Shrimps_Krevetten

Shrimps oder Krevetten: Umweltbelastete Zucht und häufig Hungerlöhne © LifeSupercharger/Flickr/CC

Kein «Fair Trade» ausgerechnet bei Meerfischen

Billo Heinzpeter Studer /  Im Vergleich zu Bananen, Kaffee oder Tee wäre fairer Handel bei Fischen noch wichtiger. Doch Label-Organisationen bleiben passiv.

Für die Dritte Welt ist Fisch als Exportprodukt ökonomisch wichtiger als die Summe aller Lebensmittel, die wir heute unter einem Fairtrade-Label kaufen können. Aber bis heute machen die Fairtrade-Bewegung und die entwicklungspolitischen Organisationen einen grossen Bogen um den Fisch. Deshalb kümmert sich auch der Handel nicht um fairen Fisch.

2008 startete der internationale Verband der Labelorganisationen für Fairen Handel (FLO) ein kleines Projekt, das wenigstens für Krevetten aus Zucht aus der Dritten Welt ein Zertifikat für fairen Handel bringen sollte. Das Projekt ist kürzlich abgebrochen worden – wegen eines zu kleinen Handelsvolumens…

Bis auf weiteres ist «fair-fish» das einzige Label, das – nebst Tierschutz und Nachhaltigkeit – auch Kriterien des Fairen Handels umfasst. Wahrscheinlich ist genau dies mit ein Grund dafür, weshalb der Handel bisher nicht mit «fair-fish» kooperieren mag: denn der real existierende Fischhandel ist alles andere als fair, und wer das als erster ändern will, riskiert, seinen Marktanteil an weniger faire Konkurrenz zu verlieren.

Akademischer Lösungsansatz

2008 hatte der internationale Verband der Labelorganisationen für Fairen Handel (FLO Fairtrade Labelling Organizations International) ihrem Mitglied Fairtrade Foundation England (FTF) den Auftrag erteilt, Richtlinien für Fischzucht und Fischerei zu entwickeln. Die Vorgehensweise der FTF war von Anfang an eher akademisch. «fairFish» wollte mit der FTF zusammen arbeiten, denn «fairFish» betrachtete es als Nachteil, der einzige Pionier weit und breit zu sein, der Richtlinien für den Fairen Handel mit Fischen bereithält – zu zweit käme man weiter.

Entwurf für Standard abgelehnt

Anfänglich liess sich die Kooperation mit dem Projektverantwortlichen der FTF nicht schlecht an. Doch als «fairFish» am ersten Entwurf eines FLO-Standards für Zucht-Shrimps kritisierte, er sei zu wenig praxisorientiert und für kleine Fischer im Weltsüden sogar kontraproduktiv, liess der Projektverantwortliche bei ETF die Zusammenarbeit entschlafen. Ein zweiter FLO-Entwurf für einen Shrimp-Standard im September 2011 war noch praxisferner und kam den Änderungsvorschlägen von «fairFish» nicht entgegen.

Aus nach vier Jahren

Mitte Februar 2013, gut vier Jahre nach dem Start der Arbeiten, gab die FLO auf. Die FLO-Zentrale in Bonn erklärte: «Ein Projekt dieser Grössenordnung ist nur machbar, wenn es eine Verpflichtung zu und eine Nachfrage nach bedeutenden Mengen von Fairtrade-Shrimps gibt, um Mittel zu generieren und die gewünschten Veränderungen zu bewirken. Unsere bisherige Beurteilung zeigt, dass die geplanten Mengen an Fairtrade-Shrimps diese Hebelwirkung am Markt nicht ermöglichen würden.»
Hinzu kämen die allgemeinen Schwierigkeiten in der Folge der Krise. Daher habe man sich entschlossen, die Fairtrade-Shrimps vorläufig nicht zu lancieren. Die Vorarbeiten hätten aber gezeigt, dass ein Bedürfnis nach einem Shrimp-Standard bestehe, und FLO begrüsse daher die Bemühungen des WWF-Zuchtlabels ASC, der Ethical Trade Initiative und der Internationalen Arbeitsorganisation ILO.

