Agenda 2030 zur Nachhaltigkeit: Für alle unbequem
In diesen Tagen findet am UNO-Hauptsitz in New York ein kleiner Gipfel statt. Dort, wo vor drei Jahren die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung beschlossen wurde. „Am 17. Juli hat die Schweiz ihren grossen Auftritt“, bemerkte Mark Herkenraht von der Alliance Sud in einer Vorschau mit bitterem Unterton. Denn bei der Umsetzung, um die es nun geht, steht unser Land schlecht da.
Dabei hatte sich die Schweiz „international stark für die Entwicklung der Agenda 2030 und ihrer 17 Ziele engagiert und sie mitgeprägt“. Das betont ein beim Bund als „Grundlage für den Länderbericht 2018“ bezeichnetes Dokument. Schliesslich verfüge die Schweiz bezüglich Nachhaltigkeit über „eine lange Tradition“ und seit 1999 bestehe ein Verfassungsauftrag. Umso trister ist, was jetzt vorliegt: Es sei der Handlungsbedarf erfasst, er fliesse in eine Strategie ein, welcher eine Phase der Umsetzung folge, die per Monitoring überprüft wird. Daraus resultiere in vier Jahren wieder ein Länderbericht … So der Fahrplan von Bern.
Bereits am 3. Juli lieferte ein NGO-Bündnis seine Kritik am „oberflächlichen Bericht“ des Bundesrates ab und präsentierte eigene, umfangreichere Analysen sowie Empfehlungen, wie die Arbeit voranzubringen wäre. Von der „Plattform Agenda 2030“ wird die UN-Initiative als „universeller Referenzrahmen“ zum gemeinsamen Handeln gesehen, der auch und gerade „reiche Länder wie die Schweiz in die Pflicht“ nimmt. Durch vermehrte Information sollte der öffentliche Druck wachsen. Radio SRF brachte dazu am Abend im „Echo der Zeit“ eine knappe Kontroverse.
Wer hat am folgenden Morgen in den Zeitungen etwas über diese fundierte NGO-Analyse gelesen? Zwar war der Titel des Leitartikels im Tages-Anzeiger augenfällig: „Sie sind doch nicht so gut.“ Und gemeint waren die Schweizer. Aber nur die Fussballer, denn es ging um das 0:1 gegen Schweden.
Auch weiter hinten kam im TA keine Zeile zum global relevanteren Thema. Dafür viel über eine Karte, mit der das Bundesamt für Umwelt und die Versicherungswirtschaft die Gefährdung von Gebäuden bei Überschwemmungen präzis aufzeigen. Zwischentitel: „Gerüstet für den Klimawandel.“ Auch ein Artikel zum geplanten Abbau von Heimatschutz war im Blatt sowie einer zum 4×4-Boom auf den nationalen Strassen: „Fast jedes zweite verkaufte Auto ist ein Geländewagen.“ In einer Blog-Rubrik befasste sich ein Historiker mit den zuweilen beschworenen Parallelen zwischen der Jetztzeit und dem Ende des Imperium Romanum.
Ja, die Römer. Galt dort „Brot und Spiele“ nicht als Herrschaftsinstrument? Es scheint im Konsumkapitalismus immer noch zu funktionieren. Jedenfalls füllte der WM-Match, welcher am Tag der Präsentation des NGO-Berichts zum Versagen der Schweiz bei den sogenannten Development Goals schief lief, gleich mehrere Seiten. Kann sein, dass die Tamedia als inzwischen fast landesweite Mutter aller Tageszeitungen, sich des zweiten Themas beim bundesrätlichen Auftritt ennet des Atlantik annimmt. Aber in den Sommerferien sind die meisten dann bekanntlich mal weg.
Das passt. Es gibt zwei Sorten von Menschen, die den Stand des globalen Unrechts zur Zeit exemplarisch belegen: Die einen fliegen wie Wohlstandsköder touristisch in alle Kontinente, die andern gehen im Mittelmeer unter. Ferntourismus ist perfekte Werbung für Migration. Wer möchte nicht dort leben, wo Leute derart reich sind? Vielleicht mache ich es mir hier zu einfach. Aber ich habe noch Aussagen im klugen Buch von Ulrich Brand über unsere „Imperiale Lebensweise“ im Kopf. Die hat er als Universitätsprofessor kompetent analysiert und profiliert kritisiert.
In einem Interview mit Ulrich Brand war bei ‚Infosperber’ – zufällig auch am 3. Juli – zu lesen, dass er sich künftig auf „zwei transkontinentale Flüge pro Jahr“ beschränken wolle. Nicht pro Leben, pro Jahr! Der von ihm betreute Forschungsbereich Internationale Politik erforderte zwar mehr Reisen, „nach Südafrika, nach China, nach Indien“. Doch der Widerspruch ist ihm bewusst. Zweimal sei genug. Dann könne er seiner Arbeit in Wien auch konzentrierter nachgehen, sich politisch engagieren, und er halte so „meinen ökologischen Fussabdruck in Grenzen und komme nicht in Stress“. Ehrlich und zugleich hochnotpeinlich.
Nachhaltigkeit, ernst genommen, ist eben unbequem. Für alle. Doris Leuthard dürften jedoch kaum Skrupel quälen, wenn sie gegen Ende der laufenden Zwischenbilanz-Konferenz zum Thema Nachhaltigkeit mit leeren Händen zum Ministertreffen in New York einfliegt.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
keine. Dieser Text erscheint diese Woche im P.S. als Kommentar zur Besprechung von: Wie nachhaltig ist die Schweiz? Die Umsetzung der Agenda 2030 aus Sicht der Zivilgesellschaft. Hrsg. von der Plattform Agenda 2030. Bern, 2018, 84 Seiten