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Protestmarsch in Madrid gegen Sparauflagen: «Das ist ein Überfall» © globe

Die Milliarden endlich bei den Spekulanten holen

upg /  Bisher wurden Löhne und Renten gesenkt, um Grossbanken zu retten. Jetzt wollen EU-Staaten Milliarden auch an den «Märkten» holen.

Elf EU-Staaten hätten bis gestern schriftlich oder mündlich erklärt, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Das teilte der EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta mit. In erster Linie wollen sie den Kauf und Verkauf von Aktien und Obligationen mit 0,1 Prozent besteuern. Wichtiger und von der EU-Kommission vorgeschlagen wären Steuern von 0,01 Prozent auf dem Hochfrequenzhandel mit Derivaten wie Hedge Fonds oder mit Devisen. Doch noch ist unsicher, ob sich die neun EU-Staaten im November auch auf diese Steuer einigen werden. Die Vorschläge der EU-Kommission brächten Einnahmen von rund 57 Milliarden Euro pro Jahr.
Der Bundesrat hat bereits im Vorfeld bekannt gegeben, dass er bei diesen Steuern auf keinen Fall mitziehen will. Dies ungeachtet dessen, dass das Besteuern der Finanzspekulation weniger Risiken und mehr Vorteile bringt als das weitere Anhäufen von Schulden und zusätzliche Sparrunden.

Am Schluss bleibt die Hoffnung in Extremisten

Medien berichten nicht mehr breit darüber, wenn auf den Strassen Griechenlands, Spaniens und Portugals Hunderttausende protestieren, weil die Hälfte der Jüngeren arbeitslos ist, fast alle Älteren ihre Löhne und Renten massiv gekürzt sehen, und viele sich sogar Arzt und Spital nicht mehr leisten können.

In Griechenland, Spanien und Portugal drohen am Horizont erneut Faschismus und Diktaturen. Erinnerungen an dunkle, noch längst nicht verarbeitete Vergangenheiten werden wach. Wenn Millionen Menschen existenzielle Ängste haben, eine Wende zum Besseren in weite Ferne zu schwinden scheint, die Reichsten des Landes ihr Milliardenvermögen in die Schweiz und anderswohin verschieben und sich um Steuern drücken, und wenn den gewählten Regierungen pünktliche Zinszahlungen an die Banken wichtiger sind als das Volk, dann setzen viele dieser Menschen ihre Hoffnungen auf Extremisten.

Geld jahrlang fahrlässig nachgeschmissen

Schon lange ist klar, dass diese Länder Hausaufgaben zu erledigen haben. Trotzdem haben ihnen Grossbanken das Geld jahrelang nachgeschmissen und blindlings deren Staatsanleihen gekauft. Eigentlich müssten diese Banken heute Zinsen ans Bein streichen und kräftige Abschreiber verbuchen. Doch Grossbanken werden für ihre Fahrlässigkeit nicht bestraft, weil unsere demokratisch gewählten Regierungen und Parlamente zu Handlangern der Banken-Lobby verkommen sind. Auf Druck der Banken missachteten sie die Regeln der Marktwirtschaft und schnürten ein Rettungspaket nach dem andern.

Der grösste Teil der «Hilfs»-Milliarden fliesst umgehend zurück zu den Grossbanken, Versicherungskonzernen, Nationalbanken und zur Europäischen Zentralbank, die zusammen Billionen von Schrott-Staatsanleihen gekauft haben und darauf ihre Zinsen kassieren wollen. Regierungen nahmen dabei in Kauf, dass die kaskadenhaften Feuerlöschaktionen bis hin zum neusten Krisenfonds EMS gefährliche soziale und politische Brandherde hinterlassen.