Kurzsichtig und mutlos

Kein Wort darüber, dass einige Biolabels und sogar das mengenmässig führende Label für nachhaltige Fischerei und Aquakultur, «Friend of the Sea» (FOS), längst soziale Vorgaben in der Aquakultur machen, die als Schnittstelle für Kriterien des Fairen Handels dienen könnten. Warum suchten FTF und der Labelverband FLO keine Zusammenarbeit mit «Friend of the Sea»? Warum orientierten sie sich am komplexen, teuren und zudem erst ab 2012 allmählich auf dem Markt auftretenden WWF-Fischzucht-Label ASC?

Vor allem aber kein Wort über die 2008 ebenfalls in Auftrag genommene Entwicklung eines FLO-Standards in der Fischerei. Ausser ein paar schönen Worten auf Papier hat die FTF dazu bis heute nichts produziert. Wenn nicht einmal die Zentrale der Fairtade-Zertifizierer fähig ist, den Handel mit der wichtigsten Commodity der Dritten Welt im Nahrungsmittelbereich fair zu gestalten, warum soll es denn der Handel tun?

Es fehlte weniger an Mitteln als an Engagement

Was fehlt, ist der Wille, etwas zu bewegen. Dass die Mittel knapp sind, ist eine Binsenwahrheit. Aber wenn man die Priorität bei vergleichsweise einfachen Kolonialprodukten wie Bananen, Kaffee und Tee setzt, den Fisch hingegen ausklammert, dann liegt das Problem nicht beim Mangel an Mitteln, sondern beim Mangel an Willen, die vorhandenen Mittel dort einzusetzen, wo sie im Sinn des Fairen Handels die grösste Wirkung brächten.
Die Menschen aus Westafrika emigrieren nicht deswegen nach Europa, weil wir hier zu wenig fairen Tee schlürfen, sondern weil ihr Handel mit Fisch ihnen immer weniger einbringt.

Industrielle Mengenlogik statt Strategie für Kleinproduzenten

Würde die FLO wirklich bei den kleinen Produzenten beginnen, zum Beispiel bei den artisanalen Fischern, dann würde sie nicht in grossen Mengen denken, sondern eine kluge Strategie für die kleinen Mengen entwickeln, wie sie lokal von kleinen Produzenten anfallen, und die kleinen Produzenten so klein bleiben lassen, wie es ihnen selber taugt.
Das ist ein härteres Stück Arbeit, denn da gibt es auch bei wachsenden Marktanteilen keine grossartige scale of economy, wie sie die Marketingabteilungen von Handelsketten so gerne haben. Wer kleinen Produzenten im Weltsüden eine Existenz ermöglichen will, muss in Europa Handelspartner finden, die nicht nach Label-Lorbeeren zum tiefstmöglichen Einstandspreis schielen. Auf Dauer wäre es nachhaltiger, kleinere Mengen bei hohen Anforderungen umzusetzen, als die Label-Strategie zu verindustrialiseren, nur um möglichst in jedem Supermarkt präsent zu sein.

«Fair-fish» wäre bereit, aber…

Für fair-fish stellt sich die Frage, wie fairer Handel in der Fischerei durchgesetzt werden kann, nun noch brutaler. Der fair-fish-Standard steht. Was fehlt, ist ein Handelsunternehmen, das etwas fantasievoller und mutiger denkt als eine FLO, deren Stab vom industriellen Denken beeinflusst und erst dann aktiv wird, wenn grosse Mengen winken.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor ist Initiator des Vereins «fair-fish», den er 15 Jahre lang leitete und heute präsidiert. Daneben wirkt er als Beirat des Vereins Friend of the Sea.

Zum Infosperber-Dossier:

Bio_Label

«Fair Trade» und «Bio»

Viele zahlen für fairen Handel und für echte Bio-Produkte gerne mehr. Das öffnet Türen für Missbrauch.

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