Kommentar

Die Geldschwemme und was real dahinter steckt

Werner Vontobel © zvg

Werner Vontobel /  Völlig losgelöst – die Art, wie unsere Medien über Geld diskutieren, verrät viel über unser verqueres Verständnis von Ökonomie.

Viele kritisieren, aus dem Nichts geschaffenes Geld habe zu einer gefährlichen Geldschwemme geführt. Doch mit diesen Schlagwörtern wird das wahre Problem bloss verschleiert.
Tatsächlich ist an unserem Geldsystem nicht nur etwas faul, sondern ziemlich vieles: Wir haben neuerdings Negativzinsen, eine grassierende Verschuldung von Staaten, Haushalte und Unternehmen, die Bilanzsummen der Zentralbanken werden immer gigantischer usw.
Kein Wunder sind Geldpolitik und Geldverfassung ins Zentrum der wirtschaftspolitischen Debatte gerückt. Doch leider wird diese Auseinandersetzung von zwei Gruppen dominiert, die von modernem Kapitalismus wenig bis nichts verstehen – nennen wir sie die Rechtsgelehrten und die Numismatiker.

Geschäftsbanken schaffen 80 Prozent der Geldmenge

Die Numismatiker glauben immer noch, dass sich das Geld aus dem Münzgeld heraus entwickelt habe und sehen das Übel darin, dass modernes Geld nicht mehr mit Gold unterlegt ist. Die Rechtsgelehrten haben in der (Schweizer) Verfassung gelesen, dass der Bund das Monopol der Geldschöpfung hat und sie haben der Geldmengenstatistik der Nationalbank entnommen, dass weit über 80 Prozent dessen, was dort als Geldmenge M 1 definiert ist, von Geschäftsbanken geschaffen worden ist, bzw. auf deren Girokonten liegt. Diesen verfassungswidrigen Zustand wollen sie mit der «Vollgeldinitiative» beheben. Auf, dass wieder Ordnung einkehre.

Geldschöpfung hat realen Hintergrund

Beide Gruppen – Numismatiker und Rechtsgelehrte – argumentieren mit denselben Schlagwörtern wie «Geldschöpfung aus dem Nichts», «Fiat-Geld» oder «Geldschwemme». Ihre Lösungsvorschläge leiden darunter, dass ihre Analyse die realwirtschaftlichen Hintergründe der Geldschöpfung ausklammert.
Hier das Wichtigste in Kürze: Der Motor des Kapitalismus ist die Verschuldung. Und zwar durch die Belehnung von neu geschaffenem Realkapital wie Häuser, Maschinen, Strassen usw. Dieses soll dann (hoffentlich), den nötigen Ertrag abwerfen, der für das Verzinsen der Schulden nötig ist.
Das rechtliche Korrelat dazu sind Guthaben und Schulden. Diese kann man nach der Qualität des Schuldners und nach der Fristigkeit unterscheiden. Sofort fällige Forderungen gegenüber sehr guten Schuldnern (Geschäfts- und Notenbanken) werden als Geld definiert. Im Prinzip hat jede Forderung das Potential zum Geld.
Warum garantieren Nationalbanken für so viele Schulden?
Dazu ein Beispiel: Wenn eine Bank Staatsobligationen an die Zentralbank, verkauft, entsteht Geld. Dieses Geld entsteht aber nicht aus dem Nichts, sondern durch den Umtausch von langfristigen gegen kurzfristige Forderungen (gegenüber einer Notenbank). Letztlich werden bloss bestehende Schuldverhältnisse insofern neu geregelt, als sich die Zentralbank als Gläubiger und Schuldner dazwischen schiebt. Das kann die Notenbank auch nicht eigenmächtig tun, sondern sie braucht einen Verkäufer (in diesem Beispiel eine Bank).
Die Frage ist also nicht, warum die Zentralbanken so viel Geld schöpfen, sondern warum es so viele Schuldverhältnisse gibt, bei denen sie als Garanten auftreten müssen. Für die Numismatiker und Rechtsgelehrten stellt sich diese Frage nicht, denn bei Ihnen ist das Geld ja aus dem Nichts entstanden – und dort gibt es bekanntlich nichts zu sehen.
Gewinnen stehen Schulden gegenüber
Dabei lässt sich die Antwort – oder zumindest der wichtigste Teil davon – sich ohne allzu grosse Mühe aus den Statistiken ablesen: Der grosse Treiber der Verschuldung sind die seit etwa 20 Jahren auftretenden chronischen Nettofinanzierungsüberschüsse des Unternehmenssektors. Das sind die Gewinne nach Steuern, Dividenden und realen Investitionen. Im EU-Raum etwa beliefen sich diese allein in den letzten fünf Jahren auf rund 1’200 Milliarden Euro. Zusammen mit den rund 1’400 Milliarden Ersparnissen der (reichen) Haushalte sind so neue Forderungen im Umfang von etwa 2’600 Milliarden Euro entstanden. Dafür braucht es natürlich auch einen Schuldner – den Staat. Der hat laut Statistik im erwähnten Zeitraum rund 2’500 Milliarden zusätzliche Schulden gemacht.

