Kommentar
Der private Grundbesitz wird zum Mega-Problem
Besonders bunt treiben es die Spekulanten im Zürcher Vorortsquartier Wollishofen. In einer Grossüberbauung am See soll, wie der «Blick» berichtet, die teuerste 3,5-Zimmer-Wohnung für 7590 Franken vermietet werden. Weiter oben im Quartier wird ebenfalls Platz für reiche Zuzüger geschaffen: 39 Mieter stehen vor der Kündigung. Sechs Mietshäuser sollen abgerissen und durch Neubauten mit fast doppelt so vielen Wohnungen ersetzt werden. Klar ist jetzt schon, dass die Mieten (bisher 2400 Franken für eine 3-Zimmer-Wohung) massiv steigen werden. Wie eine Studie der ETH zeigt, verdienen die Mieter in den neu gebauten Wohnungen im Schnitt monatlich 3600 Franken mehr als die Vormieter. Mittelstand raus, globale Oberschicht rein.
Gleiches passiert an allen Orten, die für die globale Oberschicht attraktiv sind. Diese verfügt über ein Vermögen, das laut McKinsey das 18-fache des globalen BIP beträgt, exponentiell wächst und jederzeit und überall in Immobilienbesitz umgewandelt werden kann. Attraktiv ist ein Ort vor allem dank öffentlichen Vorleistungen wie Verkehrsinfrastruktur, Schulen, Spitäler, Sicherheit – und tiefen Steuersätzen. Als Folge wird der Eintrittspreis nicht vom Staat, sondern von den Bodenbesitzern kassiert. Diese profitieren zudem davon, dass sich mit den Reichen auch die gut bezahlten Tätigkeiten – Pharma, Finanz, Unternehmensberatung etc. – in die Hotspots verlagern. Gefolgt von einem Schwarm von Dienstleistern – Nannys, Kuriere, Personal Trainer etc.
10,5 Milliarden zu viel, sagt Badran
Das ist eine sehr ungute Entwicklung – nicht nur sozial, sondern auch volkswirtschaftlich: Die Normalverdiener werden aus ihren Quartieren vertrieben und zahlen in den Vororten dennoch meist mehr Miete. Auf der anderen Seite werden die Bodenbesitzer immer reicher – und können noch mehr Milliarden in Immobilien investieren. Ein Teufelskreis. Was ist zu tun? SP-Nationalrätin Jacqueline Badran fordert, dass das geltende Mietrecht – die «Kostenmiete» – strenger durchgesetzt werde. Danach soll sich die Miete auf die «durch die vermietende Partei zu tragenden Liegenschaftskosten» beschränken. Konkret genannt werden die «Fremdkapitalkosten» (Überwälzung der Hypozinse auf die Mieter), die «Unterhaltskosten» und eine «Nettorendite auf dem eingesetzten Eigenkapital». Diese beträgt aktuell 3,5 Prozent.
Badran schätzt, dass die Marktmieten gesamtschweizerisch aktuell mindestens 10,5 Milliarden Franken über der Kostenmiete liegen. Sei es, weil die Vermieter den Rückgang der Hypozinsen (die 1990 noch bei 6,75 Prozent lagen), nicht oder nur teilweise weitergegeben haben, sei es, weil sie eine zu hohe Eigenkapitalrendite erzielen. Doch die mietrechtliche Kostenmiete hat einen entscheidenden Fehler: Sie betrachtet nur das Verhältnis von Mieter und Vermieter. Der dritte im Bunde, der Grundbesitzer, bleibt unbehelligt. Niemand hindert ihn daran, mit seiner Liegenschaft einen «übersetzten Ertrag» zu erzielen.
Jährlich 90 Milliarden Bodenrente
Ein konkretes Beispiel: In Adliswil wurde jüngst eine 3,5-Zimmer-Wohnung von 92 Quadratmetern, deren Baukosten bei rund einer halben Million Franken liegen, zu etwas mehr als 1,5 Millionen Franken verkauft. Will der Käufer die Wohnung weitervermieten, dann darf er seinem Mieter auch die Zinskosten von monatlich über 2000 Franken belasten, die er für die Finanzierung des Baulands aufwenden muss. Dieses Geld fliesst – volkswirtschaftlich gesehen – an den Bodenbesitzer. Zusammen mit den effektiven Kosten für Verwaltung, Unterhalt, Abschreibung etc. und der Verzinsung (bzw. Eigenkapitalrendite) auf den übrigen 500’000 Franken, ergibt sich ein Mietzins von mehr als 5000 Franken.
