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Grosse Palmölplantagen, aber tiefe Löhne in Malaysia © Solidar Suisse

Armutslöhne auf Palmölplantagen in Malaysia

Christian Eckerlein /  Auf Palmölfeldern in Malaysia erhalten Migranten meist keinen existenzsichernden Lohn. Die Palmölkonzerne wollen es nicht ändern.

(Red.) Der Autor dieses Gastbeitrags ist Kampagnenverantwortlicher faire Arbeit bei Solidar Suisse, einer Entwicklungsorganisation, die sich mit Projekten für faire Arbeit und gegen extreme Ungleichheit einsetzt. Infosperber publiziert seinen in der Mai-Ausgabe von «Solidarität», des Magazins von Solidar Suisse, erschienenen Artikels.

Nach einem harten, langen Erntetag macht sich Irfan Anwar* bereit für seine Schicht als Nachtwache. Er soll Elefanten von der Palmölplantage fernhalten. Sieben Stunden dauert die Nachtschicht, bevor es am Morgen wieder zum Ernten geht. Um doch etwas Schlaf zu erwischen, hat er Geräuschsensoren installiert. Läuft ein Elefant vorbei, wird er aufgeweckt und kann den ungebetenen Gast vertreiben. Viel lieber würde Irfan Anwar die Nacht bei seiner Familie verbringen, aber mit dem regulären Arbeitspensum von 45 Stunden pro Woche verdient er gerade einmal die Hälfte des Mindestlohns.

Rechtlose Situation dient der Industrie

In einer ähnlichen Situation wie Irfan Anwar sind hunderttausende undokumentierte Arbeitsmigrant*innen. Auf der Suche nach einem Einkommen reisen sie meist aus Indonesien und den Philippinen nach Sabah und bilden das Rückgrat der hiesigen Palmölindustrie. Die Internationalen Organisation für Migration schätzt, dass sie etwa 80 Prozent der halben Million Arbeiter*innen auf malaysischen Plantagen ausmachen.

Malaysia ist mit 19 Millionen Tonnen das zweitgrösste Produktionsland von Palmöl, ein Grossteil davon stammt aus Sabah. Dass viele Migrant*innen keine offizielle Arbeitsbewilligung haben, ist vom Staat und den Palmölfirmen gewollt: Das Gesetz legt fest, dass lediglich eine Arbeitsmigrant*in pro acht Hektaren Fläche (ca. elf Fussballfelder) beschäftigt werden darf, was völlig unrealistisch ist. Ausserdem ist es kompliziert und teuer, eine Arbeitsbewilligung zu erhalten. So stellen viele Firmen undokumentierte Migrant*innen ein. Ohne legalen Status sind sie vielfach benachteiligt: Sie haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem, ihre Kinder dürfen nicht in die öffentliche Schule, nach regelmässigen Razzien auf den Plantagen landen manche unter schlimmen Bedingungen in Abschiebungshaft. Die faktische Rechtlosigkeit öffnet zudem Tür und Tor für extreme Ausbeutung. Dies zeigt sich insbesondere auch bei den Löhnen.

Mindestlohn reicht nicht zum Leben

Obschon Sabah einen gesetzlich verankerten Mindestlohn von umgerechnet etwa 280 Franken hat, gibt es Plantagen, auf denen Arbeiter*innen deutlich weniger verdienen, auch wenn sie wesentlich mehr als 45 Stunden pro Woche arbeiten. Sie sind im Akkordlohn beschäftigt, die Bezahlung hängt also von der geernteten Menge und dem von der Plantage willkürlich festgelegten Abnahmepreis ab. So entfällt der Lohn bei Krankheit, wenn bei starkem Regen nicht geerntet werden kann, oder wenn die Arbeiter*innen sich vor einer Razzia der Einwanderungsbehörden verstecken müssen bzw. in Abschiebehaft landen. Die Löhne variieren auch je nach Plantage und Funktion. Irfan Anwar verdient mit seinem Vollzeitpensum als Erntearbeiter umgerechnet etwa sechs Franken pro Tag und kommt mit einem regulären Arbeitspensum auf einen Monatslohn von knapp 150 Franken. Zum Vergleich: Der Medianlohn in Sabah beträgt knapp 860 Franken.

Ihr Überleben sparen sich die Arbeiter*innen buchstäblich vom Mund ab: Dabei bräuchten sie für die harte körperliche Arbeit zusätzliche Kalorien. Am Monatsende verschulden sich die meisten ausserdem in den Läden auf der Plantage. Dort sind die Lebensmittel teurer als in den nächstgrösseren Orten. Doch Undokumentierte können das Risiko nicht auf sich nehmen, die abgelegenen Plantagen zu verlassen, um einzukaufen.

RSPO: Greenwashing statt Nachhaltigkeit

Bisher gibt es keine zuverlässigen Studien über die Höhe eines «Living wage» [ein Lohn, der zum Leben reicht – Anm. d. Red.] im Palmölsektor. Dies erstaunt umso mehr, als das weltweit bedeutendste Nachhaltigkeitslabel für Palmöl, «Roundtable On Sustainable Palm Oil» (RSPO), die Bezahlung eines Existenzlohns seit über 15 Jahren als Zertifizierungskriterium vorsieht, jedoch ohne seine Höhe in den verschiedenen Anbaugebieten festzulegen. 2018 verkündete der RSPO, dazu Pilotstudien durchführen zu wollen – veröffentlicht wurden jedoch keine. Schlimmer noch: In der aktuellen Version der RSPO-Standards aus dem Jahr 2023 ist das Kriterium «Living wage» verschwunden. Verlangt wird lediglich die Bezahlung des Mindestlohns, der nicht zum Leben reicht.

Immer wieder hapert es beim RSPO mit der Umsetzung der Standards. Dass nun der Existenzlohn gar komplett aus den Kriterien gekippt wurde, ist eine Bankrotterklärung. Offensichtlich kann oder will der RSPO, der von den Grosskonzernen der Palmöl-Industrie kontrolliert wird, die Probleme in der Lieferkette nicht lösen. Das heisst für die Schweiz, in der nahezu alles Palmöl RSPO-zertifiziert ist: Die Kontrolle der Nachhaltigkeit darf nicht länger einem Label überlassen werden, das von den Konzernen kontrolliert wird. Damit Irfan Anwar nach seiner anstrengenden Tagschicht nicht noch eine Nachtwache schieben muss, um über die Runden zu kommen.

*Name geändert.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Der Autor dieses Gastbeitrags ist Kampagnenverantwortlicher faire Arbeit bei «Solidar Suisse», einer Organisation der Entwicklungszusammenarbeit. «Solidar Suisse» wird im Verlaufe des Jahres eine neue Studie über die Palmölindustrie in Sabah-Malaysia und die Rolle von Schweizer Unternehmen publizieren.
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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