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Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras © FrangiscoDer/Wikimedia Commons/cc

An Regierung Tsipras falsches Exempel statuieren

Heiner Flassbeck /  «Wir können doch nicht einfach Geld nach Griechenland schicken» – Schämen Sie sich, Herr Gabriel!

Red. Professor Heiner Flassbeck hat 2013 flassbeck-economics.de gegründet, eine Institution, die sich der Aufklärung in wirtschaftlichen Fragen und der wirtschaftspolitischen Beratung widmet.

Von der CDU ist man ja einiges gewöhnt. Von der SPD weit weniger, weil sie in den letzten Jahren zu dem Drama, das sich in Europa, besonders aber in Südeuropa abspielt, meistens schweigt. Jetzt aber hat der SPD-Vorsitzende Griechenland im Schäuble-Duktus ermahnt, «Reformen» durchzuführen. Laut Spiegel-Online sagte er der Bildzeitung: «Ein drittes Hilfspaket für Athen ist nur möglich, wenn die Reformen auch umgesetzt werden. Wir können nicht einfach Geld dorthin schicken.»

«Die Reformen» im Zusammenhang mit Griechenland zu sagen, ist eine grandiose Unverschämtheit. Ich kann nur wiederholen, was wir vor kurzem dazu gefragt haben: Die Löhne um 25 Prozent zu senken ist keine Reform, oder?

Das untenstehende Bild zeigt noch einmal das Ergebnis der wichtigsten Reformen. Die Reallöhne pro Stunde in Griechenland sind in Euro auf der rechten Skala (einmal mit Verbraucherpreisen, einmal mit Produzentenpreisen gerechnet) aufgezeichnet, auf der linken Skala befindet sich die Arbeitslosigkeit. Die wichtigste Forderung an Griechenland von Seiten der grossen Koalition aber auch der vorherigen Koalition in Deutschland war doch, das Land aufzufordern, durch einen «flexibleren» Arbeitsmarkt wettbewerbsfähig zu werden. Von der Troika wurde folglich mit Billigung Deutschlands enormer Druck auf die Löhne ausgeübt. Der war «erfolgreich», denn es kam zu einem starken absoluten Absinken der Reallöhne. Sie sanken ab 2009 von 15,50 Euro bis 2014 auf 12,70 Euro aus Verbrauchersicht und noch stärker aus Produzentensicht.

Eine Lohnsenkung von über 22 Prozent aus Verbrauchersicht (und um über 30 Prozent aus Produzentensicht) zeugt von einer ungeheuren «Flexibilität» und einem «Reformeifer» im Sinne der Troika, der von keinem anderen Land in Europa erreicht wurde. Diesem Land heute zu sagen, es müsse «Reformen umsetzen», spricht den Fakten Hohn und ist ein unglaublicher Zynismus gegenüber den Menschen in Griechenland, die die Reformen durchlitten haben.

Denn, und das ist der eigentliche Skandal, das erschütternde Ergebnis der «Reformen» wird von denen, die sie durchgesetzt haben, nicht einmal zur Kenntnis genommen. Die «Reformen», bei denen die Gewerkschaften entmachtet und der Arbeitsmarkt exakt nach den Vorstellungen der Troika «flexibilisiert» wurden, haben genau zum Gegenteil dessen geführt, was die Troika erwartet hatte. Das Ergebnis dieser «Reformen» am Arbeitsmarkt war und ist katastrophal, denn die Arbeitslosigkeit ist nicht, wie erwartet, gesunken, sondern steil angestiegen. Wie kann man angesichts dieses Debakels der Politik der Gläubiger über eine Fortsetzung der «Reformen» als Voraussetzung für weitere Hilfen schwadronieren?
Die Floskeln der Ignoranten
Nur, genau an dieser Stelle kommt den Sozialdemokraten immer ihr eigenes Waterloo in den Sinn. Wer jahrelang für Lohnmoderation plädiert hat und fest an den neoklassischen Arbeitsmarkt glaubte, kann ja nicht zugeben, dass die Politik der Troika nicht funktionieren konnte. Deswegen muss man das Versagen dieser Politik so weit unter den Tisch kehren, dass es niemand mehr sieht.

