum braucht, weil die Deutschen dann nicht länger Hilfen für Europa als Herauspauken der Griechen interpretieren würden. Gleichzeitig wäre ein Grexit traumatisch genug, um dem Rest Europas die nötige Furcht einzuflössen, damit es mehr Engagement für eine stärkere Bankenunion und Fiskalunion gibt. Griechenland brennen zu lassen, so das Argument, würde es leichter machen, ein stärkeres Europa mit glaubwürdigeren Brandschutzmauern zu errichten. Ich war schockiert von dieser Argumentation
Wie gesagt, das war 2012, vor drei Jahren.

————–

** James Galbraith ist der Sohn von John Kenneth Galbraith, einem der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Bekannt wurde dieser auch in Europa, zum Beispiel durch sein auch auf deutsch erschienenes Buch: Die Arroganz der Satten. Strategien für die Überwindung der weltweiten Massenarmut (1979).


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

Tsipras

Griechenland nach der Kapitulation

EU, EZB und IWF erzwangen Rückzahlungen an die fahrlässigen Kreditgeber – auf dem Buckel der Bevölkerung.

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Eine Meinung zu

  • Portrait_Pirmin_Meier
    am 27.07.2015 um 07:31 Uhr
    Permalink

    Der Grexit war immer auch eine Option von Varoufakis und Co. Für Revolutionäre gilt das Motto: Es muss alles noch schlimmer kommen, und zumal die Option, den kaum mehr existierenden Mittelstand und die etwas Reicheren in Griechenland vor Schaden zu bewahren, stand für politische Abenteurer nie im Vordergrund. Spannend der Plan, die eigenen Bankverantwortlichen zu verhaften und sich an Gelddruckmaschinen heranzumachen, sich ausserdem von Putin, der wie schon seine kommunistischen Vorgänger mit allem hilft ausser Geld, unterstützen zu lassen. Was an solchen Putschplänen dran ist, wird man erst später, bei historischer Aufarbeitung, genauer wissen. Zu differenzieren ist, dass es in einer Regierung neben Extremisten gemässigte Realisten gibt, und dass der politisch Talentierte, so vermutlich Tsipras, auf der Klaviatur von Drohungen spielend letztlich auf der realistischen und opportunistischen Linie bleibt. Das Schlimmste, was indes Schäuble sich nie hätte vorwerfen lassen wollen, wäre politische Naivität. Als Vertreter des politischen Establishments in Europa bleibt es auch für ihn vor allem von Bedeutung, im gegenwärtigen Europa nationale Souveränität und populistische Volksmitbestimmung bei wirklich wichtigen Fragen auszuschliessen. In diesem Sinn hat die Europäische Union gewisse Ähnlichkeiten mit der Heiligen Allianz zwischen 1815 und 1848, einer klugen undemokratischen Friedensordnung zur Verhinderiung von Anarchie und Volksmitbestimmung, damals unter Einschluss Russlands.

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