Das Beispiel zeigt, dass auch eine korrekt berechnete «Kostenmiete» weit über der Marktmiete liegen kann. Zweitens wird klar, dass unser Mietrecht die Frage ausklammert, ob nicht auch der Grundbesitzer einen «übersetzten» Ertrag erzielen kann. Angesichts der explodierenden Bodenpreise und der teils extrem hohen Belastung der Mieter ist dies inzwischen eine Hundert-Milliarden Frage.
In diesem Beitrag für die «Republik» haben Priscilla Imboden und ich ausgerechnet, dass den Grundbesitzern jährlich rund 90 Milliarden Franken reine Bodenrente zufliessen. Davon stammen je etwa die Hälfte aus zu hohen Mieten (siehe die monatlich über 2000 Franken aus unserem Beispiel) und aus dem Verkauf von Liegenschaften, bzw. der darin enthaltenen Grundstückskosten.
Dass dies eher eine Untertreibung ist, zeigt diese Statistik der Nationalbank, wonach das Immobilienvermögen der Privathaushalte seit 2012 jährlich(!) um 89 Milliarden Franken gestiegen ist. Darin sind die Immobiliengewinne der Pensionskassen und der Immobilienfonds nicht eingerechnet.
Niemand rüttelt am Tabu des privaten Grundbesitzes
Dieser Betrag von rund 90 Milliarden ist rund neunmal so hoch, wie die von Jacqueline Badran errechneten 10,5 Milliarden Franken. Damit ist klar: Die Bodenrente der Grundbesitzer ist das Problem, doch sie wird durch das Prinzip der Kostenmiete nicht in Frage gestellt. Offenbar ist es auch für linke Kampfnaturen nicht ratsam, am Tabu des privaten Grundbesitzes zu rütteln. Wie tief dieses in der Bevölkerung verankert ist, zeigt erwähntes Beispiel aus Wollishofen. Da werden 39 Familien aus ihrem Lebensraum gerissen. Sie müssen sich eine neue Bleibe suchen, hohe Umzugskosten zahlen und sie büssen wohl einen beträchtlichen Teil ihrer Kaufkraft ein. Dennoch kommen sie nicht auf die Idee, den Verursacher und Profiteur ihres Unglücks – ihren Landvogt – zur Kasse zu bitten. Sie haben stattdessen eine Petition unterzeichnet, wonach die Stadt Zürich das Grundstück kaufen soll. Zum Marktpreis versteht sich. Auch für die «Blick»-Reporterin, welche die Nöte der Anwohner kennt, ist der Privatbesitz heilig: «Klar ist: Gegen den Verkauf einer Liegenschaft durch den Privatbesitzer gibt es keine Handhabe gegen ein Bieterverfahren.»
Der Einmarsch des globalen Kapitals auf die lokalen Bodenmärkte ist eine ähnlich einschneidende Landreform wie die «Enclosures» (Einhegung) in der Frühindustrialisierung. Damals wurde das bisher nur vererbbare Land zur Handelsware, die an den Meistbietenden verkauft oder verpachtet wurde. Das waren damals die flandrischen Wollmanufakturen, die Weidenflächen für ihre Schafe brauchten. Hunderttausende Bauern wurden vertrieben oder starben an Unterernährung. Das ist ein Lehrbeispiel dafür, dass ein globaler Markt bei einer einseitigen Einkommensverteilung absurde Preissignale generiert: Wolle für die Reichen ist wichtiger als Nahrung für die Armen. Arbeit für den Export verdrängte die Arbeit für den lokalen Bedarf – genau wie heute.
Höchste Zeit für grundsätzliche Fragen
Es ist deshalb höchste Zeit, sich grundsätzliche Fragen zu stellen: Mit welchem Recht dürfen die Grundbesitzer – ohne produktive Gegenleistung – inzwischen etwa 10 Prozent des BIP für sich beanspruchen? Was können wir dagegen tun? Die «Kostenmiete» bringt wenig. Was die von der Rechten und der Avenir Suisse geforderte «Verdichtung» bringt, zeigt das Beispiel von Wollishofen: 60 Prozent mehr Wohnfläche, 60 Prozent höhere Mieten gleich 2,5 mal mehr Profit für die Bodenbesitzer und noch mehr Platz für Einwanderer. Konstruktiver ist die vom Fribourger Professor Reiner Eichenberger kürzlich in der NZZ erneut erhobene Forderung nach einem «Eintrittsgeld» für Einwanderer. Das hätte vermutlich zwei Vorteile: Erstens würden damit ein paar Brosamen von den von den Grundbesitzern kassierten «Eintrittsgeldern» für den Staat abfallen. Zweitens würden die «Eintrittspreise» für die Einheimischen leicht sinken.
