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Die Siedlungspolitik Netanyahus gefährdet den Staat Israel als Ganzes. © Israel

Schlechte Nachrichten aus den USA für Israel

Christian Müller /  Peter Beinart, bekennender Jude und Zionist, analysiert in einem neuen Buch die Haltung der US-Juden gegenüber Israel. Und warnt.

Kurzfristig hatten sie Erfolg, die US-amerikanischen Organisationen des jüdischen Establishments, allen voran das AIPAC (The American Public Affairs Committee, die stärkste und bekannteste Israel-Lobby-Organisation). Im Verlaufe des Jahres 2011 gelang es ihnen, Präsident Obama von einem überzeugten Kritiker der israelischen Siedlungspolitik in der West Bank zu einem – vor allem wahlbedingten – Befürworter der Siedlungspolitik zu machen. Netanyahus Arroganz und Ränkespiele waren durchwegs erfolgreich.

Mittel- und langfristig allerdings sieht es mit dem Interesse der Juden in Amerika an einem jüdischen Staat in Israel nicht sehr gut aus. Die neo-orthodoxen Juden in den USA helfen mit, die Ultra-Orthodoxen in Israel zu stärken – und sie helfen damit ungewollt auch mit, Israel international zu isolieren. Die jungen liberaleren Juden dagegen sind entweder gläubig, darum aber mehr und mehr am jüdischen Glauben, nicht aber unbedingt auch an einem jüdischen Staat interessiert, da sich der Holocaust von der aktiven Erinnerung der eigenen Familie zur reinen Geschichtslektion im Schulbuch zu wandeln im Begriffe ist. Oder aber sie vermischen sich über die Heirat mit nicht-jüdischen Partnern und verlieren ihre jüdische Identität ganz.

Ein Kenner der Szene

Peter Beinart ist ein intimer Kenner der jüdischen Szene in den USA. Sein neustes Buch «The Crisis of Zionism» ist ein Sammelwerk von Aussagen und Zitaten von Politikern, politischen Beratern und Funktionären, von Lobbyisten und anderen Führungsleuten in den USA und auch in Israel. Es ist damit nicht nur ein Plädoyer für eine bestimmte Ansicht, sondern auch eine faktenreiche Dokumentation.

Eingangs seiner Analyse schildert Beinart en détail, in welchem Umkreis Barak Obama in Chicago gross geworden ist. Etliche seiner Lehrer und Mentoren, Förderer und Freunde waren Juden, aber allesamt dem liberalen Flügel des amerikanischen Judentums angehörend. Für sie ist und bleibt ein Staat Israel zwingend verbunden mit den in der Unabhängigkeitserklärung Israels vom Mai 1948 proklamierten gleichen sozialen und politischen Rechten für alle Einwohner, unabhängig von deren Religion, Rasse oder Geschlecht («complete equality of social and political rights to all its inhabitants irrespective of religion, race or sex»). Die seit über vierzig Jahren anhaltende Besetzung der West Bank durch Israel und die damit verbundene völlige Entrechtung der dortigen arabischen Bevölkerung sind deshalb aus Sicht dieser Juden absolut inakzeptabel und die Siedlungspolitik der wahre Grund, warum ein Frieden zwischen Israel und den Palästinensern bis heute nicht zustande gekommen ist.

Netanyahu ist in den USA «daheim»

Aber auch das Umfeld von Benjamin Netanyahu kennt Peter Beinart sehr genau, denn Netanyahus Vater, Benzion Netanyahu, lebte in den USA und war ein prominenter Vertreter der sogenannten Revisionisten, einer militanten, von Vladimir Jabotinsky gegründeten Bewegung. Dass Netanyahu sich sprachlich und mental in den USA «daheim» fühlt, ist denn auch ein oft übersehener Faktor seiner – von aussen oft schwer nachvollziehbaren – politischen Erfolge in den USA.

