Kommentar

kontertext: Erfreulich modern – Frauen in der Baubranche

Eva Seck © zvg

Eva Seck /  Die SRF-Sendung «Reporter. Hautnah dabei» wirft die Frage auf, ob Frauen auf dem Bau die Lösung für den Fachkräftemangel sind.

Neulich bin ich auf die SRF Reportage über Frauen in der Baubranche gestossen. Eine mir fremde Welt, in der Frauen Pionierinnen und Ausnahmeerscheinungen zugleich sind. Die halbstündige Doku, in der es um Strassenbelag, Baumaschinen und die heilige Znünipause geht, liess mich schmunzeln, neue Sichtweisen einnehmen und immer wieder solidarisch die Faust recken. Aber von vorne: Die junge Strassenbaulernende Milena Frühauf antwortet freundlich und geduldig auf alle Fragen, auch wenn sie hin und wieder ehrliches Erstaunen über diese zum Ausdruck bringt. Wenn die Reporterin beispielsweise fragt: «Hat dich der Dreck und das Strenge noch nie abgeschreckt?», antwortet sie: «Nein, ich kann am Abend ja duschen gehen, wenn ich dreckig bin». Gerade mal zwölf Prozent Frauen, erklärt die Journalistin Christa Ulli, arbeiten im Schweizer Baugewerbe. Wenn Milena nach ihrem Beruf gefragt werde, meinten die meisten, sie arbeite als Zeichnerin. Dann erklärt sie jeweils, dass sie die Strasse baue und nicht plane. Die Reaktionen darauf: Kannst du das? Oder noch bevormundender: Mach doch etwas anderes. Ihr Chef, Roland Senn, erklärt derweil, der Beruf werde immer technischer und digitalisierter, alles Entwicklungen, die für mehr Frauen in diesen Berufen sprächen: «Es ist nicht mehr so, dass wir den ganzen Tag schaufeln und pickeln und am Abend tot ins Bett fallen.»

Das Znüni ist heilig

Die Arbeitenden auf dem Bau halten spürbar zusammen und sie zelebrieren gemeinsame Rituale. Man isst pünktlich und feiert auch den Abschluss einer Baustelle gemeinschaftlich. Milena erklärt: «Um neun Uhr solltest du schon ins Znüni. Es ist halt einfach so. Um neun Uhr hört der Bagger auch einfach auf zu arbeiten. Das Znüni ist schon heilig.» In der Pause im kleinen Bauwagen klappen die Bauarbeitenden den Tisch aus, schenken sich Kaffee oder Tee ein, essen ein Gipfeli. Die Reporterin fragt einen anwesenden Regionalleiter, wer denn heute noch in dem Beruf arbeiten wolle. Es gebe schon nicht mehr viele Menschen, die gerne auf dem Bau arbeiten möchten, antwortet dieser, und um die wenigen, die es noch möchten, würde die Branche kämpfen. In den nächsten zehn Jahren gehe eine ganze Generation in Pension. Diese könne man nicht 1:1 nominell ersetzen. Ein Fachkräftemangel ist also abzusehen. Und da kämen die Frauen ins Spiel, meint die Reporterin. Der Bauleiter findet diese Sichtweise «modern». Einen Teil der Stellen könne man vielleicht mit Frauen besetzen, aber die Lösung per se könne das nicht sein.

Frauenberufe, Männerberufe

Milenas Eltern arbeiten beide in klassisch-gegenderten Berufen. Die Mutter ist Schneiderin und der Vater Betriebsökonom. Die Mutter erzählt, sie sei aus allen Wolken gefallen, als Milena ihren Berufswunsch äusserte. Sie sorgte sich, «wie man dort miteinander rede, wie sie mit ihr umgehen würden». Ein berechtigter Punkt, der unmittelbar nachdenklich stimmt, denn natürlich sind nicht die Frauen auf dem Bau das Problem, sondern die Minderbewertung von weiblicher Arbeit – und dies nicht nur in der Baubranche.

Wie gehen die Männer auf Milenas Baustelle damit um, dass eine Frau mit ihnen arbeitet? Beim Mittagessen im Bauwagen fragt die Reporterin, ob es anders sei, wenn eine Frau mit dabei sei. Wie aus der Pistole geschossen kommt die Antwort: Absolut. Der Umgang untereinander sei «anständiger». Auf sexistische Kalender und Sprüche angesprochen, wiegeln die Männer ab. Solche Kalender hängen nur noch bei älteren Polieren herum. Es arbeiteten aber grundsätzlich «anständige Leute auf dem Bau, die wie alle anderen auch hart arbeiten und abends wieder heimgehen.» Milena will junge Frauen ermutigen, einen Beruf auf dem Bau zu erlernen. Ich spüre, wie viel Freude ihr diese Ausbildung macht. Aus ihrem Appell kann ich ausserdem den nachvollziehbaren Wunsch erahnen, nicht mehr die exotische Ausnahme zu sein.

