5G: Anbieter fordern mehr Strahlung für schnellere Geschäfte
Der Mobilfunk-Report der «Republik»
psi. Dies ist eine knappe Auswertung zweier Artikel für das Online-Magazin Republik. Die aufwändige Recherche und Umsetzung wurde finanziell massgeblich unterstützt durch den JournaFONDS. Der erste Artikel beschäftigte sich mit dem Konflikt um die wissenschaftliche Erforschung und Interpretation der Gesundheitsrisiken von Mobilfunkstrahlung. Der zweite Artikel behandelte wirtschaftliche, politische und rechtliche Aspekte des Konflikts.
- Für neue digitale Geschäfte wollen die Mobilfunkanbieter den Strahlenschutz lockern
Die 5G-Technologie ermöglicht blitzschnelles Internet durch die Luft. Um damit aber auch schnell Geld verdienen zu können, müssten die Antennen mehr strahlen dürfen. Dies sagen die Anbieter und die Eidgenössische Kommunikationskommission (ComCom) schon seit 2016.
Das Problem: Das Parlament lehnte 2016 und 2018 eine Erhöhung des vorsorglichen Anlagegrenzwertes ab. Der Bundesrat tat im Sommer 2020 das Gleiche.
- Die Gesundheitsrisiken von Mobilfunkstrahlung sind immer noch ungenügend erforscht
Grenzwerterhöhungen stossen in der Schweiz auf grossen politischen Widerstand, weil die Wissenschaft nach wie vor gut begründet daran zweifelt, dass die Grenzwerte ausreichenden Schutz bieten. 2011 stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hochfrequente elektromagnetische Strahlung als «möglicherweise krebserregend» ein. Doch seither wurden zahlreiche weitere Studien durchgeführt.
Fürs ständige Forschungsmonitoring unterhält das Bundesamt für Umwelt (BAfU) die Beratende Expertengruppe für nicht-ionisierende Strahlung (Berenis). Diese sichtet laufend neue publizierte wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Mobilfunkstrahlung und wählt jene zur detaillierten Bewertung aus, welche aus ihrer Sicht für den Schutz von Mensch und Umwelt von Bedeutung sein könnten.
Die Gruppe sagte im Juli 2020 in einem Sonder-Newsletter, es gebe weiterhin genügend Unsicherheiten. Insbesondere im Bereich der 5G-Frequenzen, aber auch im Bereich der bestehenden Grenzwerte. Diese sollten also nicht gelockert werden. Zum Beispiel sah sie es als erwiesen an, dass Mobilfunkstrahlung die Gehirnaktivität beeinflussen kann. Diese Haltung war nicht neu. Bereits 2014 hielten ExpertInnen im Auftrag des Bundes fest, dass die Sicherheitsfaktoren bei der Grenzwertsetzung in bestimmten ungünstigen Situationen überschätzt würden.
Und im März 2021 veröffentlichten zwei Berenis-Mitglieder eine Übersichtsstudie zu Mobilfunkstrahlung und Zellstress. Sie sagten, es gebe Hinweise, dass Mobilfunkstrahlung bereits im Bereich der bestehenden Grenzwerte gesundheitliche Auswirkungen haben könne. Dies gelte insbesondere bei Kindern und Betagten sowie Menschen mit Immunschwächen oder neurodegenerativen Erkrankungen wie Diabetes, Multipler Sklerose oder Demenz.
Für die Organisation Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz zeigen Studien zudem, dass Mobilfunkstrahlung auch teilweise unterhalb der Schweizer Grenzwerte die Hirnströme, die Hindurchblutung und den Zellstoffwechsel beeinflusst, das Genmaterial und die Reparaturvorgänge in der Erbsubstanz verändert, die Spermienqualität verschlechtert und das Gedächtnis sowie schlafabhängige Lernprozesse bei Jugendlichen beeinträchtigt.
Die beiden US-Forscher Frank Barnes und Eugene Freeman fassten den Forschungsstand im vergangenen September zusammen. Dabei kamen sie zur Hypothese, dass die möglichen Effekte von Mobilfunkstrahlung von Person zu Person variieren. Dabei komme es darauf an, wie die Person welcher Strahlung ausgesetzt sei und ob allenfalls andere Schwächungen der Person existierten. «Es ist klar, dass mehr Forschung notwendig ist, um vernünftige Standards definieren zu können, die es einem einfachen, kostengünstigen Kommunikationssystem erlauben, sicher zu funktionieren.»
- Die Anbieter ziehen den unsicheren Wissensstand in Zweifel
Die Mobilkommunikationsanbieter jedoch zeichnen ein ganz anderes Bild. Sunrise-CEO André Krause sagte vor wenigen Monaten in der SRF-Sendung «Eco Talk»: «Die wissenschaftliche Erkenntnis, die wir heute haben, weist klar nach, dass es keine bedenklichen Herausforderungen der 5G-Strahlung gibt.» Salt-CEO Pascal Grieder legte kurz darauf im «Blick» nach: «Die seriösen wissenschaftlichen Studien sind ausgesprochen klar in der Aussage, dass Mobilfunkstrahlung weitgehend unbedenklich ist.»
Um die Unschädlichkeit der eigenen Technologie in der öffentlichen Debatte zu behaupten, interpretieren und kommunizieren sie den Forschungsstand selber. Dies tun sie über die Forschungsstiftung Strom und Mobilkommunikation (FSM) (Infosperber berichtete). Die Stiftung gibt an, von vielen verschiedenen Institutionen getragen zu sein. Doch Geld für den Betrieb fliesst einzig aus der Industrie.