Beinarts Beschreibung, wie es zur politischen Kehrtwende Obamas im Jahr 2011 gekommen ist, geht denn auch bis hin zu den einzelnen Beratern und Funktionären im Weissen Haus sehr ins Detail. Klarer Profiteur der widerlichen Machenschaften der Leute um das AIPAC war und ist – zumindest bis heute – Benjamin Netanyahu. Ob aber Obama von seinem – wohl nur äusserlichen – Sinneswandel politisch profitieren kann, wird sich erst bei den Präsidentschafts-Wahlen im Herbst 2012 zeigen.

Israel hat kein PR-Problem, sondern ein moralisches Problem

Wer in Europa zu denken geneigt ist, dass «die Juden» in Amerika ein fester Block sind, der standhaft und mit viel Geld zur israelischen Regierung hält, muss sich von Peter Beinart eines Anderen belehren lassen. Das von aussen sichtbare jüdische Establishment um die Israel-Lobby-Organisation AIPAC leidet massiv an personeller Überalterung und wird deshalb an Einfluss schnell verlieren. Daneben gibt es aber auch in den USA eine dank der kinderreichen Familien schnell wachsende Gruppe von neo-orthodoxen Juden, die sich als Fundamentalisten in heutige – letztlich dem Frieden und dem Wohlstand dienen sollende – politische Prozesse kaum einbinden lassen. Aber auch die moderneren, vor allem jüngeren Juden sind gespalten in jene, die sich zwar intensiv mit dem jüdischen Glauben, nicht aber im gleichen Masse mit der jüdischen Ethnie identifizieren, und in jene, die sich mit andersgläubigen Menschen schnell vermischen und denen die jüdische Identität zusehends verloren geht. Vor allem, so Beinart, sei auch die Motivation, Israel zu helfen, am Schwinden, da die Hauptbedrohung Israels, der weltweite Antisemitismus, spürbar zurückgehe.

Auch neuere Bewegungen wie BDS (Boycott, Desinvestition, Sanctions), die Druck auf die israelische Regierung zu machen versuchen, werden im Buch von Beinart behandelt, wobei er den Aktivitäten von BDS volle Unterstützung zollt. Und er ist auch überzeugt, dass solche israelkritischen Bewegungen mit reinen PR-Massnahmen Seitens Israel nicht gestoppt werden können. «Israel doesn’t have a public relations problem; it has a moral problem», schreibt er wörtlich (Israel hat kein PR-Problem, es hat ein moralisches Problem).

Ob Israel überleben wird?

Wer allerdings erwartet hätte, dass Beinart die in Sichtweite stehende politische Loslösung der USA von Israel begrüsst, sieht sich getäuscht. Beinart ist ein glühender Befürworter eines jüdischen Staates Israel, ein Zionist alter Schule. Seine harte Kritik gilt in keiner Weise dem Staat Israel, wie er 1948 gegründet wurde. Sie gilt ausschliesslich der für ihn inakzeptablen langjährigen Besetzung der West Bank und den dort immer schneller wachsenden jüdischen Siedlungen, die aus seiner Sicht das Überleben des jüdischen Staates Israel massiv gefährden. So vertritt er denn auch klar die Meinung, Produkte aus den besetzten Gebieten in der West Bank sollen als solche deklariert und boykottiert werden, Produkte aus Israel innerhalb der sogenannten grünen Linie aber sollen mit gleichem Engagement gekauft und gefördert werden.

