Kommentar
Ganz gefährliche neue Töne
Es kommt sicherlich nicht alle Tage vor, dass ein Autokonzern Gegenstand einer Kolumne in einer Ärztezeitung wird. Dazu gekommen ist es so: Anfang Januar dieses Jahres trat Oliver Bäte mit dem aufsehenerregenden Vorschlag an die Öffentlichkeit, angesichts des hohen Krankenstandes in Deutschland einen Karenztag einzuführen. Mit anderen Worten: Keine Lohnfortzahlung am ersten Krankheitstag!
Nun ist Herr Bäte nicht irgendjemand, sondern seit zehn Jahren Vorstandsvorsitzender der Allianz, mit mehr als 157’000 Angestellten und einem Jahresumsatz von mehr als 160 Milliarden Euro einer der grössten Versicherungskonzerne der Welt. Auch der Mercedes-Chef Ola Källenius und Monika Schnitzer, die Chefin der sogenannten «Wirtschafts-Weisen», sprangen ihm sogleich zur Seite.
Am Anfang eine ganz normale Auseinandersetzung
Man kennt das schon. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten spielt das immer gleiche Orchester die immer gleiche Melodie über die angeblich unumgängliche Kürzung von Sozialleistungen. Und natürlich spielen die Gewerkschaften in dieser Partitur sofort den immer gleichen Gegenpart: Es sei unverschämt und fatal, Arbeitnehmern zu unterstellen, sie würden «blaumachen». Die Gewerkschaften sprechen von einem Angriff auf soziale Errungenschaften, Geringverdiener würden krank zur Arbeit gehen und dadurch erst richtig krank.
Bis hierher war das eine ganz normale Auseinandersetzung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Aber nun kam etwas Neues dazu, ein ganz neuer Zungenschlag, vielleicht sogar eine ganz neue Dimension. Bereits Ende vergangenen Jahres wurde ruchbar, dass André Thierig, der Geschäftsführer von Tesla in Grünheide bei Berlin, gemeinsam mit seinem Personalchef Erik Demmler bei krankgemeldeten Mitarbeitern unangemeldete Hausbesuche machte.

Man habe nur fragen wollen: «Wie geht es dir? Können wir helfen?» Diese unglaubwürdigen Beschreibungen der Angriffe auf kranke Mitarbeiter änderten aber nichts an dem hohen Krankenstand.
1000 Euro Bonus für Gesunde
Warum ausgerechnet und nur bei Tesla der Krankenstand wesentlich höher war und ist als bei vergleichbaren Firmen, war kein Gegenstand der Überlegungen. Stattdessen griff man nun zu einem finanziellen Lockmittel: Wer weniger als fünf Prozent seiner Arbeitszeit fehle, könne am Ende des Jahres mit einem Bonus von 1000 Euro rechnen.
Als auch das nichts half, entschloss man sich bei Tesla in Grünheide offenbar zu härteren Massnahmen. Man zweifelte jetzt sogar Arztzeugnisse an, verlangte eine Entbindungserklärung von der Schweigepflicht und die Offenlegung der Diagnosen, klagt die IG Metall. Mehrfach soll Tesla daraufhin den Lohn von Krankgemeldeten einbehalten haben mit der Behauptung, eine «Überbezahlung» festgestellt zu haben, da der oder die Beschäftigte irrtümlich während der Fehlzeiten bezahlt worden sei, heisst es in mehreren Medien. Tesla nennt die Vorwürfe «populistische Skandalisierungen».
Ein Schlag ins Gesicht
Das sind ganz neue Töne in unserem Land. Das ist nicht mehr die normale Auseinandersetzung zwischen Tarifparteien, sondern das ist infam und ungesetzlich. Aber nicht nur das. Das ist auch ein Schlag ins Gesicht der Hausärzte der Beschäftigten in Grünheide, ein Schlag gegen die ärztliche Schweigepflicht, ein Schlag gegen die gesamte ärztliche Profession.
Ein Aufschrei müsste von den Ärztekammern, den kassenärztlichen Vereinigungen und den Ärzteorganisationen zu hören sein. Mindestens eine flammende Rede von Britta Müller, der Ministerin für Gesundheit und Soziales in Brandenburg, wäre im Landtag längst fällig. Noch gelten unsere Gesetze – auch für Tesla und einen Elon Musk, selbst wenn ihm das alles egal zu sein scheint. Oder nicht?
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine. Dieser Kommentar des Arztes und Autors Bernd Hontschik erschien zuerst in der deutschen Ärzte-Zeitung.
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