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Die beiden Nobelpreisträger Robert Shiller und Eugene Fama: Eher widersprechende Theorien. © FondsOnline

Fragwürdige Nobelpreise für Wirtschaftswissenschaftler

Marc Chesney /  Nicht etwa die Königliche Schwedische Akademie verleiht diese Wirtschafts-«Nobelpreise», sondern die Schwedische Reichsbank. Wofür?

Red. Der Autor ist Finanzprofessor an der Universität Zürich. In einem ersten Beitrag forderte er eine Reform der Inhalte von Lehre und Forschung. In diesem Beitrag hinterfragt er die Kriterien, nach denen die Nobelpreise in den Wirtschaftswissenschaften vergeben werden.

Der «Wirtschaftsnobelpreis» ist eine journalistische Erfindung. Es handelt sich dabei um den «Preis der Schwedischen Reichsbank in Wirtschaftswissenschaft zur Erinnerung an Alfred Nobel». Er wurde 1968 anlässlich des dreihundertjährigen Bestehens der Reichsbank geschaffen und wird auch von ihr finanziert. Diese Präzisierung ist wichtig.1 Die Mathematiker, für die es keinen Nobelpreis gibt, haben mit der Fields-Medaille etwas Gleichwertiges eingeführt, ohne sich auf Alfred Nobel zu beziehen. Diesen Weg hätten auch die Ökonomen beschreiten sollen.

In einem Gebiet wie der Medizin lässt sich leicht verstehen, dass die Themen der Preisträger uns alle betreffen. Von 2015 bis 2018 ging es zum Beispiel um die Behandlung zahlreicher Krankheiten – insbesondere Krebs, Malaria sowie diejenigen die von Parasiten herrühren – und um die Gesundheit der Menschheit allgemein.2
Was die «Nobelpreise» für Wirtschaft anbelangt3, sind die Entscheidungen der Jurymitglieder für das Jahr 2018 gesellschaftlich relevant, weil sie unter anderem mit der Klimaerwärmung zusammenhängen. Doch William D. Nordhaus, einer der in diesem Bereich forschenden Preisträger, behandelt das Thema in seinen Arbeiten aus einer rein technisch-ökonomischen Optik, ohne zum Beispiel die mit dem Geoengineering verbundenen ethischen Fragen anzugehen.
2013 wurden Forschungsarbeiten zur Bewertung von Finanztiteln ausgezeichnet. Nach der Finanzkrise von 2008 war dieses Thema aktuell und ist es bis heute geblieben. Die Preise von Finanztiteln schwanken weiterhin stark, und die Finanzmärkte sind nach wie vor sehr instabil. Demnach haben diese Arbeiten offenkundig keine Früchte getragen. Einer der drei Ausgezeichneten, Eugene Fama, ist bekannt für seine Theorie der Markteffizienz, wonach die Finanzmärkte nicht falsch liegen können. Er soll nachgewiesen haben, dass kurzfristige Vorhersagen von Aktienkursen äusserst schwierig seien. Grossartig!
Robert J. Shiller wiederum soll gezeigt haben, dass es leichter sei, Aktienkurse langfristig vorherzusagen als kurzfristig. Das tönt zwar beruhigend. Nur: Wenn kurzfristige Vorhersagen äusserst gewagt sind, wieviel unsicherer müssen dann erst langfristige sein. Bezeichnenderweise definiert niemand genau, was «langfristig» heisst. Deshalb ist ein Nutzen von Shillers Erkenntnis schwer ersichtlich.
Die Arbeiten der beiden Preisträger widersprechen sich eher, als dass sie sich ergänzen. Ersterer geht von der Hypothese aus, die Wirtschaftssubjekte seien rational, während der andere ihre Irrationalität ins Feld führt. In einer Zeit, in der die Finanzmärkte am Tropf der Zentralbanken hängen und die Kurse finanzieller Vermögenswerte regelmässig manipuliert werden, ist es paradox, dass die Verfasser von Arbeiten zur begrenzten Vorhersagbarkeit von Aktienkursen dermassen gefeiert werden und ihre Studien so viel Aufmerksamkeit erhalten.
«Den grössten Nutzen für die Menschheit»?

In seinem Testament erklärt Alfred Nobel, sein Ziel sei es, denen einen Preis zu verleihen, «die im vergangenen Jahr der Menschheit den grössten Nutzen erbracht haben». Genau dieses Ziel sollten die Jurymitglieder bei der Wahl der Preisträger vor Augen haben. Womit haben die 1997 Auserkorenen, Robert C. Merton und Myron Scholes, beide Spezialisten für Derivate, der Menschheit den grössten Nutzen erbracht? Indem sie sich für den Hedgefonds LTCM4 einsetzten, der 2000 in Konkurs ging?
Zu erwähnen ist auch der 1995 ausgezeichnete Robert E. Lucas Jr.. Laut seiner Theorie verhalten sich Wirtschaftssubjekte bei der Erwartungsbildung rational und täuschen sich im Durchschnitt gesehen nicht. Diese Hypothese steht in krassem Widerspruch zur Realität.
Etwas früher in der kurzen Geschichte dieses Preises begegnen wir Franco Modigliani und Merton Miller. 1985 wurden sie für ihr «Theorem» zur Unternehmensfinanzierung ausgezeichnet, wonach der Wert eines Unternehmens nicht vom Verhältnis seiner Eigenmittel und Schulden abhänge. Dieses theoretische Ergebnis diente zur Rechtfertigung einer massiven Verschuldung, welche die Finanzinstitute als starken Hebel zur Steigerung ihrer Eigenkapitalrendite nutzten. Auch heute noch ist dies eine der Ursachen der tiefgreifenden Instabilität des Finanzsystems.
Gérard Debreu, der Preisträger von 1983, hat die «allgemeine Gleichgewichtstheorie gründlich umformuliert», wo doch viel eher die erheblichen finanziellen und ökonomischen Ungleichgewichte untersucht werden sollten.

