Das Spiel auf Zeit im Ukraine-Krieg geht an Russlands Substanz
Vom Ukrainekrieg hörte man zunächst kaum noch etwas, seit Donald Trump als Präsident die Welt mit schlagzeilenträchtigen Ankündigungen nur so flutete. Inzwischen ist es zur spektakulärsten gekommen – nämlich zur Mitteilung, nach einem Telefonat mit Russlands Präsident Wladimir Putin über die Beendigung des russischen Überfalls am «ersten Tag der Amtszeit» verhandeln zu wollen.
Vorerst geht das Morden in den ukrainischen Weiten zwar munter weiter und «Putins Fleischwolf» frisst täglich immer noch tausende Menschen. Trotzdem aber keimt Hoffnung auf ein Ende auf – und das sorgt an den europäischen Börsen wenigstens kurzfristig für eine gewisse Euphorie. Dort wetten die Zocker auf bessere Zeiten, während die Kritiker lamentieren, Trump lasse die Ukraine im Stich und schiebe das Problem auf die schwächlichen Europäer ab.
Putin kommt das entgegen. Denn der Krieg zehrt an der Substanz Russlands. Das menschliche Leid ist hoch, der Verschleiss an Material ist enorm, und die Volkswirtschaft des Landes ist so aus der Balance geraten, dass er deswegen nicht mehr allzu lange auf Zeit spielen kann. Das lässt sich aus einem Bericht herauslesen, den das Center for Macroeconomic Analysis and Short-Term Forecasting Ende Januar in Moskau veröffentlichte.
Versteckte Kreditklemme in Russlands Verteidigungs- und Kriegswirtschaft
In diesem kommt die gemeinnützige Organisation, die auch die russische Regierung berät, zum Schluss, dass Russlands Wirtschaft ausserhalb des Verteidigungssektors seit Mitte 2023 stagniert. Stark steigende Preise und hohe Zinsen würgten den Konsum und die Investitionstätigkeit ab, heisst es. So etwas könne Putin als Kriegsherr zwar ignorieren – das Gegenteil aber gelte für die Kreditklemme in der Verteidigungs- und Kriegswirtschaft, die im Verborgenen schon Ende des vergangenen Jahres begonnen habe.
Das volle Ausmass des Problems ist laut der Studie nicht offen ersichtlich, da der Staat die Banken nötige, den Kriegsapparat unabhängig von der Höhe der Leitzinsen zu Sonderkonditionen zu finanzieren. Diese wiederum zögen es vor, sauer gewordene bzw. vom Schuldner nicht mehr bezahlbare Forderungen diskret umzustrukturieren (z.B. zu verlängern) und so auf Zeit zu spielen, statt sie zu den Regulierungsbehörden zu melden.
Craig Kennedy, ein ehemaliger US-Banker, der im russischen Energiesektor tätig war und der jetzt an der Harvard-Universität ein Buch über die Geschichte der russischen Ölindustrie schreibt, hält die Lage für gravierend. Auf Grundlage von Daten der russischen Zentralbank geht er davon aus, dass die Schulden der Rüstungswirtschaft in den vergangenen zwei Jahren um mehr als 70 Prozent oder umgerechnet um 450 Milliarden Dollar zugenommen haben. Die Kreditinstitute rechnen damit, im Extremfall vom Staat gerettet zu werden.
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Was aber, wenn dieser nicht mehr dazu in der Lage sein sollte? «Je länger sich Russland zur Finanzierung seines Krieges so stark auf staatlich gelenkte, ausserbudgetäre Kredite verlässt, desto grösser ist das Risiko eines Kreditereignisses, das ausser Kontrolle geraten könnte», schreibt Kennedy. In seinen Augen hat Putin aus diesem Grund nicht mehr alle Zeit der Welt, um die Ukraine-Invasion fortzusetzen.
Russlands ausserbudgetäre Militärfinanzen hätten sich bereits zweimal als toxisch erwiesen – 2016-17 und 2019-20. Beide Male habe der Staat hohe Beträge an uneinbringlichen Forderungen übernommen. Angesichts der enormen Summen, die nun im Feuer stünden, könnten die Staatsfinanzen für einen längeren Zeitraum stark belastet werde und die neuerliche Aufrüstung bremsen – vorausgesetzt natürlich, dass die westlichen Sanktionen nicht aufgehoben werden.
Konflikt treibt Keil zwischen Moskau und erhoffte Verbündete
Und diese Sanktionen haben weitere Konsequenzen. Sie behinderten alle Bemühungen Moskaus, für die ehemaligen Staaten des Sowjetreiches wieder attraktiver zu werden und wirtschaftliche Beziehungen zum globalen Süden aufzubauen. Das ist die Quintessenz eines durchgesickerten Regierungsdokuments aus dem vergangenen Jahr.
Die westlichen Sanktionen sowie wirtschaftliche Anreize hätten erfolgreich einen Keil zwischen Moskau und einige seiner naheliegenden Handelspartner getrieben, heisst es darin. Auf diese Weise werde einerseits verhindert, dass Russland zum Zentrum eines eurasischen Handelsblocks werden könne, der dann wiederum mit dem wirtschaftlichen und politischen Einfluss der USA, der EU und mit China rivalisieren könnte.