Doch das sind alles bloss marginale Korrekturen. Sie führen uns nicht an der Grundsatzfrage vorbei, ob wir uns die Institution des privaten Grundbesitzes noch leisten können, ohne uns von den globalen Kapitalmärkten abzukoppeln. Dabei hilft vielleicht die Erinnerung daran, dass auch die ökonomische Theorie, auf der unsere Marktwirtschaft beruht, keine Monopol- und Bodenrenten kennt. Nach dieser Theorie sorgt der Wettbewerb dafür, dass alle Preise – auch die Mieten – Kostenpreise sind. Die Produzenten können nicht mehr für ihre Produkte verlangen, als was sie dafür real aufgewendet, bzw. an Ressourcen verschliessen haben. Bodenbesitz fällt nicht darunter.
Das ist Theorie. Ein bisschen Monopol- und Bodenrente hat die Legitimität und Akzeptanz der real existierenden Marktwirtschaft bisher nicht ernsthaft untergraben. Aber jetzt reden wir von ganz anderen Grössenordnungen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Man kann das auch anders sehen als Werner Vontobel: (1) Die Landfläche der Schweiz ist konstant, die Anzahl Bewohner steigt durch die Zuwanderung stark an. Die logische Folge: Die Wohnkosten pro Einwohner steigen. (2) Dass die Reichen mehr bezahlen können für den Wohnraum als die Ärmeren ist banal. Dass Reiche aber willens sind, in der Hochsteuerstadt Zürich (Rang 135 von 162 Gemeinden) Steuern zu zahlen, ist für die Stadt hoch willkommen. (3) Die SP stilisiert sich in Zürich zur Wohnraumpartei, gleichzeitig verhindert sie das Neugass-Projekt mit 375 Wohnungen, wovon zwei Drittel preisgünstig vermietet worden wären.
Ein überfälliger, fundierter Artikel. Herzlichen Dank. Wohnen ist ein Grundbedürfnis wie Essen und Trinken. Der Boden ist eine Konstante und kann nicht vermehrt werden. Der Handel mit Boden müsste deshalb verboten oder zumindest die erlaubte Rendite massiv eingeschränkt werden. Eine zwingende Vorgabe wäre, Bodenpreis und Baukosten getrennt auszuweisen. Börsenkotierte Immobiliengesellschaften dürfen nicht zugelassen werden. Die Immobilienbranche muss zwingend dem Geldwäschereigesetz unterstellt werden. Leider ist nur eine Minderheit von Politikern an einschneidenden Änderungen interessiert, da zu viele von ihnen u.a. mit Immobilien zu ihrem Reichtum kamen, selber Immobilienbesitzer sind und zur Einkommens- und Vermögensoberschicht gehören.
Es ist schwer verständlich, dass es der «Kapitalseite» bisher gelungen ist, die Aufmerksamkeit selbst linker Kreise auf den Nebenschauplatz der Kostenmiete zu lenken. Das Grundproblem liegt beim Recht auf unlimitierte Bodenrenten. Dafür bezahlen die Mieter und Lohnabhängigen einen hohen Preis. Jeder Kaffee in der Bar nebenan, jede Geschäftsmiete und deren Produkte – alles verteuert sich. Als ob dies einem Naturgesetz entspräche! Nach den kürzlichen Wahlen frage ich: Wo bleibt die Partei, die das Tabu der Rentenwirtschaft bricht? Eine Partei, die gegen Rechts hin insistiert, dass Monopolrenten den Prinzipien kapitalistischer Wirtschaftsweise widersprechen; und gegen Links hin erklärt, weshalb es im Interesse der grossen Bevölkerungsmehrheit liegt, den spekulativen Grundstückhandel stärker zu kontrollieren? Wer behauptet eigentlich, eine solche politische Position sei von vornherein aussichtlos? Ist es vielleicht auch in der Schweiz an der Zeit, eine Neue Linke ins Leben zu rufen?
Auch eine neue ‹Linke› kann das Problem nicht (allein) lösen, die Wirtschaft müsste auch ein Interesse daran haben und mitmachen. Wenn es um Eigentum geht, verlieren solche Ideen immer bei der Volksmeinung. Es sind ja nicht nur die Mieter und kleinen Ladenbesitzer, die unter den überrrissenen Bodenpreisen leiden, auch die Industrie und die Landwirtschaft ist aus diesem Grund nicht mehr konkurrenzfähig. Hohe Bodenrenten müssen auf die produzierten Artikel draufgeschlagen werden, sonst stimmt die Rendite nicht. Die Industrie hat die Möglichkeit in Billiglohnländer auszuwandern, wo auch die Bodenpreise niedrig sind, die Mieter können das nicht.
