Lateinamerika will Bergbaukonzerne an Zügel nehmen
Am «Internationalen Tag der Mutter Erde» im April wird das so genannte Escazú-Abkommen offiziell zelebriert werden, in Kraft getreten ist es bereits jetzt im Februar. Mexiko hat mit der Ratifikation des Abkommens im letzten November den Durchbruch möglich gemacht. Als geradezu «historisches Umwelt- und Menschenrechtsabkommen» würdigte «Amnesty International» den Vertrag, als dieser vor drei Jahren ausgehandelt war.
Abkommen für Umweltdemokratie
Der Vertrag steht für eine Wende im wirtschaftlich und politisch höchst umstrittenen Bereich der Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Er verspricht mehr Bürgerbeteiligung in Umweltbelangen – oder wie es im Abkommen offiziell heisst – den «Zugang zu Justiz, Information und öffentliche Teilhabe in Umweltangelegenheiten in Lateinamerika und in der Karibik». Es geht um Transparenz, um Partizipations- und Klagerechte und Schutzmechanismen bei Bergbauprojekten, Abholzung, grossen Staudämmen in abgelegenen und trotzdem besiedelten Gebieten. Private und öffentliche Unternehmen sollen Nachhaltigkeitsberichte erstellen und darin ihre sozialen und ökologischen Bilanzen offenlegen. Es ist «das weltweit erste Dokument, das Verfahrensgarantien zum Schutz von Aktivisten festschreibt, die sich für die Bewahrung natürlicher Ressourcen einsetzen», hat die Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin jüngst das Abkommen gewürdigt.
Der Schutz ist dringend nötig. Denn Lateinamerika verzeichnet weltweit die höchste Zahl an Umweltkonflikten. In mehr als 40 Prozent der Fälle sind sie mit dem Abbau von Mineralien verbunden. Oft entzünden sie sich an grossen Staudammprojekten oder der Zerstörung von Regenwäldern, die riesigen Plantagen oder Weidegebieten Platz machen müssen. Lebensräume und Biodiversität gehen verloren, lokale Gemeinden werden vertrieben oder umgesiedelt. Die betroffenen Bevölkerungen werden nicht angemessen entschädigt, sie können ihre Ansprüche nicht geltend machen. Wer sich wehrt, begibt sich oft in Lebensgefahr. Nirgendwo in der Welt wurden 2019 so viele Umweltschützer wie in Lateinamerika ermordet. Am meisten Opfer gab es in Kolumbien zu beklagen. Es folgten nach den Philippinen mit Brasilien, Mexiko und Honduras weitere lateinamerikanische Länder in der unrühmlichen Rangliste von Morden an Umweltaktivisten.
Im November letzten Jahres hat Mexiko nun als elfter Staat den im März 2018 geschlossenen Vertrag ratifiziert und damit seine Inkraftsetzung möglich gemacht. Vorher taten dies schon Argentinien, Antigua und Barbuda, Bolivien, Ecuador, Guyana, Nicaragua, Panama, San Vincente und die Grenadinen, Saint Kitts und Nevis sowie Uruguay. Jüngst schloss sich noch Saint Lucia an.
Die grossen Abwesenden
Doch mit Brasilien, Chile, Kolumbien, Peru und Venezuela stehen ausgerechnet besonders wichtige Rohstoffexporteure dem Abkommen fern. Das ist kein Zufall. Mächtigen Wirtschaftslobbys ist das Abkommen ein Dorn im Auge. Brasilien hatte den Vertrag zwar unterzeichnet, doch unter Präsident Bolsonaro will es nichts mehr davon wissen. Auch Kolumbien machte 2018 mit, zögert aber jetzt. Eine hitzige Debatte dafür und dagegen ist in Gang. Eine breite Allianz von Indigenen, Umweltorganisationen und Universitäten mobilisiert für einen Beitritt zum Abkommen, Wirtschaftskreise halten dagegen. In Paraguay und Peru haben die Parlamente die Ratifikationsdebatte ausgesetzt. Chile hat sich nach dem Regierungswechsel von Mitte-Links zu Rechts-Konservativ im Jahre 2017 vom Vorkämpfer zu einem der vehementesten Gegner des Abkommens gewandelt.