Für Israel-Interessierte unumgänglich

Peter Beinart hat sein Buch «The Crisis of Zionism» mit der Absicht geschrieben, einen Beitrag zum Überleben des jüdischen Staates Israel zu leisten. Doch diese seine Absicht bleibt wohl eine Illusion. Seine gut belegten Schilderungen, mit wie viel Dreck die Regierung Netanyahu die West Bank für immer unter die Herrschaft Israels zu bringen versucht, sind zu anschaulich, als dass der Leser nach gehabter Lektüre noch bereit wäre, Netanyahu zwar zu verdammen, dem Staat Israel aber nur das Beste zu wünschen. Beinarts langes Plädoyer, dass der Staat USA die jüdischen Schulen und Universitäten in den USA finanziell massiv unterstützen sollte, um das amerikanische Judentum – und damit indirekt auch die Existenz Israels – zu unterstützen und zu fördern, kommt nach der Lektüre nicht wirklich gut an. Nachdem nach Peter Beinarts Einschätzung der Antisemitismus weltweit deutlich im Abklingen ist, ist schwer einsehbar, warum dann jüdische Bildungsinstitute mit dem erklärten Ziel, das amerikanische Judentum zu stärken, staatlich gefördert werden sollten.

Wie auch immer: Wer sich zu Israel und zum israelisch-palästinensischen Konflikt eine eigene Meinung bilden will, kommt nicht darum herum, Peter Beinarts «The Crisis of Zionism» zu lesen (Times Book New York 2012) .

Nachtrag 2013: Jetzt ist das Buch auch in deutscher Sprache erschienen: Peter Beinart: Die amerikanischen Juden und Israel, Beck Verlag 2013. Bei Buchhaus.ch für CHF 35.90

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Nachtrag zur Situation in Deutschland

Der Stimmungswandel gegenüber der israelischen Siedlungspolitik ist nicht nur in Amerika zu spüren, sondern auch in Europa. Das EU-weite Verlangen, Produkte aus den israelischen Siedlungen im besetzten Palästina genau zu deklarieren, sind eines der Zeichen. Sogar in Deutschland, dem neben Tschechien treusten Verbündeten Israels, kippt die Stimmung. Günter Grass’ Gedicht zu Israel hatte zwar in der Presse einen Protest-Aufschrei bewirkt, die Meinung der Öffentlichkeit aber war deutlich näher bei Grass als bei dessen vorschnellen und zum Teil Springer-Konzern-gesteuerten Kritikern.

Ausdruck des Stimmungswandels ist aber auch, dass israelkritische Stimmen öfter publiziert und deshalb auch mehr zur Kenntnis genommen werden. So etwa sind die bisher nur in der «Neuen Rheinischen Zeitung» (einer Online-Plattform) erschienenen israelkritischen Kolumnen von Evelyn Hecht-Galinski, der Tochter des langjährigen Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, jetzt auch als Buch erschienen (Evelyn Hecht-Galinski: Das Elfte Gebot: Israel darf alles. Palmyra Verlag Heidelberg 2012). Im Vergleich zu Peter Beinarts Buch sind die Kolumnen von Evelyn Hecht-Galinski allerdings stärker meinungs- als faktenorientiert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine

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Eine Meinung zu

  • am 31.05.2013 um 22:27 Uhr
    Permalink

    Ich habe mich über eine gewisse Zeit mit Israel beschäftigt und unter anderem gelesen, dass Israel das Land rechtsmässig und für viel Geld gekauft habe. Nun, so wie wir Schweizer Land brauchen und schützen, um zu leben, so brauchen es auch die Menschen in Israel. Ich war mal 3 Monate dort. Stellt euch vor, die Schweiz wäre die ganze Zeit umzingelt von Ländern die uns Land von unserer kleinen Schweiz nehmen will. Würden wir das zulassen oder uns wehren ? Ich bin gegen jegliche Gewalt, aber wenn mir dauernd verschiedene Nachbarn in die Wohnung kämen und mal das bad, mal die Küche oder das Schlafzimmer von uns haben wollen und sonst Anschläge auf uns planen/ausführen, dann würde ich auch irgendwann zurückschlagen. Aktion erzeugt Reaktion. So oder so. Immer wieder in alle richtungen

    http://tangsir2569.wordpress.com/2010/11/10/wem-gehort-das-land-israel/

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