Boden gehört neben Wasser, Luft, Bodenschätzen zu den Artikeln, die nicht vermehrbar sind. Die Eigentumsrechte darauf müssten neu überdacht werden.
Als in Nordamerika aus europäischen Kolonialisten Amerikaner wurden, war den Indianern seit Jahrtausenden unbekannt, was die Weissen unwiderstehlich machte: Landbesitz und Eigentum. Als sie endlich merkten, was die Weissen darunter verstanden, gab es – ausser der eigenen Haut – nichts mehr, das sie hätten besitzen können.
«Die Indianerkriege», Christopher S. Hagen (Buch).
Frage: Warum Boden kaufen (anderen den Boden unter den Füssen entziehen) dürfen? Wäre Verteilschlüssel und Miete ohne Profit (für dieses Must-have) nicht das einzig Akzeptable? Dasein dürfen.
Bekannter Spruch:
Dies Haus ist mein und doch nicht mein.
Der nach mir kommt, kann’s auch nur leih’n.
Und wird’s dem Dritten übergeben,
er kann’s nur haben für sein Leben.
Den Vierten trägt man auch hinaus,
sag, wem gehört nun dieses Haus?
Der grundlegende Fehler des Artikels ist es, anzunehmen, es gebe «Kostenpreise». Preise und Kosten sind nicht gekoppelt!
Bsp: MFH1 zu 100 % fremdfinainziert (gibt es nicht, aber als Bsp.), und MFH2 ohne Fremdfinanzierung. Sollen dann die beiden MFHs unterschiedliche Mieten verlangen? Absurd!
Wenn dem so wäre, dann würden eben alle MFHs vollständig fremdfinanziert werden und die Gewinne verlagert werden. – Aber das wäre gar nicht entscheidend, denn die Preisfindung findet am Markt statt.
Das Problem ist:
a) Wir hatten jahrzehntelang tiefe Zinsen, entsprechend stieg die Zahlungsbereitschaft, da eine fixe Tilgung und Zinszahlung bei niedrigen Zinsen hohe Preise finanzierbar machen.
b) Nachfrage ungebrochen: Bevölkerungswachstum plus ausweitender Wohlstand führt zum «perfekten Sturm»
c) Staatl. Interventionen bei Mieten haben dazu geführt, dass Bestandsmieten meist massiv tiefer sind. Leute bleiben in Ihren Wohnungen, auch wenn die Wohnung zu groß wird. Umziehen ist nicht attraktiv.
Starke Analyse. Besten Dank! Leider gibt es keine Mehrheiten im eidgenössischen Parlament, um die gesetzliche Grundlagen zu schaffen, die eine gesunde Durchmischung der Bewohner, auch an guten Lagen in unserem sicher zu stellen. Wer mit einem normalen Einkommen nicht in einer Genossenschaft lebt wird mittelfristig aus der Stadt Zürich verdrängt.
In einem System, welches auf Fiat-Schuldgeld beruht, im Interesse des Bankensystems, mit Zinseszinsen, ist diese Entwicklung vorhersehbar, ebenso wie der finale Zinsanstieg vor dem Zusammenbruch und all die Kriege und Zerstörung, die wir aktuell wieder erleben müssen:
https://friedenskraft.ch/blog/6527066c5ff47c3e88709fa8
Wollten wir daran wirklich etwas ändern, dann sollten wir nicht auf staatliche Regulierung hoffen (wie das die SP normalerweise macht), sondern den Mut haben, über die Fehler des Geldsystems zu diskutieren und daran wirklich etwas zu ändern bzw. ein von Grund auf neues System zu etablieren.
In der humanen Marktwirtschaft https://diefreien.ch/die-humane-marktwirtschaft/ werden leistungslose Einkommen mit 40% besteuert und die Macht des Kapitals auf verschiedene Weise in kontrollierte Bahnen gelenkt.
Uns fehlt bisher der Mut, über das Grundübel, das Geldsystem, zu reden.
Was man in der Schweiz ändern sollte ist das Gewerbliche Erwerber immer erst dann zum Zug kommen sollen wenn es niemand anderes kaufen will. Ein Vorkaufsrecht für selbst bewohntes Eigentum wäre ein möglicher Ansatz um den ausufernden Immobilienmarkt wieder ins Lot zu bringen. Käufer die dieses Recht ausüben, dürfen keine weiteren Immobilien besitzen. Erst dann ändert sich was.