Das Abkommen behindere die wirtschaftliche Entwicklung, schränke die Wettbewerbsfähigkeit der Länder ein und gefährde die Souveränität der Länder, so die Argumente. Und nicht zuletzt missfällt den Gegnern, dass die Nicht-Regierungsorganisationen gestärkt würden. Die Einwände wecken Erinnerungen an die schweizerischen Debatten über die Konzernverantwortungsinitiative.
Noch ist der Escazú-Vertrag erst eine völkerrechtlich eingegangene Verpflichtung. Was er bewirkt, muss sich erst noch zeigen. Vorerst muss der Vertrag national in Gesetzen und danach in der Praxis umgesetzt werden. Doch der Druck ist gross, dass der Vertrag nicht bloss ein Versprechen bleibt. Das ist auch der Grund, weshalb mächtige Lobbys um ihre Pfründe fürchten.
Wirkung über Lateinamerika hinaus
Der Vertrag sollte auch international Wirkung zeigen, wenn sich neuerdings auch Deutschland und auch die EU selbst daran machen, den Unternehmen Sorgfaltspflichten zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten aufzuerlegen. Die Umsetzung des Escazú-Abkommens in Lateinamerika und der Karibik und die neuen Lieferkettenregulierungen in Europa würden sich ergänzen: Europäische Unternehmen müssten bei Importen aus Lateinamerika und der Karibik darauf achten, ob ihre Lieferanten sich an die Vorgaben des Escazú-Abkommens halten.
Stellt sich die Frage, was das Abkommen für die Schweiz bedeuten kann. Über Glencore und andere Rohstofffirmen ist sie eng mit lateinamerikanischen Bergbauinteressen verknüpft. Auch sind Kolumbien und Peru Schwerpunktländer der wirtschaftlichen Entwicklungszusammenarbeit der Schweiz.
Doch der bald in Kraft tretende Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative verlangt keine umfassende Sorgfaltspflicht für Lieferketten. Die Schweiz ist deshalb auch nicht legitimiert, die lateinamerikanischen Länder zur Einhaltung der Escazú-Prinzipien anzuhalten. Zudem: In den Schwerpunktland-Strategien der Schweiz spielten die Bedingungen in den Rohstoffminen bisher im besten Fall eine Nebenrolle. In Peru läuft seit ein paar Jahren das Pilotprojekt der «Better Gold Initiative», mit der die Arbeitsbedingungen der kleinen Goldschürfer verbessert werden sollen. Darüber hinaus gibt es in den Strategiepapieren zu den beiden Ländern aber keine Hinweise, dass die gravierenden Probleme des Rohstoffsektors in den beiden dem Abkommen fernbleibenden Ländern von Belang wären. Doch der Druck, dass sich auch die Schweiz bewegt, ist da. Eine breite internationale Allianz von Nicht-Regierungsorganisationen zusammen mit mehreren UNO-Sonderberichterstattern erhebt schwere Vorwürfe gegen die Kohlenmine Cerrejón im Norden Kolumbiens, die von Glencore zusammen mit BHP und AngloAmerican kontrolliert wird. Gegen die drei Konzerne und zusätzlich das staatliche irische Elektrizitätsunternehmen ESB wurden bei den Nationalen Kontaktpunkten in Australien, Grossbritannien, Irland und in der Schweiz Klagen eingereicht. Sie hätten gegen die Leitsätze der OECD zu Menschenrechten und Umwelt sowie die Pflicht zur Offenlegung von Informationen verstossen. (siehe Kasten)
Schon wieder Glencore
«Grosse Minenunternehmen stehen vor einer neuen Front um den Kampf für die Menschenrechte in Kolumbien», titelte die Financial Times am 19. Januar. Der US-amerikanische Fernsehsender ABC News berichtete am gleichen Tag über die Verstösse gegen Umweltbestimmungen und Menschenrechte der drei Grossen der Branche BHP, AngloAmerican und eben Glencore. Als ob man sich längst an die Skandale rund um eine der weltweit grössten Steinkohletagebauminen im nördlichen Kolumbien gewöhnt hätte, erregten die neusten Vorwürfe hierzulande kein Aufsehen.