Larry Summer als zweifelhafte Koryphäe der Wirtschaftswissenschaft
Schliesslich ist auch noch Larry Summers zu nennen, der – obwohl er diesen Preis nicht erhalten hat – als Koryphäe der Wirtschaftswissenschaft gilt. 1998 stellte er sich als stellvertretender Finanzminister in der Clinton-Administration gegen Projekte zur Regulierung der OTC-Derivate, welche Brooksley Born, die Präsidentin der Commodity Futures Trading Commission, vorantrieb. Zur grossen Freude der Finanzwelt setzte er sich durch. Dieses finanzielle Laisser-faire war eine der Hauptursachen der Krise von 2007/2008.
Am 12. Dezember 1991, als Summers noch Chefökonom der Weltbank war, verfasste er zudem ein internes Memo, in dem er erklärte: «Die unterbevölkerten Länder in Afrika sind deutlich unterverschmutzt. Ihre Luftqualität ist unverhältnismässig ’gut’ im Vergleich zu Los Angeles und Mexiko […]. Umweltbelastende Industriebetriebe sollten vermehrt in die am wenigsten entwickelten Länder verlagert werden […] Die wirtschaftliche Logik, wonach grosse Mengen von Giftmüll dort abgelagert werden sollten, wo die Löhne am niedrigsten sind, ist meines Erachtens unwiderlegbar.» Weiter hielt er fest: «Es gibt Kinder, die in Textilfabriken in Asien arbeiten und ohne diese Arbeitsplätze Prostituierte wären.»
Kommentare erübrigen sich.
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Dieser Beitrag ist ein Auszug aus einem Artikel, der im Bulletin 3/2019 der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften erschienen ist.


  • Eine leicht kürzere Fassung auf französisch finden Sie hier.

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Zum Infosperber-DOSSIER
«Die Euro- und Währungskrise»

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FUSSNOTEN
1 Im Dezember 2004 erklärte Peter Nobel, ein Nachkomme von Alfred, in einem Interview: «Nirgendwo in der Korrespondenz von Alfred Nobel findet sich auch nur der geringste Hinweis auf einen Preis für Wirtschaft.»
2 Siehe die offizielle Website «The Nobel Prize in Physiology or Medicine»: 2018: James P. Allison and Tasuku Honjo «for their discovery of cancer therapy by inhibition of negative immune regulation»; 2017: Jeffrey C. Hall, Michael Rosbash and Michael W. Young «for their discoveries of molecular mechanisms controlling the circadian rhythm»; 2016: Yoshinori Ohsumi «for his discoveries of mechanisms for autophagy»; 2015: William C. Campbell and Satoshi Ōmura «for their discoveries concerning a novel therapy against infections caused by roundworm parasites», Tu Youyou «for her discoveries concerning a novel therapy against Malaria».
3Siehe die offizielle Website «The Sveriges Riksbank Prize in Economic Sciences in Memory of Alfred Nobel»: 2018: William D. Nordhaus «for integrating climate change into long-run macroeconomic analysis» and Paul M. Romer «for integrating technological innovations into long-run macroeconomic analysis»; 2013: Eugene F. Fama, Lars Peter Hansen and Robert J. Shiller «for their empirical analysis of asset prices»; 1997: Robert C. Merton and Myron S. Scholes «for a new method to determine the value of derivatives»; 1995: Robert E. Lucas Jr. «for having developed and applied the hypothesis of rational expectations, and thereby having transformed macroeconomic analysis and deepened our understanding of economic policy». 1983: Gerard Debreu «for having incorporated new analytical methods into economic theory and for his rigorous re-formulation of the theory of general equilibrium».
4 Der Hedgefonds «Long-Term Capital Management», dessen Lang- fristigkeit und Kapital lediglich im Namen bestanden. Denn es handelte sich um eine kurzfristige Wette aufgrund einer Rekordverschuldung des Fonds.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine. Der Autor ist Finanzprofessor an der Universität Zürich und Autor des Buches «Die permanente Krise». Marc Chesney ist auch Präsident des Vereins AREF (Association pour renouveler la recherche et l'enseignement en économie et finance).

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2 Meinungen

  • am 5.11.2019 um 15:03 Uhr
    Permalink

    Mich würden Studien interessieren, die Zusammnhänge aufzeigen zwischen unserem Finanzsystem und der ökologischen Überbeanspruchung unserer Welt, dazu zählt für mich als ein Element die voraussichtliche Klimakrise und das zu erwartende europäische Stromblackout. Im Unterschied zu den Wirtschaftslehren lassen sich sowohl die Klimakrise als auch das zu erwartende europäische Stromblackout physikalisch begründen.

  • am 22.11.2019 um 07:39 Uhr
    Permalink

    Super Artikel!
    Ökonomie ist keine Wissenschaft sondern eine Religion.

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