Demokratien kapitulieren vor der internationalen Finanzmacht

Heute geht es häufig darum, wie «die Märkte» reagieren. Im Klartext steckt hinter den «Märkten» die Plutokratie, die Herrschaft der Reichen. Es sind internationale Konzerne und Milliardäre, die entscheiden, wo sie ihre unermesslichen Vermögen anlegen. Dieser Plutokratie sind unsere nationalen Regierungen und Parlamente ausgeliefert. Sie wagen nicht mehr, diese «Märkte» genügend zu regulieren.
Der traurige Tatbeweis ist erbracht: Seit der Dotcom-Blase vor zwölf Jahren und der Finanzkrise von 2008 sind Jahre vergangen. Doch noch heute haftet der Staat für das Unternehmerrisiko von Grossbanken und Versicherungskonzernen. «Grossbanken wird man weiterhin nicht untergehen lassen», bilanzierte die NZZ am 28. September 2012. Vorschläge wie Aufteilung der Banken, ein höheres Eigenkapital als bisher beschlossen, oder ein geregeltes nationales oder internationales Konkursverfahren haben die Banken alle mit Erfolg abgeschmettert. Gleichzeitig blüht das unregulierte Treiben von Hedge Fonds, Versicherungen, Industriekonzernen oder Immobilienfinanzierern richtig auf. Diese «Schattenbanken» sollen laut dem deutschen Handelsblatt unterdessen ein Volumen von 46 Billionen Euro erreichen – weitgehend unreguliert.

EU-Staaten mit Schritt in die richtige Richtung
Jetzt machen einige EU-Regierungen wenigstens einen Versuch, Finanztransaktionen zu besteuern. Eine solche Steuer brächte rasch nötige Milliarden, ohne dass die Realwirtschaft Schaden nimmt. Sie funktioniert so: Jeder Kauf oder Verkauf von Aktien und Obligationen würde mit 0,1 Prozent besteuert, solche des Hochfrequenzhandels und andern rein spekulativen Transaktionen mit 0,01 Prozent. Die jährlichen Einnahmen von rund 57 Milliarden Euro würden dringend benötigt, um die Sparpolitik sozial verträglicher zu gestalten.

Eine solche Steuer ist technisch einfach und unbürokratisch, denn alle Transaktionen werden heute elektronisch erfasst. Leicht gebremst würde die kurzfristige Börsenspekulation, was der Realwirtschaft nicht schadet.

Bundesrat übernimmt Argumente der Banken-Lobby

Doch der Bundesrat will eine Beteiligung der Schweiz an einer auf Europa begrenzten Finanztransaktionssteuer nicht einmal abklären. Das erklärte er am 30. November 2011 in seiner Antwort auf ein von Roberto Zanetti eingereichtes Postulat. Im Gegenteil: Die Regierung plant eine Abschaffung der bestehenden Stempelsteuer von 0,15 bis 0,3 Prozent, die bisher beim Handel mit Aktien und Obligationen erhoben wurde.
Von einer Besteuerung des Hochfrequenzhandels, einer Besteuerung der Spekulation, will der Bundesrat gar nichts wissen: «Sie macht höchstens Sinn, wenn sie global eingeführt würde», mit andern Worten nie. Der Bundesrat befürchtet, wie er schreibt, eine «Abwanderung mobiler Geschäftsfelder in Finanzzentren, die ausserhalb des räumlichen Anwendungsgebietes der Steuer liegen».
Laut EU-Kommssion wird die EU-Steuer konsequent erhoben, sobald entweder der Käufer oder der Verkäufer in Europa wohnt. Der Bundesrat übernimmt die Behauptung der Banken, dass Milliardäre, Konzerne und Grossbanken ihre Wohn- und Firmensitze in andere Kontinente verlegen würden.
Bundesrat und Parlament wollen es also so: Die Konsumentinnen und Konsumenten müssen bei jedem Kauf von Kleidern oder Fernsehern (Mehrwert-)Steuern zahlen, während Spekulationsgeschäfte in Milliardenhöhe von Steuern befreit sein sollen. Dafür finanzieren UBS und Credit Suisse alle grossen Parteien der Schweiz. Die SP entscheidet noch, ob sie Geld von Grossbanken annehmen will. Die Grünen haben dies bisher nicht getan.
Oder hofft der Bundesrat doch darauf, dass sich Konzerne und Milliardäre aus Ländern wie Deutschland, Frankreich, Italien, Belgien, Österreich, Portugal, Griechenland oder Estland am Genfersee oder in Gstaad niederlassen werden, wenn die Schweiz wieder einmal abseits bleibt?