Die Vorwürfe gegen Glencore sind tatsächlich nicht neu. Aber sie haben eine neue Dimension erreicht. Denn der Fall weitet sich über Kolumbien und die Schweiz aus auf Australien, Grossbritannien und Irland, wo die Klagen bei den Nationalen Kontaktpunkten eingereicht wurden. Die Begründung lautet: Die Kohlenmine Cerrejón habe gegen die Leitsätze der OECD zu Menschenrechten, Umwelt und Offenlegung von Informationen verstossen.
Eingereicht hat die Klagen das irische Global Legal Action Network GLAN, in Allianz mit kolumbianischen NGOs und mehreren europäischen NGOs, darunter die Arbeitsgruppe Schweiz – Kolumbien. Die Klagen stützen sich auch auf einen Aufruf des UNO-Sonderberichterstatters zu Menschenrechten und Umwelt, David R. Boyd, von Ende September 2020 ab, der einen teilweisen Abbaustopp gefordert hatte. Sechs weitere UNO-Sonderberichterstatter für Menschenrechte hatten sich dem Aufruf angeschlossen und zusätzlich auch vier Mitglieder der UNO-Arbeitsgruppe für die Erarbeitung eines Abkommens über Menschenrechte und Transnationale Konzerne.
Verstoss gegen mehrere Grundrechte
Die Anschuldigungen sind an sich nicht neu. Der Kohleabbau führe zu Feinstaubbelastung sowie zu Gewässerverschmutzung und beeinträchtige verschiedene Wasserquellen. Auch habe er gravierende Folgen für die Gesundheit und die Lebensgrundlagen der lokalen Bevölkerung, verletze mehrere Grundrechte – das Recht auf Gesundheit, auf eine saubere Umwelt, auf Ernährung, auf eine würdige Behausung. Zwangsräumungen und Zwangsumsiedlungen würden Menschen entwurzeln, nähmen ihnen die Lebensgrundlage weg und setzten sie oft massiver Gewalt aus. Dem Unternehmen wird auch vorgeworfen, dass es Urteilen und Aufforderungen der höchsten kolumbianischen Gerichte nicht Folge leiste.
Speziell an den neuen Klagen ist der Bezug zu Irland, wo die Hauptklägerin GLAN herstammt. Dort richtet sich die Klage gegen das staatliche irische Elektrizitätsunternehmen ESB, weil es seit Jahren Millionen von Tonnen Kohle von der Cerrejón-Mine gekauft habe und so mitverantwortlich für die in Kolumbien angerichteten Schäden sei.
Cerrejón hat in einer Stellungnahme geantwortet, dass es die Vorwürfe genau prüfen werde. Das Unternehmen betonte auch, dass es sich schon seit 30 Jahren an Umwelt-, Menschenrechts- und soziale Standards halte. Umso erstaunlicher ist allerdings, dass die Vorwürfe erneut erhoben werden und Gerichtsurteile wiederholt Missstände festgestellt haben – auch 2020 wieder, wie der UNO-Sonderberichterstatter Boyd in seinem Appell zur Stilllegung betont. Das Gericht habe festgestellt, dass das Unternehmen der Gesundheit der Bewohner Schaden zufüge, indem es Luft, Wasser und die Vegetation verschmutze.
So geht der Konflikt um die grösste lateinamerikanische Steinkohlemine und die Rolle von Glencore in eine nächste Runde. Auch der Nationale Kontaktpunkt der Schweiz wird sich positionieren müssen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine.