Bittere Arbeit auf Indiens Zuckerplantagen
Um ihrer Tochter eine Schulbildung zu ermöglichen, entschieden sich Gighe Dutta und seine Frau dazu, das Zuckerrohrschneiden im Westen Indiens einzustellen und einen Kreislauf aus Missbrauch und Armut zu durchbrechen. Duttas Arbeitgeber weigerte sich jedoch, die Kündigung anzunehmen. Stattdessen verprügelte er Dutta und verschleppte ihn in eine Zuckermühle, die nach eigenen Angaben auch internationale Unternehmen beliefert. Dutta wurde dort zwei Tage lang festgehalten und unter Druck gesetzt, seine Entscheidung zu überdenken.
Der westindische Bundesstaat Maharashtra liefert Zucker an Unternehmen wie Coca-Cola, PepsiCo und Unilever. Gemäss lokalen Politikern und Zuckerbaronen sind die Arbeiter frei. Wie eine Recherche der New York Times jedoch zeigt, sind die Arbeiter in Maharashtra weit davon entfernt, ein freies Leben zu führen. Sie erhalten keine schriftlichen Verträge und werden immer wieder mit Gewalt, Entführung und Mord bedroht.
Die Missstände sind auf die Praxis der Schuldknechtschaft zurückzuführen – ein System, bei dem die Arbeitnehmer ständig in der Schuld ihrer Arbeitgeber stehen und diese nicht verlassen dürfen. Die westliche Unternehmen, die Zucker aus Maharashtra beziehen, prangern diese Praxis zwar an, aber der indische Zuckersektor ist in hohem Masse auf Schuldknechtschaft angewiesen, wie eine Untersuchung der indischen Regierung zu Tage trug.
Die lokalen Behörden in Maharashtra bestreiten derweil, dass Schuldknechtschaft in ihrem Bundesstaat vorkommt und behaupteten in einer eidesstattlichen Erklärung, dass sich die Zuckerarbeiter «überall frei bewegen können und niemals vom Arbeitgeber eingesperrt werden.»
Vorschüsse werden zu Schulden
Schuldknechtschaft ist in Maharashtra jedoch weit verbreitet. Arbeiter werden in der Regel für ein ganzes Jahr im Voraus mit Bargeld bezahlt. In der Folge müssen sie dann Quoten abarbeiten, die unmöglich zu erfüllen sind. So türmen sich die Schulden auf und die Arbeiter samt ihren Familien sitzen in der Falle – ohne Vertrag und Möglichkeit auf Rekurs.
Wenn die Arbeiter versuchen, aus diesem Kreislauf zu entkommen, werden sie nicht selten Opfer von Gewalttaten.
Wie der Zuckerschneider Prahlad Pawar erklärte, mussten er, seine Frau und ihre Kinder während der Nebensaison als persönliche Diener für seinen Chef arbeiten, da dieser mit Pawars Ernte unzufrieden war. Schliesslich gelang es der Familie zu fliehen. Sie musste jedoch tagelang wandern, um Essen betteln und auf offenen Feldern schlafen.
«Die Menschen in den Städten, die diese süssen Getränke trinken und Schokolade essen, leben ihr Leben und denken nicht einmal an uns», sagt Pawar. «Ich wünschte, sie würden nur einmal versuchen, so zu arbeiten wie wir.»
Unsichtbare Arbeit
In Maharashtra wird Zuckerrohr in der Regel von Ehepaar-Teams, sogenannte Koytas, geschnitten. Jedes Paar beliefert eine bestimmte Mühle. Die Arbeiter werden jedoch nicht direkt von den Mühlen angestellt, sondern von Zwischenhändlern, die die Zahlungen der Zuckerfabriken an die Arbeiter weiterleiten. Diese Pauschalzahlungen helfen den Arbeitern, ihre Kosten zu decken. Ohne schriftliche Verträge haben die Arbeiter jedoch keinen Schutz, wenn Händler plötzlich die Bedingungen ändern. Und da die Zuckerfabriken die Arbeiter nicht direkt anstellen, können sie jede Verantwortung für die Arbeiter oder ihre Behandlung ablehnen.
«Die Arbeit ist völlig unsichtbar, und diese Unsichtbarkeit ist entscheidend für die Gewinnerzielung», sagt Seema Kulkarni von Makaam, einer Interessengruppe für Landarbeiterinnen.
Als sich die Duttas dazu entschlossen, aus der Unsichtbarkeit herauszutreten und ihrer Tochter eine Ausbildung zu ermöglichen, hatten sie ihren jährlichen Vorschuss bereits angenommen. Um dennoch aus dem mündlichen Vertrag rauszukommen, bauten die Duttas in der Nebensaison Baumwolle, Hirse und Linsen an und erwirtschafteten so 70 Prozent des Vorschusses.
Dutta traf sich mit seinem Zwischenhändler, um den vorzeitigen Vertragsaustritt zu verhandeln, aber dieser wurde wütend und verlangte plötzlich das Doppelte des Vorschusses, um den Vertrag zu kündigen. Als Dutta sich weigerte, schlugen ihn der Bauunternehmer und seine Freunde. Die Gruppe zwang Dutta in ein Auto, nahm ihm das Telefon ab und fuhr mit ihm zur Jaywant Zuckermühle, wo er zwei Tage lang festgehalten wurde.
Der Chef weiss von nichts
Wie viele der Zuckerfabriken in Maharashtra wird auch Jaywant von einer politisch einflussreichen Familie kontrolliert. Ihr Präsident, C. N. Deshpande, bestreitet gegenüber der New York Times, dass Dutta gegen seinen Willen in der Fabrik festgehalten worden sein soll. Er räumte jedoch ein, dass Zuckerarbeiter, die Vorschüsse nicht zurückzahlen können, immer wieder Probleme verursachten.
Dutta glaubt Deshpande kein Wort. Der Chef wisse sehr wohl, was in seiner Mühle vor sich geht. So seien Fabrikarbeiter damit beauftragt worden, Dutta Essen aus der Kantine zu bringen und ihn zu bewachen.
Nach zwei Tagen erfuhr Duttas Bruder, was geschehen war und rief den Zwischenhändler an. Dieser wiederholte seine Forderung und verlangte das Doppelte des Vorschusses zurück. Daraufhin erstattete der Bruder eine Anzeige bei der Polizei. Der Zwischenhändler liess Dutta danach zwar frei, die Anzeige versandete jedoch in den Mühlen der Justiz.
Getränke- und Nahrungsmittelhersteller wie Coca-Cola, Pepsi und Unilever beziehen ihren Zucker unter anderem aus Maharashtra. Die Firmen lehnten gegenüber der New York Times eine Stellungnahme ab.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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