Selbst Alleingänge sind möglich
Für die Wahl des Wohnsitzes von Plutokraten sind Steuern in Wirklichkeit meistens ein untergeordnetes Kriterium. Vom Finanzplatz Grossbritannien wurde keine Abwanderung festgestellt, obwohl dort auf britischen Aktien mit 0,5 Prozent schon lange eine doppelt so hohe Stempelabgabe erhoben wird wie in der Schweiz. Im Alleingang besteuert Frankreich den Hochfrequenzhandel (Kreditausfallversicherungen) schon heute mit 0,01 Prozent, wie es die EU-Kommission vorschlägt. Den Handel mit in- und ausländischen Aktien und Obligationen besteuert Frankreich mit 0,2 Prozent. Im französischen Steuergesetz ist bereits seit 2001 eine Steuer auf Wechselkursgeschäfte für den Fall vorgesehen, dass die EU eine solche einführt.


DRINGEND NÖTIGE MASSNAHMEN
Die folgenden Forderungen sind eine Diskussionsgrundlage.
1. Finanztransaktionssteuer: Zum Beschaffen des nötigen Geldes für Sozial- und Beschäftigungsprogramme sowie für zukunftsgerichtete Investitionen eine Steuer auf sämtlichen Kapital- und Devisentransaktionen in allen europäischen Ländern einführen.
2. Strikte Regulierung der Schattenbanken: Es handelt sich um Hedge Fonds, Versicherungen, Industriekonzerne oder Immobilienfinanzierer, die ein Volumen von über 40 Milliarden Euro abwickeln, ohne sich auch nur an die bestehenden Bankengesetze zu halten.
3. Bankenpleiten möglich machen: Auch eine Grossbank muss für ihr Geschäftsrisiko gerade stehen und bankrott gehen können. Die Staaten müssen gesetzlich dafür sorgen, dass Konkurse auch von grossen Banken und Versicherungen ohne gravierende Folgen für die ganze Wirtschaft abgewickelt werden können.
4. Garantie der Bankeinlagen: Eine stark verbesserte Garantie aller Bankeinlagen wird einen Run auf Banken am ehesten verhindern. IWF-Chefin Christine Lagarde schlägt ein europaweites Einlageversicherungs-Programm vor. Dazu bräuchte es allerdings Zustimmung sämtlicher Parlamente. In der Schweiz sind pro Bank 100’000 Franken Privateinlagen vom Staat garantiert, jedoch nur bis zu einer Gesamtsumme von 6 Milliarden Franken. Bei Banken-Pleiten ist dieser Betrag schnell aufgebraucht.
5. Schuldenschnitte: Staaten, welche die Zinsen auf den ausgegebenen Staatsanleihen nicht mehr zahlen können, sollen rechtzeitig einen Schuldenschnitt vornehmen (ohne aus dem Euro auszutreten). Drohende Schuldenschnitte würden Staaten, die ihr Haushaltsdefizit nicht in den Griff bekommen, zu internen Spar- und Rationalisierungsmassnahmen zwingen, weil sie neue Staatsanleihen nur zu hohen Zinsen ausgeben könnten. Keine «Troika» müssten einem solchen Land irgendwelche Massnahmen befehlen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

Zum Infosperber-Dossier:

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Die Euro- und Währungskrise

Noch mehr Geldspritzen und Schulden bringen die Wirtschaft nicht mehr zum Wachsen. Sie führen zum Kollaps.

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