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Der Hafen von Primorsk, fotografiert am 27. Februar 2012. © D.Lobusov, marinetraffic.com

Wie Russland mit schrottreifen Tankern das Embargo umschifft

Daniela Gschweng /  In Finnland und Estland steigt die Furcht vor einer Ölpest im Finnischen Meerbusen, weil immer mehr Schrottschiffe unterwegs sind.

Öl- und Gasexporte sind das Rückgrat der russischen Wirtschaft. Da grosse Versicherungsgesellschaften russische Schiffe nicht mehr versichern, greift das Land auf ältere Schiffe zurück, die teils schon für die Verschrottung vorgesehen waren oder ausser Dienst gestellt wurden.

In Finnland und Estland wird das mit Sorge betrachtet. Die Ostseeanrainer beobachten hunderte ältere Schiffe unklarer Eigentümerschaft in der Ostsee und vor allem im Finnischen Meerbusen. Darunter solche, die die Strecke nach Primorsk und anderen russischen Häfen zum ersten Mal befahren.

Finnische Küstenwache in Alarmbereitschaft

Der Finnische Meerbusen ist nicht nur lang, schmal und flach, sondern auch berüchtigt für sein eisiges Wetter. Die etwa 400 Kilometer lange und am breitesten Punkt 130 Kilometer breite Bucht ist stark befahren. Das Manövrieren mit einem grossen Schiff kann riskant werden. Im Winter gibt es zudem nur wenige Stunden Tageslicht. Das Risiko von Umweltschäden ist hoch, da die fjordähnliche Küstenlinie und das flache Wasser die Beseitigung von Ölverschmutzungen extrem erschweren würden.

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Der Finnische Meerbusen ist eine stark befahrende Schiffahrtsroute. An seinem östlichen Ende liegt der wichtige russische Hafen Primorsk.

Wenn er Schiffe sehe, die die Bucht erstmals befahren, könne er nicht sagen, wie gut die Besatzung mit den Bedingungen umgehen könne, erklärte Mikko Hirvi, stellvertretender Leiter des finnischen Küstenwachebezirks am Finnischen Meerbusen, der «Washington Post». Von vielen Reedereien, die in den letzten Monaten neu aufgetaucht sind, wissen die Behörden so gut wie nichts.

Kapitän Johan-Elias Seljamaa, stellvertretender Kommandant der estnischen Marine, ist genauso besorgt: «Die Ostsee und insbesondere der Finnische Meerbusen sind sehr eng. Wenn man keine Erfahrung mit der Navigation in diesen Gewässern hat, ist das Risiko höher», sagt er.

Finnische Behörden haben die Notfallvorbereitungen hochgefahren. Man habe Ausrüstung für den Katastrophenfall beschafft, wie Ölsperren und Schiffe, die Ölteppiche abpumpen können, sagt Hirvi. Es gibt mehr Übungen und Schulungen für den Fall einer Ölpest oder einer anderen Umweltkatastrophe.

«Dunkle Tanker» sind kein neues Phänomen

Die wachsende Flotte von Tankern mit zwielichtigen Eigentümern hilft Russland, Ölexporte legal in Länder wie China und Indien zu bringen, die das Embargo nicht unterstützen.

Von Seefahrtsexperten werden die schrottreifen Schiffe «Dark Tanker», dunkle Tanker, genannt, weil sie öfter die Transponder ausschalten und dann mit dem automatischen Identifikationssystem (AIS) nicht mehr geortet werden können. Bekannt war die dunkle Flotte bisher vor allem vor den Küsten von Venezuela und Iran, die ebenfalls mit Sanktionen belegt sind.

So gut wie alle diese Schiffe seien unzureichend versichert, schreibt die «Washington Post». Im Fall einer Ölpest oder eines Zusammenstosses gäbe es womöglich niemanden, der für die Kosten aufkäme. Das ist sogar sehr wahrscheinlich, da die grossen Versicherer Öltransporte, deren Preis über dem Preisdeckel für russisches Öl liegt, nicht mehr versichern.

Die Schrottschiffe sind meist kaum versichert

«Niemand sonst hat genügend Geld, um sich gegen eine grosse Ölkatastrophe abzusichern», sagt Lauri Myllyvirta, leitender Analyst des Center for Research on Energy and Clean Air, einer in Finnland ansässigen Umweltforschungsgruppe, gegenüber der «Washington Post»

Im Monat vor Beginn der Invasion wurden 19 Prozent der Tanker, die russische Häfen verliessen, als von «unbekannten» Versicherern gedeckt registriert, geht aus ihren Daten hervor. Im März 2023 sei der Anteil auf 45 Prozent gestiegen, und er werde wahrscheinlich noch weiter steigen, wenn Policen auslaufen.

