Sperberauge

Easy-Ride: Alles noch schlimmer

Marco Diener © zvg

Marco Diener /  «Easy-Ride» verrechnet zuweilen nicht «das günstigste Billett», sondern das teuerste: eine Tageskarte für 75 Franken.

Eigentlich ist «Easy-Ride» für Reisen mit Bus, Tram, Zug oder Schiff eine gute Sache: Der Passagier checkt vor der Fahrt mit einem Wisch auf seinem Smartphone ein und nach der Fahrt wieder aus. «Und am Ende des Tages», versprechen die SBB, «berechnet ‹Easy-Ride› den besten Preis für Sie.»

Nur: Es funktioniert nicht richtig. Das zeigte kürzlich die Fernsehsendung «Kassensturz». Infosperber berichtete darüber. Ein Ehepaar war von Tirano (I) nach Winterthur ZH gereist. Beide nutzten «Easy-Ride». Der Frau belasteten die SBB nach der Reise Fr. 52.30, dem Mann für die gleiche Strecke Fr. 75.–.

SBB Easy Ride Kassensturz
Es kommt vor, dass Easy-Ride nicht das günstigste, sondern das teuerste Billett berechnet.

Die SBB sprachen zuerst von einem technischen Problem, später von unterschiedlichen Ortungsdaten. Doch warum sie dem Mann Fr. 22.70 mehr belastet hatten als der Frau, konnten sie nicht wirklich sagen.

Der italienische Bahnhof

Recherchen von Infosperber und die Informationen eines pensionierten Bahnexperten zeigen nun: Vermutlich hat «Easy-Ride» bei der Frau den Bahnhof der Rhätischen Bahn in Tirano erfasst, beim Mann hingegen den benachbarten Bahnhof der Ferrovie dello Stato. Vom italienischen Bahnhof aus konnte «Easy-Ride» aber den Preis für ein Streckenbillett nicht berechnen. Deshalb belastete das System kurzerhand eine Tageskarte für Fr. 75.–. Das ist das teuerste Billett für Halbtaxabo-Besitzer.

Deshalb fragte Infosperber die SBB: «Ist es denkbar, dass zu frühes Einchecken zur Wahl einer Tageskarte und damit zum Preis von Fr. 75.– geführt hat?» Die SBB verneinten: «Nein. Grundsätzlich ist zu frühes Einchecken kein Problem. Die erfassten Daten werden für die Preisberechnung mit den Fahrplandaten gemapped.»

Vermutlich ist es trotzdem so. Denn eine plausible Erklärung für die viel zu hohe Belastung konnten die SBB auch auf mehrmalige Nachfrage von Infosperber nicht liefern. Die SBB verwiesen vielmehr an den «Easy-Ride»-Lieferanten Fairtiq. Fairtiq seinerseits verwies zurück an die SBB.

Die SBB-Leute kommen nicht draus

Das ist nicht gerade vertrauenserweckend. Umso mehr als Sayanthan Jeyakumar, Leiter von SBB-Mobile, dem «Kassensturz» sagte: «Wir sind sehr darauf bedacht, zu verstehen, wie das Ganze funktioniert.» Mit anderen Worten: Die SBB-Leute kommen selber nicht draus – dreieinhalb Jahre nach Einführung von «Easy-Ride».

«Easy-Ride» berechnet zu viel

Da das Einchecken in unterirdischen Bahnhöfen nicht immer funktioniert, empfahl Jeyakumar auch: «An der Oberfläche einchecken, dann langsam hinuntergehen und den Zug nehmen.»

Nun zeigt sich aber, dass «Easy-Ride» in solchen Fällen unter Umständen einen Startort ausserhalb des Bahnhofs registriert. Haltestellen etwa, die nahe beim Bahnhof liegen. In Zürich zum Beispiel die Haltestellen Central, Sihlpost oder Hirschengraben, in Bern die Haltestellen Obergericht, Bollwerk oder Hirschengraben. Und dann berechnet «Easy-Ride» zusätzlich eine Tram- oder eine Busfahrt. Was auch dann passieren kann, wenn jemand spät auscheckt.

«Problem melden»

Deshalb präzisieren die SBB: «Wir empfehlen, erst einzuchecken, wenn man im Bahnhof ist.» Und wenn «Easy-Ride» doch einen falschen Startpunkt erfasst, dann sollen die Bahnkunden «den Button ‹Problem melden›» drücken. «So kann die Reise überprüft werden und ein allfällig falsch berechneter Betrag zurückerstattet werden.»

Damit ist klar: So bequem, wie es in der Werbung klingt, ist «Easy-Ride» nicht — wenn die Kunden am Schluss jede Belastung genau überprüfen und dann auch noch ihr Geld zurückfordern müssen.

Rätsel um den Maximalbetrag

Auf ihrer Website erklären die SBB, welchen Betrag «Easy-Ride» maximal belastet:

  • «Mit Halbtax: Tageskarte für 75 CHF in der 2. Klasse und 127 CHF in der 1. Klasse.»
  • «Ohne Halbtax: Keine Obergrenze, es werden Ihnen die Billette zum Vollpreis belastet.»

Der Mann, von dem im Haupttext die Rede war, besitzt ein Halbtaxabo. Deshalb wurden im Fr. 75.– belastet. Infosperber wollte von den SBB wissen, wie viel ihm belastet worden wäre, wenn er kein Halbtaxabo besässe.

Wahrscheinlich wissen es die SBB selber nicht. Zuerst antworteten sie dem Infosperber: «Den Preis für die Strecke von Tirano nach Winterthur zum Vollpreis.» Aber das stimmt nicht, weil «Easy-Ride» ja gar nicht in der Lage war, vom italienischen Bahnhof aus einen Billettpreis zu berechnen.

Deshalb fragte Infosperber nach. Die genervte Antwort der SBB: «Wir äussern uns nicht zu Fällen, die nicht eingetreten sind.» Oder anders gesagt: Die SBB haben keine Ahnung.

Weiterführende Informationen


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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Eine Meinung zu

  • am 28.06.2023 um 07:09 Uhr
    Permalink

    In unser Familie kaum gebraucht und bereits zwei Mal zu viel verrechnet. Als ich den Vorfall meldete, hiess es zuerst ganz trocken, ich habe ja 1. Klasse gebucht! Das wars jetzt mit «Easy ride».
    Das ist so schade, denn der Nutzen das Potenzial wären gross gewesen. Und würde die Plattform manchmal nur ein wenig zu wenig statt fast immer zu viel verrechnen, wäre es sogar gelungenes Marketing gewesen.

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