Gibt es aber in der deutschen Sozialdemokratie auch niemanden mehr, der die politischen Folgen dieser deutschen unberechtigten Oberlehrerhaftigkeit erkennt? Dass in deutschen Talkshows fast jede Woche entsetzlich dummes und nationalistisches Geschwätz dominiert, wenn es um Griechenland geht, ist ja schon schlimm genug. Wenn aber der Vorsitzende der deutschen Sozialdemokraten exakt die Floskel der grössten Ignoranten übernimmt und davon spricht, es fehlten in Griechenland «die Reformen», ist das ungeheuerlich und unverantwortlich zugleich. Da zeigt sich zudem, wie verlogen es ist, dass die Sozialdemokraten in der Reparationsfrage Solidarität mit Griechenland heucheln. Wer nicht einmal versucht zu verstehen, was dem griechischen Volk hier und heute angetan wird, kann sich das Mitleid über Verbrechen der Vergangenheit sparen.

Und dann das Geld, das angeblich geschickt wurde und wieder geschickt werden soll. Das Geld, das bisher geflossen ist, hat überwiegend die westlichen Gläubiger gerettet und auch das, was die griechische Regierung heute zusammenkratzt, fliesst überwiegend an die Gläubiger. Von «dorthin» schicken konnte bisher folglich nicht die Rede sein, im Gegenteil, man hat der Regierung ja auch strikte Sparauflagen gemacht, die allerdings auch nichts gebracht haben, weil die Wirtschaft unter der Last der Troika-Politik zusammengebrochen ist.
Unsinnige Bedingungen der Troika müssen fallen
Um es noch klarer zu sagen: Angesichts der deutschen (rot-grünen) Schuld an der ganzen Euro-Misere, dem kläglichen Versagen der Troika in den vergangenen fünf Jahren, ist das einzige, was heute eine kleine Wiedergutmachung für die Griechen wäre, genau das, was Gabriel kategorisch ablehnt, nämlich einmal einfach Geld dorthin zu schicken. In der Tat, die unsinnigen Bedingungen der Troika müssen fallen, die griechische Regierung muss Luft zum Atmen bekommen und es muss denen Gerechtigkeit widerfahren, die so lange unter der falschen Politik der Gläubigerländer gelitten haben.

Wenn Griechenland faktisch unregierbar wird, weil die Gläubiger an dieser Regierung ein Exempel statuieren wollen, dürfen wir all diejenigen die Totengräber Europas nennen, die bis zur letzten Sekunde ihre Dogmen gegen jede Vernunft verteidigt haben.

Dieser Beitrag erschien auf flassbeck-economics.


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3 Meinungen

  • am 3.06.2015 um 12:29 Uhr
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    Die EU bzw. EZB und IWF handeln nach den Direktiven des Casino-Kapitalismus. Wer hat, dem wird gegeben, auch wenn er (Grossbanken u. a.) die Misere im Wesentlichen zu verantworten hat.
    Wer nur ein bisschen Kenntnis von Volkswirtschaftslehre hat, weiss, dass der Konsum in der Regel 60 % des BIP ausmacht. Lohn- und Rentenkürzungen reduzieren den Konsum. Wird weniger konsumiert, produzieren die Unternehmen weniger und entlassen ihre Mitarbeiter. Die Teufel-Spirale dreht sich munter nach unten!
    Fazit: Mit dieser Strategie (EU, EZB, IWF) kann sich Griechenland nie und nimmer erholen! Wie schenken wir den Griechinnen und Griechen eine Perspektive der Hoffnung? Griechenland braucht rasch einen Schuldenschnitt und anschliessend einen Marshall-Plan! Damit fahren auch die aktuellen Strippenzieher letztlich günstiger.

  • am 4.06.2015 um 21:19 Uhr
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    @Willi Hermann: Danke für deinen treffenden Kommentar zum informativen Beitrag von Heiner Flassbeck. Es wäre höchstens noch hinzuzufügen: Was da abläuft von Seiten der Troika gegenüber Griechenland, ist nichts anderes als Erpressung. Es geht nur darum, die Profite der Banken sicherzustellen (genau die Banken, die Griechenland mit Milliardenkrediten ‹eingedeckt› haben, obwohl die Unmöglichkeit der Rückzahlung von Schulden absehbar war); und es ging darum, die Gelder der Investoren, die sich angesichts vermeintlich riesiger Gewinne verspekuliert haben, auf Kosten der Steuerzahler und der Arbeitnehmer Griechenlands zu retten. Also wie immer: Privatisierung der Gewinne – Sozialisierung der Schulden!

  • am 4.06.2015 um 21:43 Uhr
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    Ein ganz ūbles Spiel wird mit Griechenland gespielt, und alle machen mit!

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