Trifluoracetat: PFAS-Chemikalie sogar in Bio-Wein
In den Laboren der Universität Freiburg im Breisgau lagert so mancher alte Tropfen. Wein aus 1966, 1996 und 2015 – das Pharmazeutische Institut der Universität Freiburg im Breisgau hat einen grossen Weinkeller. Probieren lohne sich aber meist nicht, sagt Michael, Müller, der Leiter der Pharmazeutischen Chemie, wo über 100 Flaschen eingelagert sind.
Für die Chemikerinnen und Chemiker des Instituts stellen die Flaschen eine datierte Probennahme aus verschiedenen Jahrgängen dar. Sie messen den PFAS-Gehalt im Wein, oder genauer: die Konzentration an Trifluoracetat (TFA). Und damit auch dessen Vorkommen in der Umwelt.
TFA ist eine der kleinsten per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Die künstliche Chemikalie ist nicht nur in Wein, sondern auch in Bier, Wasser und in Folge in Obst und Gemüse. Bis vor rund einem Jahr wusste die breite Öffentlichkeit davon noch kaum etwas. Das änderte sich Mitte 2024, als eine Studie des Bayer-Konzerns von 2021 öffentlich wurde. Im Versuch hatte TFA schwere Geburtsschäden bei Kaninchen ausgelöst. Ende 2024 wurde bekannt, dass sich TFA flächendeckend im Schweizer Wasser findet.
In der Umwelt fast omnipräsent
Die Analysen der Freiburger Forschenden zeigen, wie schnell sich TFA in der Umwelt breit gemacht hat. «Bis 1960 gab es quasi kein TFA im Wein», sagt Müller. Von 1960 bis 2000 steige die Konzentration langsam, ab 2000 steil an. «In den neueren Weinen finden wir recht hohe Werte», sagte der Chemiker unter anderem gegenüber dem SWR.
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Selbst in Bio-Wein findet sich TFA. Was nachvollziehbar ist, wenn man weiss, wie es dorthin kommt und was Trifluoracetat von anderen PFAS unterscheidet: Die meisten bekannten PFAS sind fettliebend. Sie reichern sich im Körper zum Beispiel in der Leber an oder finden sich in der (fettigen) Muttermilch.
TFA dagegen ist sehr gut wasserlöslich. Die Chemikalie wird so zwar mit dem Urin aus dem Körper ausgespült, findet sich aber flächendeckend im Wasser. Sogar im Regen ist TFA. Dorthin gelangt es aus fluorhaltigen Kühlgasen, die in der Atmosphäre TFA abspalten – eine der Erklärungen für die zwar geringeren, aber noch immer hohen TFA-Konzentrationen im Bio-Wein.
TFA fällt sogar vom Himmel
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Trifluoracetat stammt sonst hauptsächlich aus Vorläufersubstanzen wie Pestiziden und Kühlgasen oder aus der industriellen Produktion. Dazu gibt es zahlreiche kleinere Quellen wie Medikamente.
Hauptquellen von Trifluoracetat (TFA) in der Umwelt
- Pestizide, vor allem solche mit den Wirkstoffen Flufenacet, Diflufencican und Fluazinam
- Kältemittel und Treibgase wie HFKW-134a, HFKW-143a oder HFKW227ea in Klimaanlagen, Wärmepumpen und Kühlmitteln.
- Chemische Produktion anderer Stoffe
- Zerfallsprodukt anderer, längerkettiger PFAS
- Medikamente, Dünger, etc.
Der Anstieg hänge auch mit dem FCKW-Verbot zusammen und mit dem Klimawandel, so Müller gegenüber dem SWR.
«Ewige» PFAS-Chemikalien sind doch nicht ganz so ewig
TFA kann auch aus anderen PFAS entstehen. Diese bauen sich zwar sehr langsam ab, aber es ist möglich. Die Fluor-Kohlenstoff-Bindung ist zwar eine der stabilsten, die es gibt. «Bei langkettigen PFAS kann aber die Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindung gespalten werden» erklärt Jens Lange, Professor für Hydrologie der Uni Freiburg.
Die Folge sei der unvollständige Abbau eines grösseren PFAS. Ein Endprodukt sei TFA, schreibt Lange auf eine E-Mail-Nachfrage von «Infosperber». Kleiner geht es dann aber wirklich nicht mehr. «TFA baut sich nicht mehr ab», betont Lange.
Könnte man wenigstens darauf hoffen, dass sich TFA so weit verdünnt, dass es nicht mehr schädlich ist, wenn die Produktion gestoppt würde? Lange mag da keine Entwarnung geben. «TFA reichert sich in Senken wie im Ozean an. Was das für Auswirkungen hat, ist nicht bekannt und deshalb ein grosses Problem, da wir diesen Stoff nicht mehr entfernen können», schreibt er. Träten schädliche Auswirkungen auf, sei es zu spät.
TFA aus Wasser zu entfernen ist fast unmöglich
Was noch dazukommt: TFA aus Wasser zu entfernen, ist sehr aufwendig. Eine der grössten Herausforderungen bei der TFA-Analyse im Wein sei es gewesen, den Nullwert zu bestimmen, berichtete Müller auf einem Panel der Universität Freiburg. TFA-freies Wasser gebe es quasi nicht.
Aktivkohlefilter, mit denen Wasser von anderen PFAS gereinigt wird, bewirken bei TFA so gut wie nichts. Die einzig bekannte Methode, um die Chemikalie aus dem Wasser zu holen, ist Reverse Osmose oder Umkehrosmose. Sie ist finanziell und energetisch so aufwendig, dass sie nur in wenigen Fällen sinnvoll ist. Das Grund- und Oberflächenwasser kann man so ohnehin nicht reinigen.
Wie schädlich TFA ist, ist schwer zu sagen
Für TFA gibt es bisher keine Grenzwerte, keine Kennzeichnung und kaum Überwachung, die Konzentration im Wasser wird bis auf Weiters weiter ansteigen. Ist das besorgniserregend? Das ist schwer zu sagen. Trifluoracetat ist nicht akut giftig. Andererseits gibt es den Bayer-Versuch, in dem eine schwere toxische Wirkung auf Kaninchen auftrat.
Im Gesamten wisse man noch viel zu wenig über die Langzeit- und Wechselwirkungen von PFAS oder über die Wirkung von Gemischen, sagt Michael Müller auf Anfrage von «Infosperber». Auch existierende Grenzwerte seien eher Anhaltspunkte und kaum wirklich sicher.
Für die deutschen Behörden reicht der Verdacht aus. Sie haben bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) beantragt, TFA als reproduktionstoxisch (fruchtbarkeitsschädigend) einzustufen. Die Bewertung läuft. Hätte der Antrag Erfolg, würden TFA-Quellen stark eingeschränkt oder verboten. Problematisch daran: In einigen Gewässern findet sich jetzt schon mehr TFA, als für einen reproduktionstoxischen Stoff erlaubt wäre. Tendenz: steigend.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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