Sperberauge

EU nein, aber TTIP ja! Andocken!

Christian Müller © zvg

Christian Müller /  Wenn die Schweiz bei der EU Vorteile sieht, will sie nicht abseits stehen. So sieht es auch Martin Naville.

Wo immer auch Martin Naville, der Geschäftsführer der Handelskammer Schweiz-USA, am 28. Januar 2016 öffentlich – oder zumindest vor Journalisten – gesprochen haben mag, ein Zufall kann es kaum sein, dass die Schweizerische Depeschenagentur sda, der TagesAnzeiger, die Aargauer Zeitung, die Südostschweiz und auch cash Online am 29. Januar darüber berichten, was der exBanker Naville zum geplanten EU-USA-Freihandelsabkommen TTIP denkt und sagt.

Ist es denn etwas Neues, was Martin Naville da in die Welt setzte?

Der TagesAnzeiger (inkl. Newsnet) setzte ein Zitat in die Headline: «Bauern dürfen dem Rest der Wirtschaft nicht im Weg stehen». Und fast gleich machten es die AZ und die Südostschweiz: «Bauern dürfen uns nicht im Weg stehen». Vergleicht man die beiden Zitate, kann daraus geschlossen werden, dass für Martin Naville «die Wirtschaft» und «wir» dasselbe sind – mit Ausnahme der Bauern, deshalb die Präzisierung: «… dem Rest der Wirtschaft».

Was aber ist das Anliegen von Naville, oder umgekehrt, seine Sorge? Klar, das Freihandelsabkommen TTIP würde den Handel zwischen der EU und den USA erleichtern – zum Nachteil der Schweiz, denn die Schweiz ist ja nicht in der EU. Was also tun?

Naville braucht den gleichen Terminus, den Prof. Thomas Cottier vom Word Trade Institute der Uni Bern schon am 26.8.2013 in der NZZ und NZZ-Amerika-Wirtschaftskorrespondent Christoph Eisenring am 12.6.2014 im gleichen Blatt gebraucht haben: die Schweiz muss sich, will sie nicht benachteiligt werden, an TTIP «andocken».*

So ist es eben: «Wir», sprich «die Wirtschaft» (ohne die Bauern), wollen natürlich nicht in die EU (denn diese hat ja auch Pflichten, die etwas kosten), aber unsere Nationalbank soll den Schweizer Franken zum Schutze der Exportwirtschaft gefälligst an den Euro koppeln, und falls TTIP kommt, wollen wir uns natürlich «andocken». Von den Vorteilen der EU wollen wir ja schliesslich profitieren. Auch wenn es zum Nachteil der Bauern ist – was es natürlich wäre.

Interessant: Navilles Argumentation gegen die Bauern, die zu TTIP gefälligst zu schweigen haben, ist einfach: «Die Bauern sind für lediglich 0,7 Prozent der Schweizer Wirtschaftsleistung verantwortlich.» Das ist Neoliberalismus pur: Der Wert des Menschen wird nur noch daran gemessen, was er zur Wirtschaftsleistung beiträgt.

Dass mit TTIP und mit den dabei zum Einsatz kommenden privaten Schiedsgerichten der europäische Rechtsstaat ausgehebelt würde, interessiert Naville nicht. Und dass die vielen Länder dieser Erde, die nicht zu den beiden gigantischen Wirtschaftsblöcken USA und EU gehören, durch TTIP noch viel mehr zu Verlierern würden, wird schon gar nicht erwähnt. Was kümmert uns schon Afrika!

Das Wort «andocken» stammt, laut Duden, vor allem aus der Sprache der Raumfahrt: Ein Raumschiff dockt an einer Raumstation an. Es sei erlaubt, zur Beurteilung von Martin Navilles Plädoyer fürs Andocken ein Wort aus der Landwirtschaft zu brauchen: Er plädiert einmal mehr für cherry picking – für die typisch schweizerische Rosinenpickerei.

* * * * *
* NZZ-Chefredaktor Eric Gujer war da etwas kreativer. Er schrieb am 30.10.2015, betreffend TTIP müsse die Schweiz »mit von der Partie sein».)


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3 Meinungen

  • am 31.01.2016 um 12:31 Uhr
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    Wenn wir abseits stehen wollten, müssten wir auch fähig sein ernährungsmässig autark zu leben. Das wäre nur mit einer Einwohnerzahl von 5 Millionen möglich. So könnten wir auch das Gleichgewicht mit der Natur als Land wieder erreichen. Die UNO liess ja 1992 in Rio alle Länder unterschreiben, als Land die Nachhaltigkeit anzustreben, denn die weltweite Nachhaltigkeit ist nur möglich, wenn jedes Land die Nachhaltigkeit erreicht.

  • am 1.02.2016 um 14:57 Uhr
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    Ein interessantes Thema, Markus Zimmermann, aber hier wohl nicht die Frage? Falls doch, gemäss http://www.cityfarmer.org/albie.html könnte sich eine Person mit ca. 420 m2 Land ausgewogen ernähren und dann *könnten* in der Schweiz über 20 Millionen autark leben, aber tatsächlich haben Sie Recht: mit den heutigen Gewohnheiten reicht es nicht einmal für Ihre 5 Millionen. D.h. es geht um Luxus und Verschwendung, die in unserem Fall durch den Freihandel wohl begünstigt werden.

  • am 25.02.2016 um 16:23 Uhr
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    Langfristig wirklich wichtig ist die Teilhabe an der «One Belt – One Road» – Initiative. «One Belt – One Road» ist die praktische, aufgrund der Entwicklung des Kräfteverhältnisses möglich gewordene Kritik an der TTIP/TPP Einkesselungsstrategie gegen den «Euroasiatischen» (sic: und Afrikanischen) Raum. Immerhin ist die Schweiz Gründungsmitglied der Asian Infrastructure and Investment Bank (AIIB), eines der «One Belt – One Road» Instrumentarien. Und das Freihandelsabkommen mit der VR China schadet nichts auch wenn es isoliert betrachtet nicht wirklich viel bringt. Das geplante Andockmanöver des Schweizermoduls ans «Spaceship TTIP» sollte letzteres denn wirklich zum Fliegen kommen, könnte für diejenigen Ingenieure die dahinwollen, vielleicht nicht ganz so einfach vonstatten gehen wie sie heute meinen.

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