Norinchukin Bank

Der Vorstandsvorsitzende der Norinchukin Bank, Kazuto Oku: «Die Bank hat die Notwendigkeit erkannt, ihr Portfoliomanagement drastisch zu ändern.» © Nikkei montage/Source photos by Akitoshi Sugiura and Keiichiro Sato

Japanisches Institut verzockt sich wie die Silicon Valley Bank

Christof Leisinger /  Genossenschaftsbank verkauft wegen Milliarden-Verlusten EU- und US-Staatsanleihen. Wieder geht es um Missmanagement von Bankern.

Wer wissen möchte, wie zuverlässig die Beteuerungen von Bankmanagern wie Sergio Ermotti sind, ihr Institut sei nicht zu gross und sie hätten sowieso alle Risiken im Griff, braucht sich nur die Lehman-Pleite und staatliche Notrettung der UBS in der Finanzkrise vor knapp 20 Jahren anzuschauen – oder den Untergang der Silicon Valley Bank und der Credit Suisse vor wenigen Monaten.

Alle diese Fälle zeichneten sich durch vorsätzliches Missmanagement zugunsten der Boni und zulasten der Allgemeinheit aus. Neuerdings scheint das Phänomen wieder einmal auf Japan übergegriffen zu haben. Tatsächlich kündigte die Norinchukin Bank in den vergangenen Tagen an, europäische und amerikanische Staatsanleihen mit niedrigen Renditen im Gegenwert von 63 Milliarden Dollar zu verkaufen, die sie in den Büchern hat. Wegen gestiegener Zinsen führten diese Anleihen zu enormen Verlusten.

Wegen Fehlspekulation droht ein Verlust von fast zehn Milliarden Dollar

Das nicht börsennotierte Unternehmen warnte, die Verluste könnten in diesem Geschäftsjahr auf 1,5 Billionen Yen oder umgerechnet etwa 9,5 Milliarden Dollar anschwellen. Das wäre das Dreifache dessen, was es vor weniger als einem Monat geschätzt und angekündigt hatte. Das ist eine enorme Blamage für einen Finanzkonzern, der noch bis vor kurzer Zeit für seinen scheinbar unersättlichen Risikoappetit bekannt war. Insider bezeichneten ihn als «CLO-Wal», also einen bedeutenden Marktteilnehmer, der selbst riskanteste Zinszertifikate ohne mit der Wimper zu zucken übernahm und in Erwartung hoher Renditen hortete.

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Anleihen dominieren das Anlage-Portfolio der Norinchukin Bank – mit entsprechendem Zinsänderungsrisiko. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik. Daten: Bloomberg

Die landwirtschaftliche Bank und Japans Regierung beteuern zwar, das Unternehmen werde die Turbulenzen überstehen. Skeptische Beobachter dagegen argumentieren, die Unwägbarkeiten erinnerten 15 Monate nach der Abwicklung mehrerer kleinerer und mittelgrosser Finanzinstitute im Silicon Valley und in New York daran, dass die Risiken der veränderten Zinslandschaft weiterhin unter der Oberfläche lauerten.

Tatsächlich hatten die Verantwortlichen der Norinchukin Bank die europäischen und die amerikanischen Staatspapiere in der Erwartung gekauft, die Leitzinsen würden bald sinken und zu enormen Kursgewinnen bei den Bonds führen – was angesichts der strukturell hoch bleibenden Inflationsraten keineswegs mehr sicher ist. Die problematischen Zinspapiere machen nicht nur mehr als die Hälfte des Anlageportfolios der Bank aus, sondern das Institut hat mögliche Risiken überhaupt nicht abgesichert.

Norinchukin ist nicht die einzige Bank, die nach missratenen Zinsspekulationen im Schilf steht und die im Extremfall damit rechnen muss, dass Anleger ihre Einlagen zurückfordern. Auch in den USA sitzen die Finanzinstitute gemäss jüngsten Angaben der Einlagensicherung Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) auf unrealisierten Buchverlusten von etwa 520 Milliarden Dollar. Selbst die Obligationenfonds grosser Vermögensverwalter verzeichneten in den vergangenen Monaten zum Teil grottenschlechte Renditen.

Bei Norinchukin mag das Risiko eines Ansturms auf die Einlagen aufgrund ihrer stabilen landwirtschaftlichen Genossenschaftskunden geringer als bei anderen sein, doch stellt sich die Grundsatzfrage, wieso die Manager der Bank ihr Obligationenportfolio so falsch verwaltet haben und warum die prognostizierten Verluste in jüngerer Zeit so schnell in die Höhe schossen. Inzwischen sind die Zinskosten der Bank aufgrund des Vorfalls merklich gestiegen.

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Die Norinchukin Bank zählt zu den Schwergewichten im Land. Hier gibt es eine grössere Auflösung der Grafik.

Die Bank ist nicht zum ersten Mal in Schwierigkeiten

Es ist nicht das erste Mal, dass das Institut in Schwierigkeiten geraten ist. Schon im Jahr 2009 war die jahrhundertealte Bank gezwungen, 1,9 Billionen Yen aufzunehmen, nachdem sie während der globalen Finanzkrise die grössten Verluste in Asien bei Investments in forderungsbesicherte Wertpapiere erlitten hatte. Norinchukin dient als zentrales Finanzinstitut für Japans rund 3’300 Landwirtschafts-, Forstwirtschafts- und Fischereigenossenschaften. Die Bank nimmt Einlagen von diesen Genossenschaften und nicht direkt von den Landwirten entgegen und legt das Geld mittel- bis langfristig an.

Mit einem Portfolio im Wert von gut 350 Milliarden Dollar zählt Norinchukin zu den grössten japanischen Investoren an den internationalen Finanzmärkten. Entsprechend intensiv sind die Spekulationen darüber, wie die Neuausrichtung der Anlagestrategie der Bank aussehen wird. Manche vermuten, das Institut werde nun noch stärker als in der Vergangenheit in verbriefte Zinszertifikate oder gar in Unternehmensanleihen investieren. Wenn sie sich damit nur nicht erneut verzockt.

Schliesslich deutet einiges darauf hin, dass sich das Umfeld an den internationalen Finanzmärkten unter anderem auch aufgrund der geopolitischen Veränderungen strukturell verändert haben könnte. Auf dieser Basis stellt sich zum Beispiel zum Einen die Frage, ob der «gigantische Carry-Trade der Japaner», die sich im ultrabilligen Yen verschulden, um die Mittel in anderen Teilen der Welt mit hohen Renditen zu investieren, weiterhin aufgeht. Zum Anderen, ob sich in den Bankbilanzen europäischer Institute ähnliche Unwägbarkeiten verbergen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

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Zum Infosperber-Dossier:

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Eine Meinung zu

  • am 24.06.2024 um 07:49 Uhr
    Permalink

    Fast könnte man den Eindruck bekommen, unser ganzes Finanzsystem beruhe auf absichtlich erzeugten Illusionen, die es einigen erlauben, den Leuten Schlangen-Öl als teures Mittel zum Einreiben anzudrehen, und sich dadurch zu bereichern. Es scheint noch immer unklar, dass hohe Profite nur dann möglich sind, wenn auch hohe Risiken eingegangen werden. Die Kunst besteht darin, dass sich diese Risiken nicht bei einem selbst, sondern woanders (bei anderen) realisieren, wenn sie sich realisieren.
    Unsere ganze moderne Gesellschaft beruht also auf Illusionen, Lügen.

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