Andererseits hätten ehemalige Verbündete russische Unternehmen aus den von ihnen dominierten Regionen verdrängt, die Kontrolle über Import- und Exportströme übernommen und die Produktion aus Russland verlagert. Manche zentralasiatischen Länder hätten zudem hohe Provisionen verlangt, um für die Risiken von Sanktionsverfahren kompensiert zu werden. Kasachstan zum Beispiel, die grösste Wirtschaftsnation der Region, habe nicht nur die Ukraine-Invasion verurteilt, sondern sich geweigert, Russlands territoriale Gewinne anzuerkennen – und das Land bemühe sich zudem, sich an die westlichen Sanktionen zu halten.
Insgesamt riskiert Putin mit seinem Spiel auf Zeit nicht nur eine Schuldenkrise, sondern auch den Spielraum, eine eigene Einflusssphäre aufzubauen.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Handelsblatt 25.12.2024 – 10:04: «Russische Gasexporte nach Europa 2024 bis zu 20 Prozent gestiegen Russlands Gasexporte nach Europa steigen nach russischen Angaben 2024 auf über 50 Milliarden Kubikmeter.»
DW Oleg Khokhlov 03.10.2024: «Präsident Putin droht damit, als Antwort auf westliche Sanktionen die Exporte wichtiger Rohstoffe zu beschränken. Für die USA und die EU wäre das schmerzhaft – denn sie sind zum Teil von Russland abhängig.»
Bayrische Wirtschaft Felix Fend 11.02. 2025 : «Spürbarer Anstieg der Rohstoffkosten im Jahr 2024»
Der Westen braucht die russischen Rohstoffe, der Kreml ist vertragstreu und versorgt den Westen mit Rohstoffen, damit die Lichter nicht ausgehen. Das Resultat: der Kreml hat mehr Einnahmen, weil die Rohstoffpreise ständig steigen. Die rohstoffarmen Industriestaaten brauchen die russische Rohstoffe. Möglich, dass diese Realität gerne verdrängt wird, um nicht zu erklären, warum der Krieg nicht beendet wird.
Gunther Kropp, Basel
Putins Überfall auf die Ukraine war nie eine durchgeplante Strategie, sondern eine Kurzschlußhandlung – aus welchen GRünden auch immer. Natürlich wird sich Putin das nicht so einfach eingestanden haben , aber gänzlich verdrängen wird er es nicht. Daher wäre der vernünftigste Weg gewesen, ihm so etwas wie eine goldene Brücke zu bauen – psychologische «Kriegsführung» statt Bomben wenn man so will.Man hat das Gegenteil gemacht. Kann es nachgeholt werden ? Ich weiß es nicht, vermute aber, daß Trump genau so etwas vorschwebt. Nur : wie ? Das Abwarten bis zum Kollaps der Föderation ? Ich möchte daran erinnern, daß aus diesem Kollaps ein noch viel größeres Chaos hervorgehen könnte. Vielleicht wäre es ein Angebot, Rußland ganz bewußt wieder in die globale Gemeinschaft zu integrieren als einen unverzichtbaren Partner bei der Bewältigung der essenziellen Probleme des Planeten um den Preis – nun sagen wir eines Teils des besetzten Gebietes, verbunden mit einem Pakt {EU – Ukraine – Rußland}.
Der Wunsch als Vater des Gedankens?
Das Spiel auf Zeit scheint Putin eher in die Hände zu spielen?
Man hat sich in den Denkmustern eingerichtet, dass Russland das Böse und der Feind sei. Zu Sowjetzeiten war das auch so. Die Sowjets waren das Böse schlechthin, ob es wahr war oder nicht. War auch das Zarenreich schon das Feinbild für Europa? Amerika war da scheinbar noch etwas weniger einflussreich. Später waren die USA dann das absolute Gute.
Ich kann diese Geschichten nicht mehr hören. Russland steht kurz vor dem Kollaps, die russische Armee ist in drei Monaten geschlagen, der russischen Armee geht die Munition aus. Unsere Medien kennen Russland nicht. Es wird alles für die Ukraine schöngeredet, damit der Geldfluss nicht versiegt. Die Wirtschaft die wirklich Probleme hat, ist die Wirtschaft Deutschlands. Europa hat sich verrannt. Immer wenn Europa geeint ist, greift Europa Russland an und hat immer verloren. Beispiel Napoleon und Hitler. Auch die sogenannten Game-Changer haben gefloppt. Einzig die Russen haben Game-Changer mit ihren Gleitbomben und per Draht gesteuerten Drohnen. Russland ist nicht schlagbar und darf nie das Gefühl bekommen, dass sie geschlagen werden könnten. Es ist eine Atommacht. Das wäre unser aller Ende.
Wenn Europa Frieden und Wirtschaftserfolg haben möchte, muss es in Zukunft Eurasisch und nicht Europäisch denken.