Frauen «bringen ein positives Bild rein»

Berufsschüler der Baubranche, erklärt die Reporterin, müssten ausserhalb der Schule auch mal abschätzige Kommentare für ihren Beruf einstecken. Das Image der Bauberufe sei im Allgemeinen nicht berauschend. An der Berufsschule für Verkehrswegbau werden Gleisbauer, Grundbauer, Pflästerer, Industrie- und Unterlagsbodenbauer, Strassenbauer aus- und weitergebildet. Von tausend Lernenden sind zwei Prozent Frauen. Auch hier: Luft nach oben. Milena wird an der Schule hin und wieder mit abschätzigen Kommentaren bedacht: «Kannst du überhaupt einen 25-Kilo-Sack tragen?» oder «Du bist hier falsch, deine Schule ist dort drüben.» Milena beschwichtigt, es komme selten vor, dass ihr das jemand ins Gesicht sage, vermutlich würden aber viele «hintenrum» über sie reden. Ihre Klassenkameraden wiederum sprechen respektvoll über sie. Ein Mitschüler meint, Frauen würden durchaus ein «positives Bild reinbringen». Wenn er mit einer Frau auf einer Baustelle arbeiten würde, hätte er vermutlich «etwas bessere Laune». Beim ersten Hinhören denke ich: Typisch, wieder müssen Frauen für die gute Stimmung sorgen und werden dafür verantwortlich gemacht, dass das soziale Gefüge gut funktioniert. Aber dann vermute ich, dass aus seinen Worten eine tiefere Sehnsucht nach den eigenen weicheren, verletzlicheren Anteilen zum Ausdruck kommt. Anteile, die jeder Mensch in sich trägt, aber leider nicht alle so ausdrücken und leben dürfen, weil sie in unserer patriarchal-strukturierten Gesellschaft gewaltvoll unterdrückt und abgewertet werden.

Familie und Beruf

Der zweite Teil des Films widmet sich der erfahrenen Baumaschinenführerin Marlise Hofmann. Sie ist zurückhaltender darin, ihren Beruf anderen Frauen weiterzuempfehlen. Man müsse sich schon mehr beweisen als Frau, meint sie, und auch Belästigungen habe sie in jungen Jahren auf dem Bau erlebt. «Da müsse man sich halt ein bisschen wehren», erklärt sie abwinkend, ein wenig so, als sei das alles gar nicht so schlimm. Sie findet auch, Frauen sollten auf dem Bau keine Sonderwünsche wie eigene Baucontainer fürs Umziehen oder ein eigenes WC einfordern. Man könne sich genauso gut im selben Container umziehen wie die Männer, man sehe ja nicht mehr als in der Badi. Zuerst irritiert mich diese Aussage, aber dann pflichte ich ihr vollkommen bei, denn Frauen sollten sich überall sicher fühlen können. Es sind die männlichen Arbeitskollegen, die dafür verantwortlich sind, dass Frauen am Arbeitsplatz nicht belästigt werden. Frau (und alle anderen Geschlechter) soll sich umziehen können, wo und mit wem es die Arbeit eben erfordert. Wenn Männer Frauen mit Respekt (sprich: wie Menschen) behandeln, spricht kein einziges Argument dagegen, Sitz-Toiletten mit Hygieneartikeln und Umziehorte für alle Geschlechter gleichermassen zu haben. Momentan macht Marlies aber der Rücken zu schaffen und sie würde ihr Arbeitspensum gerne auf achtzig Prozent reduzieren, weil sie und ihre Partnerin kürzlich Eltern geworden sind. Der Job verschleisse auch, erklärt sie dann, und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf sei noch nicht wirklich gegeben.

Vorurteile abbauen, Verantwortung übernehmen

Einige Dinge lassen sich nach dem Schauen dieser kurzweiligen Reportage konstatieren: Menschen, die auf dem Bau arbeiten, leiden unter den abwertenden Blicken der Gesellschaft für diese Berufe. Fachkräfte werden in den nächsten Jahren massiv fehlen. Frauen werden auch auf dem Bau gebraucht. Diverse Teams sind nachweislich erfolgreicher. Ohne ein respektvolles Miteinander geht es nicht und die Firmen und Vorgesetzte sind verpflichtet, dies durchzusetzen und die Verantwortung dafür zu übernehmen. Die Baubranche scheint langsam zu begreifen, dass sie sich noch offensiver für weibliches Personal einsetzen muss. Dafür muss sie aber auch die sexistische Kultur in der Branche aktiv bekämpfen und familienfreundlichere Strukturen (für Mütter und Väter) einführen. Das Arbeitsklima wird damit für alle Menschen angenehmer und die gesellschaftliche Anerkennung für jene, die mit Herzblut und Wissen unsere Infrastruktur instandhalten, wird so möglicherweise wachsen. «Menschen haben viel zu viele Vorurteile und ich denke, wenn die Vorurteile nicht wären, die die Gesellschaft hat, wäre es auch nicht so ein Thema, wenn eine Frau auf der Baustelle arbeitet», reflektiert Milena am Ende der Doku. Damit trifft sie auch meinen wunden Punkt. Es lohnt sich, die Reportage nachzuschauen.


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Eva Seck (*1985 in Rheinfelden) ist freischaffende Autorin. Im Frühling 2022 erschien ihr zweiter Gedichtband «versickerungen» im Verlag die brotsuppe. Sie bewundert Frauen*, die sich journalistisch, künstlerisch oder forschend mit dem kolonialen Erbe Europas auseinandersetzen. Eva Seck lebt mit ihrer Familie in Basel.
Unter «kontertext» schreibt eine externe Gruppe von Autorinnen und Autoren. Sie greift Beiträge aus Medien auf, widerspricht aus journalistischen oder sprachlichen Gründen und reflektiert Diskurse der Politik und der Kultur. Zurzeit schreiben regelmässig Silvia Henke, Mathias Knauer, Michel Mettler, Felix Schneider und Beat Sterchi.
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Eine Meinung zu

  • am 24.10.2024 um 14:14 Uhr
    Permalink

    «Frauen auf dem Bau» die «Lösung für den Fachkräftemangel»?
    «Lösung für den Fachkräftemangel» gemäss Trump mutmasslich:
    «Frauen auf der Gebärstation» und Abtreibungsverbot.

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