Die Türkei meldete schon im November 2022 Bedenken an wegen der Geisterflotte an und kündigte an, nicht versicherten Schiffen keine Durchfahrt durch den Bosporus mehr zu erlauben.

Erste Vorfälle gingen glimpflich aus

Am 4. März meldete ein Tanker namens «Blue Sun» in der Strasse von Gibraltar, dass der Motor ausgefallen sei. Nur wenige Tage davor war das 19 Jahre alte Schiff von einem vietnamesischen Unternehmen gekauft worden. Bis dahin hatte es einem Unternehmen in Monaco gehört. Als die spanische Küstenwache eintraf, hatte die Besatzung das Problem bereits selbst gelöst. Die «Blue Sun» fuhr weiter nach Helsinki und von da nach Primorsk, einem der grössten Ölexporthäfen Russlands.

Ein solches Problem hätte im Finnischen Meerbusen bereits zu einem Unfall oder einer Ölpest führen können. Die Auswirkungen wären schon wegen der oben beschriebenen geografischen Umstände katastrophal. Ob die «Blue Sun» versichert sei, liesse sich aus öffentlich verfügbaren Daten in den Registern nicht nachvollziehen, schreibt die «Washington Post».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

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6 Meinungen

  • am 5.04.2023 um 12:49 Uhr
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    Wo liegt jetzt das eigentliche Problem?
    Bei den völkerrechtswidrigen Sanktionen gegen Russland?
    Bei dem Infrastruktur-Terror der Nordstream-Sprengung?
    Oder bei dem Versuch Russlands, die Auswirkungen der beiden o.g. Handlungen zu kompensieren?

  • am 5.04.2023 um 13:48 Uhr
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    Sie werden staunen, aber ich finde das Ausweichmanöver der Russen sehr gut.

    1. Bin ich gegen diesen Krieg, der immer gefährlicher eskaliert und
    2. Will ich die astronomischen Benzinpreise nicht noch höher haben. Daher begrüße ich die Verbreiterung des Angebotes durch die russischen Schiffe als preissenkenden oder -stabilisierenden Faktor.

  • am 5.04.2023 um 15:54 Uhr
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    Solche Schiffe gibt es zu hunderten und nicht nur Russland macht davon gebrauch. Schiffsunfälle gibt es in der Baltischen See auch ca. 250 pro Jahr, und andernorts ebenfalls, auch mit neueren und versicherten Schiffen. In der Baltischen See soll auch jemand eine unterseeische Pipeline gesprengt haben, so hört man – Rücksicht auf die Umwelt wurde keine genommen.
    Warum die Washington Post und Estland hier den Fokus auf ‹Russland› legen, erschliesst einem natürlich sofort aufgrund der aktuellen politischen Lage.
    Man beachte: Da die Sanktionen nicht von der UNO kommen, sind kein Internationales Recht, sie wurden von den USA und EU Staaten (und der Schweiz) im alleingang beschlossen und durchgesetzt. So kommt es, dass in Europa und den USA beheimatete Versicherungsgesellschaften Russische Schiffe nicht mehr versichern – oder die EU Häfen nicht mehr anlaufen können ohne festgesetzt zu werden. Da Problem haben sich also EU/NATO selber eingebrockt.

  • am 6.04.2023 um 21:31 Uhr
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    Ein trauriges Beispiel im Kleinen, wie hirnrissig diese Sanktionen gegen Russland sind. Sie wurden Europa von den USA aufgezwungen, denn sie stärken deren Marktmacht hier, sie schaden Russland kaum, ruinieren aber Europas Wirtschaft und lassen per Inflation den Mittelstand in Europa verarmen. Kein Wort davon in diesem Artikel – Hat Inforsperber nicht gesehen, was andere nicht sehen dürfen?

  • am 6.04.2023 um 22:39 Uhr
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    Infosperber titelt: «Wie Russland mit schrottreifen Tankern das Embargo umschifft». Embargo? US-Sanktionen? Das also ist die Ursache? Die «umschifft» wird? Warum wehrt sich dann Europa nicht dagegen? Beziehungsweise dafür, dass sich Europa PRO umweltfreundliches Pipeline-Gas/-Erdöl einsetzt, und CONTRA das sehr umweltschädliche Fracking-Pendant (und gegen die dito Flüssiggas-Schiffstransporte über die Weltmeere) seitens primär der USA?

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