Was die Bank of America gegen Vollbeschäftigung hat
Auf dem US-amerikanischen Arbeitsmarkt herrscht nahezu Vollbeschäftigung. Im Juni 2022 kamen auf eine arbeitssuchende Person zwei offen Stellen. Gute Nachrichten eigentlich – nur nicht für eine der grössten US-Banken. Die Bank of America hofft, dass sich das bald wieder ändert.
«Wir hoffen, dass bis Ende nächsten Jahres das Verhältnis der offenen Stellen zu Arbeitslosen auf die normaleren Höchstwerte des letzten Konjunkturzyklus zurückgeht», schreibt ein leitender Angestellter der Bank of America.
Dieser Satz ist Teil eines internen Memos, das der «Intercept» Ende Juli publiziert hat. Verfasst hat es Ethan Harris, der Leiter der globalen Wirtschaftsforschung der Investmentbanking-Sparte von Bank of America Securities. Das Memo vom 17. Juni ist eine Bestandsaufnahme und beschäftigt sich mit den wirtschaftlichen Perspektiven der nächsten Jahre.
Arbeitsmarkt kehrte zu Vor-Corona-Werten zurück
Den USA, fasst das Papier zusammen, drohe eine Rezession. Erste Anzeichen seien bereits sichtbar. Die US-Zentralbank Fed (Federal Reserve System) habe bereits den Leitzins erhöht, um die Inflation zu bremsen. Denn höhere Löhne trieben die Inflation an.
Die Entwicklung am US-Arbeitsmarkt ist dabei weder überraschend noch extrem. Nach einem scharfen Anstieg der Arbeitslosigkeit 2020 zu Beginn der Corona-Pandemie ist die Arbeitslosenquote in den USA im Juli wieder auf 3,5 Prozent gefallen und etwa gleich hoch wie vor der Pandemie.
Arbeiter und Angestellte dürften eine andere Perspektive haben als Harris: Wer Arbeit will, bekommt sie, und wer einen besseren Job sucht, hat gute Chancen, ihn zu finden. Die Aussichten auf bessere Löhne und Arbeitsbedingungen sind gestiegen.
Bank of America hofft auf «sinkenden Einfluss arbeitender Amerikaner»
Der durchschnittliche Stundenlohn in der Privatwirtschaft ist im Juli nach Angabe des Amts für Arbeitsstatistik um 15 Cent gestiegen. Ein Trend, der «schwer rückgängig zu machen ist», schreibt die Bank of America. Schon 2021 habe die Bank davor gewarnt, dass Vollbeschäftigung die Wirtschaft ruinieren könne.
«Wir hoffen, dass arbeitende Amerikaner auf dem Arbeitsmarkt an Einfluss verlieren werden», zitiert der «Intercept». Zum Vergleich: Nach der Finanzkrise 2009 kamen 6,5 Arbeitssuchende auf eine offene Stelle – Zeiten, die sie sich wahrscheinlich nicht zurückwünschen. Im Februar 2020 kamen 0,8 Bewerber auf ein Stellenangebot.
Das Bruttoinlandsprodukt BIP ist in den USA aber das zweite Quartal in Folge gefallen. Obwohl jeder, der möchte, Mehrwert schaffen kann, wuchs die Wirtschaft also nicht. Ursache für Inflation seien weniger steigende Löhne als steigende Profite, zitiert der «Intercept» weiter, diesmal den Ökonomen Adam Smith aus dessen Buch «The Wealth of Nations» (auf Smith geht angeblich der Ausdruck «unsichtbare Hand des Marktes» zurück).
Gewinne stärker gestiegen als die Löhne
Die Unternehmensgewinne nach Steuern seien seit 2020 von 8,1 auf 11,8 Prozent gestiegen und die Ursache der Hälfte aller Preissteigerungen. Harris, der das Memo gegenüber dem «Intercept» nicht kommentiert hat, sei einseitig auf die Massnahmen der Fed fokussiert.
«Wenn sich das Lohnwachstum kontinuierlich beschleunigen würde, wäre das problematisch», schreibt Dean Baker vom Center for Economic and Policy Research, auf Anfrage des «Intercept» in einer E-Mail. Das sei allerdings nicht der Fall. Der Wirtschaftswissenschaftler des Think Tanks in Washington D.C. hält die Darstellung für ein Scheinproblem, eine Lohn-Preis-Spirale gebe es derzeit nicht.
Eine Analyse der CBC sieht die demografische Entwicklung als Ursache für den ebenfalls angespannten Arbeitsmarkt in Kanada. Durch Covid sei sie vorübergehend beschleunigt worden, etwa weil Alte früher in den Ruhestand gegangen seien. Die kanadische Ökonomin Armine Yalnizyan gibt zu bedenken, dass durch Lohnerhöhungen in den unteren Lohngruppen viele Menschen in die Mittelschicht aufsteigen könnten. Das mache nicht nur die Gesellschaft widerstandsfähiger, es erhöhe auch die Kaufkraft.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Dass ein Analyst einer Grossbank sich eine höhere Arbeitslosigkeit wünscht, erstaunt mich nicht. So liegen halt seine Interessen, jedenfalls solange die Arbeitslosigkeit nicht ihn selbst betrifft.
Erschreckend finde ich jedoch, dass häufig auch linke Politiker diese Stossrichtung unterstützen, zum Beispiel indem sie ins allgemeine Geschrei um «Fachkräftemangel» einstimmen. Diese Leute haben nicht begriffen, dass es ein gewisses Mass dieses angeblichen Fachkräftemangels braucht, um die Stellung der Arbeitnehmer zu stärken. Solange sich Arbeitgeber stets darauf verlassen können, jede vakante Stelle rasch und mühelos neu besetzen zu können, brauchen sie Forderungen der Angestellten nach höherem Lohn oder besseren Arbeitsbedingungen gar nicht ernst zu nehmen. Erst wenn sie befürchten, durch den Abgang von Personal in Schwierigkeiten zu geraten, sind sie zu Kompromissen gezwungen.