Unternehmen sind nicht mehr auf Spargelder angewiesen

Dazu muss man wissen, dass in einer normalen Lehrbuch-Wirtschaft die Privathaushalte sparen und damit die Investitionen der Unternehmen und des Staates finanzieren (oder zumindest einen Teil davon). Von dieser Normalität haben wir uns in dreifacher Weise entfernt:
Erstens braucht die moderne Dienstleistungswirtschaft immer weniger Investitionen.
Zweitens erzielen die Unternehmen dank Monopolpreisen, Dumpinglöhnen und Steuertricks neuerdings beträchtliche, chronische Überschüsse.
Drittens werden die Einkommen der Haushalte immer ungleicher verteilt. Unter dem Stich läuft das darauf hinaus, dass der Wirtschaftskreislauf nur noch aufrecht erhalten werden kann, indem der Staat den Konsum der (ärmeren) Haushalte mit immer neuen Schulden finanziert. (Genaueres kann man hier und hier nachlesen).

Für den Finanzsektor (die Banken und die Zentralbanken) ist das natürlich fatal. Statt wie einst solide Investitionen muss er heute laufenden Konsum finanzieren. Statt mit Sachwerten muss er seine Ausleihungen mit Zahlungsversprechen von Staaten «absichern». Und weil immer mehr Staaten ihre Glaubwürdigkeit verlieren, müssen die entsprechenden Forderungen in Geld umgewandelt werden, und zwar möglichst bevor das ganze Kartenhaus der Kredite zusammenbricht.

Soviel zu den realen Hintergründen der «Geldschwemme». Wer sich dennoch für den Streit zwischen den Numismatikern und Rechtgelehrten interessiert, kann sich hier informieren, oder das neue Buch von Mathias Binswanger «Geld aus dem Nichts» lesen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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3 Meinungen

  • am 16.10.2015 um 15:02 Uhr
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    Ich versteh’s leider immer noch nicht, auch mit Hilfe des Zeitpunkt Buchs «Das nächste Geld» http://edition.zeitpunkt.ch/das-naechste-geld/ nicht. Sagt es dasselbe? Wenn sowohl Werner Vontobel als auch Matthias Binswanger als auch Christoph Pfluger dasselbe sagen, könnte ich es wenigstens glauben, auch wenn ich es nicht verstehe.

    Ich weiss nur, dass ein System, das auf exponentiellem Wachstum basiert (Zinseszins), nicht stabil sein kann, und der Unterschied zwischen Haben- und Soll-Zinsen per se auch keine Stabilität erlaubt, da laufend von unten nach oben umverteilt wird, wie jeder Monopoly-Spieler weiss. Aber das war hier wohl nicht das Thema.

    Wie auch immer: Was sind die praktischen Auswirkungen für uns nicht-Versteher? Wie sollen wir uns bezüglich Geld am besten verhalten? Möglichst viel verschenken? Matratze? Das etwas anders ist, merkt jeder, der von seiner Bank einen Brief bekommt, dass die Sparzinsen nun Null oder negativ sind. Ist das trotz Verlust eigentlich gut oder bereits der Anfang vom Ende?

  • am 17.10.2015 um 09:00 Uhr
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    @ Theo Schmidt: Unter dem Strich geht es immer darum, ob in einer Region, einer Bevölkerungsgruppe oder einer Institution Geld in Summe zu oder abfliesst. Zinsen sind zum Beispiel kein Problem, solange damit Angestellte bezahlt werden, die das Geld im Dorfladen wieder ausgeben. Sie sind aber dann ein Problem, wenn Mikokredite von externen Investoren kommen, die eine Rendite sehen wollen und so ein Slum langfristig «austrocknen».

    Ich denke, wir nicht-Versteher können mit direkten Handlungen nicht viel machen. Aber wir sollten versuchen, zu Verstehern zu werden, damit wir an Abstimmungen die richtige Stimme abgeben. Zum Beispiel muss der überbordende Reichtum wieder mehr besteuert werden, um das Gleichgewicht wieder herzustellen. Das heisst, Erbschaftssteuern, keine weitere Reduktion der Unternehmenssteuern, usw.

  • am 18.10.2015 um 14:50 Uhr
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    Es gibt sehr viele Oekonomen und viele Theorien.
    Wenn die einen Exponenten den andern Unwissen vorwerfen, müssten sie ihre Kritik sehr gut begründen.
    Schon die Begriffe wie Kapitalismus und Mumismatik(-er) bedürften einer Begriffsklärung. Die Begriffe sind sehr weit interpretierbar, ohne Interpretation also keine Basis für Überlegungen, schon gar nicht für Feindbilder.
    Beim Begriff «Wirtschaftskreislauf» (unter «drittens» wird es echt mulmig, WAS ist das? WAS bewegt sich im Kreis? Wer bei «Wirtschaft» einen Kreis sehen will muss wohl viele Fakten und Zusammenhänge ausblenden.
    Damit möchte ich nicht sagen, was an der Darlegung falsch ist – man kann es gar nicht sagen, weil die Basis schwammig ist bzw einfach fehlt.

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