Die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz verliessen 2006 die Stiftung. 2015 sagte die Organisation dem Infosperber, die Unabhängigkeit der Information sei «nicht gewährleistet, wenn eine Stiftung, welche hauptsächlich durch die Immissionsverursacher beauftragt wird, bewerten soll, ob die durch den Immissionsverursacher verursachte Immission gesundheitsgefährdend ist».
Zudem erweckt die Stiftung den Eindruck, sie sei ein Teil der ETH. Doch dies stimmt nicht. Gemäss dem Geschäftsleiter ist sie bloss am Institut für Elektrotechnik «eingebettet». Das Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik stelle der Stiftung ein Büro samt Infrastruktur zur Verfügung. Die ETH-Medienstelle bestätigt dies. Die Stiftung sei «administrativ» dem Leiter des Instituts für Elektromagnetische Felder unterstellt. Allerdings: Es existieren keine Verträge, welche die Beziehung regeln.
Nachdem der Bundesrat 2020 die Grenzwerte nicht erhöhte, starteten die Anbieter zudem die umfassende Lobbykampagne «Chance 5G», welche ebenfalls die wissenschaftlich höchst umstrittene Behauptung verbreitet, die Schädlichkeit von Mobilfunkstrahlung sei nicht erwiesen. Sie konnte Dutzende ParlamentarierInnen für den eigenen Zweck gewinnen und zählt gar Medienorganisationen zu ihren Unterstützern. Die Gewerkschaft syndicom oder die Verbände der Privatradios und des Privatfernsehens treten explizit als Unterstützer auf.
Medienunternehmen wie NZZ, Ringier, TX Group, die SRG oder das Kommunikationsbranchenmagazin «Persönlich» sind indirekt über die Initiative Digitalswitzerland, bei der ein Grossteil der Schweizer Wirtschaftselite mitmacht, mit der Lobbykampagne verbunden. Im Februar 2021 forderte Digitalswitzerland seine Mitglieder dringlich dazu auf, eine Petition von «Chance 5G» zu unterschreiben.
- Politik und Verwaltung in der Kritik
Der Bund müsste die Forschung zu möglichen Gesundheitsrisiken von Mobilfunkstrahlung eigentlich verstärkt fördern. Eine vollkommen unumstrittene Motion verlangte zudem, dass er dafür einen Teil der 380 Millionen Franken einsetzt, welche er mit der Versteigerung der 5G-Konzessionen eingenommen hat. Über zwei Jahre nach der Annahme des Vorstosses erachtet das zuständige Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation gemäss einem internen Controllingbericht seinen Umsetzungsauftrag gleichwohl als «erledigt». Dabei wurde die Forschung gar nicht mit zusätzlichen Mitteln gefördert. Gegenüber der Republik wollte sich das Departement zum Status der Motion partout nicht äussern.
Derartige Vorgänge schaden dem Vertrauen. Für die Art und Weise, wie Bundesbehörden und -verwaltung den 5G-Konflikt handhaben, kritisiert sie der Anwalt Michael Fretz in der Republik scharf. Er sagt: «Wir haben ein tolles Land, es funktioniert vieles ganz gut. Doch wenn die Menschen den Behörden nicht mehr vertrauen, dann geht es wirklich bergab. In unserer Demokratie müssen wir das Vertrauen der Leute in die Behörden wieder stärken. Und zwar, indem wir ihnen zeigen, dass wir nach ihren Interessen handeln. Und nicht nur nach denjenigen der Wirtschaft.»
- Bundesrat will vorpreschen, Parlament bremst leicht
Denn der Bundesrat will entgegen der Empfehlungen der eigenen wissenschaftlichen Experten den Schutz der Bevölkerung vor Strahlung lockern. Er passte nämlich auf Januar 2022 die Schutzverordnung an. Seither müssen die Anbieter den Grenzwert nur noch im sechsminütigen Mittel einhalten und dürfen ihn also punktuell überschreiten – Betroffene sehen dies als versteckte Grenzwerterhöhung.
Der Bundesrat unterstützt auch eine Motion der FDP-Fraktion. Ohne es direkt zu sagen, fordert diese eine deutliche Erhöhung des Grenzwerts für schnelle Geschäfte mit mobilem Internet. Der Nationalrat hat sie angenommen. Doch die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen des Ständerates (KVF-S) änderte den Vorstoss ab. Und verlangt nun, dass der 5G-Ausbau ohne Grenzwerterhöhung auskommen muss. Der Ständerat soll noch während der laufenden Sommersession darüber abstimmen. Bei Annahme ginge das Geschäft wieder zurück in den Nationalrat.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Auf keinen Fall höhere Leistungen!
5G = eine der vielen Mogelpackungen, mit denen wir immer wieder konfrontiert sind.
Es gibt übrigens auch in abgelegenen Gebieten die Möglichkeit – sogar ohne 5G – für wenig Geld zu schnelleren Verbindungen zu kommen. Erkundigen sie sich bei lokalen Fachleuten.
Wenn sogar ein hochbezahlter 5G-Lobbyist die Strahlung nur als «weitgehend unbedenklich» bezeichnet, dass ist genaueres Hinsehen dringend geboten 😉