Kommentar
Merkel und Sarkozy haben Angst vor den Grossbanken
Angela Merkel und Nicolas Sarkozy haben sich am Montag in Paris offensichtlich darauf geeinigt, dass die Grossbanken auf ihren Obligationen von EU-Staaten keine weiteren Verluste hinnehmen müssen.
Ohne mit den Wimpern zu zucken
Das ist unerhört. Ohne mit den Wimpern zu zucken, setzen Merkel und Sarkozy den grundlegenden Mechanismus einer Marktwirtschaft ausser Kraft: Wer falsch investiert, muss die Verluste tragen und riskiert den Konkurs. Nur mit der Begründung, die Unternehmer seien diesem Risiko ausgesetzt, mischt sich der Staat möglichst wenig in die Privatwirtschaft ein. Die «unsichtbare Hand» des Marktes sollte dafür sorgen, dass sich die Tüchtigen durchsetzen und die Nieten und Faulen verschwinden.
Erhöhtes Risiko völlig egal
Diese Regeln gelten unter den Grossbanken schon lange nicht mehr. Sie heimsen Milliarden-Gewinne ein und die Manager zahlen sich Millionen-Boni, doch das Unternehmer-Risiko tragen sie nicht. Sie sind «Too big to fail» – zu gross, als dass sie der Staat dem Konkursrichter übergeben kann.
Deshalb konnte es den Grossbanken (und einigen Versicherungskonzernen) egal sein, ob sie mit dem Kauf griechischer oder italienischer Staatsobligationen ein erhöhtes Risiko eingehen.
Deshalb konnten die Banken überschuldeten EU-Ländern Milliarden ausleihen und damit diesen Ländern erlauben, über ihre Verhältnissen zu leben. Bis 2003 und ab 2008 konnten diese Banken mit solchen Staatspapieren sogar höhere Zinsen kassieren – ganz nach der Devise: Die Gewinne privat einstreichen und das Verlustrisiko auf die Staaten und deren Steuerzahler abwälzen.
Marktversagen führt zu einem Krisengipfel nach dem andern
Nach den grundlegenden Regeln der Marktwirtschaft müssten die Grossbanken für ihre Fehlspekulationen mit Staatsobligationen die Verantwortung übernehmen. Dann könnten Länder, die zahlungsunfähig werden, nach festzulegenden Spielregeln einen Schuldenschnitt beschliessen, so dass alle Gläubiger zur Kasse kämen. Wie nach einem Privatkonkurs könnten die Staaten die Weichen für ihre Zukunft neu stellen, ganz allein, ohne Diktat der EU. Aber eben: Die Grossbanken sind «too big to fail». Statt dass der Markt spielt, reisen Regierungschefs von einem Krisengipfel zum andern.
Ohne die faktischen Staatsgarantien hätten die Grossbanken schon lange keine Kredite mehr an überschuldete Länder gegeben, oder nur gegen höhere Zinsen. Dies wiederum hätte diese Länder gezwungen, ihren Konsum schon viel früher zu drosseln und ihren Haushalt in Ordnung zu bringen. Zur heutigen weltweiten Finanz- und Währungskrise wäre es nicht gekommen.
Sanktionen gegen zu hohe Haushaltsdefizite genügen nicht
Selbst wenn die EU-Staaten ihre Defizite verringerten, und selbst wenn sie ihre Finanz- und Steuerpolitik koordinieren würden, können international tätige Grossbanken weltweit immer noch viel zu grosse Risiken eingehen und diese im Eintretensfall den überforderten Staaten aufhalsen.
Eine seriöse Bewältigung der gegenwärtigen Mega-Krise ist nur möglich, wenn nicht nur zu hohe Staatsdefizite sanktioniert werden, sondern wenn auch – mit drastischen Massnahmen – dafür gesorgt wird, dass keine Banken und Versicherungskonzerne mehr «Too big to fail» sind.
Entweder gibt die Politik der Marktwirtschaft noch eine Chance – oder sie bleibt die Geisel von Grosskonzernen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine
Diese Analyse ist richtig und wichtig. Nur: Haben wir das Gleiche nicht schon 1998 in unserem Buch «Das Geschwätz von der freien Marktwirtschaft geschrieben"? Damals gab es zwar auch schon Verschuldung, aber nicht Staatsschulden, die annähernd so gross sind wie das BIP der einzelnen Länder in einem ganzen Jahr.
Hanspeter Guggenbühl