Etwas Ungeziefer und kleine Schäden sind nun erlaubt
«Schweizer Gemüseproduzenten setzen ein Zeichen gegen Foodwaste», frohlockten die Medien. Künftig seien im Handel auch Gemüse mit kleinen Schönheitsfehlern erhältlich. Doch eigentlich ändert sich kaum etwas.
Der Verband nennt in seiner Medienmitteilung genau zwei Makel, die neu erlaubt sind: feine Aussenränder auf Blattsalaten und «kleinstflächige Schalenfehler» auf Zucchetti.
Ein paar Blattläuse sind neu erlaubt
Infosperber hat die Normen für die 65 Gemüsesorten, die der Verband laut eigenen Angaben in «mehrmonatiger Arbeit umfassend überarbeitet» hat, genauer angesehen und festgestellt, dass es im Wesentlichen zwei weitere grössere Änderungen gibt.
Die erste hat der Verband wohl nicht erwähnt, weil sie etwas unappetitlich wirken könnte: Bei Blattsalaten sind «einzelne tierische Schädlinge erlaubt». Das heisst, dass man künftig mit ein paar Blattläusen rechnen muss.
Die zweite Änderung betrifft die Grösse der Bio-Gemüse. Es darf minim kleiner sein als konventionelles. Ein Beispiel: Bio-Broccoli dürfen neu auch nur fünf Zentimeter statt mindestens acht Zentimeter Durchmesser aufweisen.
Kleineres Bio-Gemüse – mehr Gewinn
Kleineres Bio-Gemüse hat vor allem für die Händler einen Vorteil. Die zum Teil immensen Preisaufschläge im Vergleich zum konventionellen Gemüse fallen weniger auf. Dass die Preise für Bio-Produkte unverhältnismässig hoch sind, hat bereits Preisüberwacher Stefan Meierhans bemängelt. Es gebe Indizien dafür, «dass Bio-Produkte stärker verteuert werden, weil sie eine extra hohe Marge zu tragen haben». Die Preise für konventionell produzierte Lebensmittel sind laut Bundesamt für Landwirtschaft 2022 um 2,4 Prozent gestiegen. Bio-Produkte wurden 4,4 Prozent teurer.
Bei den neuen Bestimmungen geht es kaum um einen «wichtigen Beitrag zur Reduktion von Foodwaste», wie es der Verband Schweizer Gemüseproduzenten (VSGP) gern betonte. Denn nach wie vor machen die Händler den Bauern so strikte Vorschriften, dass sie viel Gemüse entsorgen müssen.
«Guter Gesamteindruck» ist wichtiger
So landet ein Prachtstück von einem Kopfsalat nach wie vor im Abfall, wenn er nicht in einem Hofladen verkauft werden kann. Bei Migros, Coop, Aldi, Lidl oder einem anderen Händler würde er das einheitliche Bild der Kopfsalate im Laden stören.
Nach wie vor gilt nämlich für Salat, Gemüse und Früchte die strenge Richtlinie: «Die Kalibrierung innerhalb eines Packstücks muss so homogen sein, dass der gute Gesamteindruck nicht beeinträchtigt wird.»
Nur ums gute Bild geht es bei etlichen weiteren Anforderungen, die eigentlich ebenfalls hätten gelockert werden müssen, wenn es denn ernsthaft um Massnahmen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln ginge.
Stiele höchstens 30 Millimeter
Nach wie vor muss Gemüse nach strengen Regeln gewachsen sein, wenn es einen Platz im Gemüseregal finden soll. Einige Beispiele: Auberginen-Stiele dürfen höchstens drei Zentimeter lang sein. Bei Kefen dürfen Kerne «nur schwach abgezeichnet» sein. Genauso wie bei Stangenbohnen, wo die Kerne «nur schwach ausgebildet» sein dürfen, «ohne die Hülsen aufzutreiben». Auch spezieller Wuchs wird nach wie vor nicht toleriert. So gilt etwa bei den Zwiebeln: «Keine Doppelzwiebeln.» Brüsseler darf nur 11 bis 19 Zentimeter lang sein. Sonst passt er nicht gut in die Packungen.
Schwache Gurken-Krümmung erlaubt
Bei den Salatgurken kam es zu einer kleinen, aber keiner radikalen Abkehr von den strengen Bedingungen: Sie dürfen zwar nun 50 Gramm leichter sein, aber nach wie vor gibt es Vorschriften zur Krümmung: Maximal zwei Zentimeter Abweichung auf zehn Zentimeter Gurke.
Weitere kleine Lockerungen beweisen lediglich, wie streng der Handel bisher aussortierte und es weiter tun wird: Blumenkohl darf neu bis zu 1,2 Kilo statt nur maximal 1 Kilo wiegen. Ausserdem darf er eine «leicht gelbliche Färbung» haben. Für Rosenkohl gibt es eine etwas grössere Bandbreite: Er darf nun 20 bis 42 Millimeter Durchmesser haben – statt 22 bis 40 Millimeter.
Rote Kirschen unerwünscht
Auch bei Früchten sind die Händler radikal auf den guten Eindruck bedacht. So machte die Aargauer Zeitung kürzlich bekannt, dass ein Aargauer Obstbauer 60 Bäume fällen musste, weil Coop von ihm keine roten Kirschen mehr wollte. Der Grossverteiler stellt offenbar eine höhere Nachfrage nach schwarzen Kirschen fest und beobachtet «eine Tendenz hin zu grösseren Kirschen».
Zusätzlich hässig wurde der Bauer, als er merkte, dass diese Regel offenbar nur für Schweizer Kirschen gilt. Denn Coop bot Kirschen aus Spanien und Italien in Aktion an – und diese waren: rot.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
_____________________
Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Ein einziger Bauer muss heutezutage 100 Menschen ernähren, die alle «etwas besseres» zu tun haben.
Z.B. Mit dem Ferrari im Kreis herumfahren müssen. Oder, im Auftrag von ganz oben die perfekte Gurke finden müssen, die nicht nur «optisch», auch an «Geschmacklosigkeit » nicht mehr zu überbieten ist.
Die Berechnungen, wie viele Menschen ein einziger Bauer (beziehungsweise eine Arbeitskraft in Landwirtschaftsbetrieben) ernährt, sind unterschiedlich. Nach den meisten Angaben sind es bei uns über 100. Doch alle diese Berechnungen vernachlässigen, dass die heutigen Bauern viele Maschinen, Technik, Futter- und Düngemittel benötigen und kaufen, um ihre Nahrungsmittel zu produzieren. Man muss deshalb alle nötigen Arbeitskräfte, welche alle diese Maschinen, die Energie und die Futter- und Düngemittel für die Landwirtschaft herstellen, ebenfalls zum Aufwand der Nahrungsmittelproduktion rechnen. Sie sind ebenfalls nötig, um die Menschen zu ernähren.
Richtig, Herr Gasche.
Aber wie Dekadent muss ein Staat schon sein, der dem, immer noch armen Bauern wie zu Feudalzeiten «vorschreibt» wie seine Nahrungsmittel «Millimeter genau» aussehen müssen, oder…..heute rote und morgen blaue Kirschen haben möchte. Anstatt sich nach dem Bauer und der Natur zu richten, werden beide -wie früher- zu Leibeigenen der Herrschaft ,deren Kinder mittlerweile eine krumme Gurke als «anormal» bezeichnen. Und alle, haben schon einmal einen echten Elefanten gesehen. So gut wie keiner, ein echtes Schwein. Das ist für mich Geschmacklos.