Europa hat Russland nie angegriffen.
Hitler ja. Napoleon auch.
Putin hat die Ukraine angegriffen und massakriert die Bevölkerung seines «Bruderlandes» seit 3 Jahren und wenn sich die Zerbomten wehren, schwört und übt der Zar «Vergeltung». Es gibt hiesige Medienkonsumenten, die sich über die angeblich einseitige Berichterstattung beschweren, obwohl hier in Europa (im Gegensatz zu Russland) ganz verschiedene Paletten unterschiedlicher Pressestimmen zu bekommen sind.
Übrigens: Reklamieren ist in Russland gefährlich. Da braucht Herr Putin nur ein bisschen Gift
oder ein Balkongeländer. Für ganze Länder braucht es schon Gleitbomben. Es gibt Menschen, für die sind Gleitbomben Argumente. Falls sich jemand trotzdem gegen den Angriffskrieg ausspricht, wird der Trumpfbuur gezogen: Die Atombombe. Darum hat Putin Recht.
Sehr geehrter Herr Meier,
Napoleon hatte 1812 eine Multinationale Grande Armée aus Franzosen, Italienern, Polen, Bayern, Sachsen, Westfalen, Deutsche vom Rheinbund, Österreicher, Preussen, Schweizer, Spanier, Portugiesen, Kroaten, Holländer und Belgier. Das ist viel EUROPA.
Hitlers Deutschland startete 1941 das Unternehmen Barbarossa mit Deutschen, Italiener, Rumänen, Ungaren, Finnen, Slowaken, Kroaten, Spanier, Bulgaren, Franzosen, Belgier, Holländer, Norweger, Dänen, Österreicher und Schweizer. Sehr viel EUROPA.
2014 hat die Ukraine begonnen ihre russischsprachige Bevölkerung zu massakrieren wie sie es nennen. Die Ukraine hätte einfach die Unabhängigkeitsbestrebungen, der russischsprachigen Provinzen anerkennen können.
Herr Meier
etwas zu den Relationen und wie blutig Kriege geführt werden.
Nach westlicher Lesart (Statista) hat
Russland in 3 Jahren Krieg ca. 12’000 zivile Opfer in Kauf genommen
Israel in 18 Monaten ca. 100’000.
In Ländern wo die USA Kriege führten sieht die Statistik für den Westen eher noch schlechter aus.
Nicht um den Willen einer Rechtfertigung aber wenn schon mit Ellen gemessen werden soll, dann mit gleich langen: Putin ist nicht das Monster als das er dargestellt wird. Nicht im geringsten. Die Angstmache ist reines fast gratis Marketing für US Rüstungsunternehmen.
Die Im Artikel angegebenen Quellen sind mir nicht zugänglich – ich muß den Aussagen von Christoph Leisinger vertrauen. Dann macht mich das aber nachdenklich : eine russische Quelle publiziert solche kritischen Daten ? Wie muß man das dann interpretieren ? Kann ich das mit meiner im am Anfang meines Beitrags geäußerten Meinung in Verbindung bringen? Putin ist im Sowjetsystem erzogen worden.In diesem System war es eine Standardmethode, nie etwas kurz,knapp,unverblühmt zu publiziern, sondern in Form bestimmter Codierungen. Könnte hier eine soche Codierung vorliegen ? Daß Rußland einem wahnsinnigen Verschleiß unterliegt – auch wenn netto vielleicht immer noch Geld aus Rohstoffverkäufen resultiert – DAS ist zweifelsfrei. Ich jedenfalls interpretiere es so – und möchte daher meine Schlußfolgerung im o.g. Beitrag bekräftigen. «Wunsch Vater des Gedankens?» – vielleicht – aber ich messe meinen Überlegungen eine gewisse Wahrscheinlichkeit zu.
Würden Deutschland und Russland zusammenarbeiteten, wäre das eine Bedrohung für die USA, laut George Friedman. Ich finde das wörtliche Zitat gerade nicht.
=>Benjamin Hafen, Aarau am 16.02.2025 um 06:32 Uhr : Ich möchte Ihnen zustimmen. Ich meine – allein ein Blick auf die Landkarte sagt das doch schon. Das Problem JETZT ist aber : wie können wir die Brücke zu Rußland wieder bauen, zumal ja die europäischen Länder wie Polen und die baltischen Staaten eine solche Kooperation schlicht ablehnen, weil sie Rußland fälschlicherweise immer noch vor dem Hintergrund der sowjetischen Politik sehen. Und : die Strategie Putins war leider auch keine diplomatisch völlig durchdachte. Mein Ansatzpunkt ist : Putin ist sich dessen auch bewußt und sucht insgeheim eine rationale Exitstrategie. Das könnte ein Weg sein. Meine Sorge ist, daß er – wenn Europa nicht konkret handelt – dem Trump auf den Leim gehen könnte, was dann sein zweiter strategischer Fehler wäre. Auf der «msc» habe ich allerdings keinen vernünftigen europäischen Ansatz gesehen; eher das Gegenteil – jedenfalls im offiziellen Teil.