Naturschützer flogen im Heli übers Unesco-Welterbe
Die Stromproduzentin Electra-Massa AG plant zusammen mit dem regionalen Elektrizitätswerk Energie Brig Aletsch Goms (EnBAG) und den Gemeinden Naters und Riederalp ein neues Wasserkraftwerk im Naturschutzgebiet und Unesco-Welterbe Jungfrau-Aletsch. Hauptaktionärin der Electra-Massa ist die Alpiq, welche zu 25 Prozent der französischen Électricité de France (EDF) gehört.
Treffen im Pro Natura Zentrum auf der Riederfurka
Am 26. September 2012 luden die Initianten des Kraftwerkprojektes Oberaletsch die Vertreterinnen und Vertreter des Bundes, des Kantons Wallis und der Umweltverbände zu einer Besichtigung ein. Zu diesem Zweck wanderten rund 20 Leute von der Belalp bis zur geplanten Wasserfassung im Oberaletsch-Gebiet und von dort flogen sie mit dem Helikopter über das Naturschutzgebiet Jungfrau-Aletsch auf die gegenüberliegende Riederfurka, wo die Projektanten über ihr Vorhaben informierten. Nicht etwa auf neutralem Grund, sondern im Pro Natura Zentrum Aletsch in der Villa Cassel. Der Stromkonzern Alpiq war mit drei Vertretern dabei, darunter auch Jörg Aeberhard, Leiter Hydraulische Produktion.
Wie Recherchen von Infosperber ergaben, flogen die zwei Pro Natura-Vertreter Laudo Albrecht und Luca Vetterli mit dem Heli sowie Kurt Eichenberger, Geschäftsleiter des WWF Oberwallis. Auf einen Heliflug verzichtet haben Eva-Maria Kläy, Regionalsekretärin von Pro Natura Oberwallis, und Raimund Rodewald, Geschäftsleiter der Stiftung Landschaftsschutz Schweiz (SL).
Pro Natura und WWF üben sich in Erklärungen
Die Pro Natura-Zentrale in Basel nahm zum heiklen Heliflug und zum Treffpunkt im Pro Natura Zentrum wie folgt Stellung:
Infosperber: Sieht Pro Natura im Heliflug über das Unesco-Welterbe Jungfrau-Aletsch nicht ein gravierendes Glaubwürdigkeitsproblem?
Pro Natura: Pro Natura hat keine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber Helikopterflügen zu Versorgungs-, Rettungs- oder Erkundungszwecken. Der Helikopter-Transfer vom Gebiet Oberaletsch auf die gegenüberliegende Talseite auf die Hohfluh war Teil des Programms, das die einladenden Organisatoren (d.h. die Gemeinde Naters) für den Augenschein aufgestellt hatten. Ein zentraler Punkt dieses Projekts sind die landschaftlichen Auswirkungen auf das BLN-Gebiet. Diese Eindrücke können nur von der gegenüberliegenden Talseite umfassend gewonnen werden. An einem Tag wäre die Besichtigung zu Fuss und mit ÖV praktisch nicht möglich gewesen. Ohne Helikopter hätte alleine die Wanderzeit insgesamt ca. acht Stunden betragen. Unter diesen Umständen hat Pro Natura ihre Teilnahme am Augenschein höher gewichtet als den Verzicht auf einen der zentralen Teile des Augenscheins: die Erläuterungen zu den landschaftlichen Auswirkungen von der gegenüberliegenden Talseite.
Ist es üblich, dass Pro Natura als Gastgeber der projektierenden Stromwirtschaft auftritt?
Nein, das ist nicht üblich. In dieser geografischen Situation mit dem Pro Natura Zentrum Aletsch in der Nähe hatte es sich aber angeboten. Die Schlussdiskussion zum ganztägigen Augenschein fand im öffentlichen Tee-Salon der Villa Cassel statt; auf Anfrage der Organisatoren des Ortstermins.
Ist die Gastgeberrolle bereits ein Signal für die Kompromissbereitschaft von Pro Natura gegenüber dem Projekt?
Selbstverständlich nicht. Die Verantwortlichen bei Pro Natura werden sich die Meinung zum Projekt aufgrund der präsentierten Pläne und der Eindrücke des Augenscheins machen. «Gastgeberrolle» ist nicht der richtige Begriff: Pro Natura hat auf Anfrage die vorhandene Infrastruktur in der Villa Cassel zur Verfügung gestellt, also eine Dienstleistung erbracht, die bezahlt wurde.
Heliflug auf die Riederfurka als Zückerchen
Zum Heliflug nahm auch Kurt Eichenberger vom WWF Oberwallis Stellung: «In Unkenntnis des genauen Projekts und als nicht genügend ortskundig vertraute ich in der Gestaltung der Begehung auf die Organisatoren. Der Helikopterflug – es war mein erster überhaupt – war für mich kein Grund, die Begehung in Frage zu stellen, auch wenn ich auf den Flug aus ökologischen Überlegungen gerne verzichtet hätte. Flug und Bewirtung waren für mich auch kein Anlass, meine Unabhängigkeit im Urteil über das Projekt zu verlieren.»
Die Argumentation der Umweltschützer erstaunen sehr. Es wäre durchaus möglich gewesen, von der Belalp ins Oberaletsch-Gebiet zu laufen und anschliessend wieder zurück auf die Belalp, wo die Information in einem dortigen Restaurant auf neutralem Terrain hätte stattfinden können. Der Heliflug erscheint eher als Zückerchen für die Teilnehmer der Besichtigung und die Villa Cassel ist von den Projektanten wohl nicht ohne Kalkül zum Treffpunkt erkoren worden.
Unterschiedliche Töne von Pro Natura
Es erstaunt deshalb nicht, dass die Stellungnahme der Basler Pro Natura-Zentrale zum Projekt Oberaletsch abwartend und vage daherkommt: «Die Verantwortlichen der Pro Natura Sektion sowie die Fachleute des Pro Natura Zentralsekretariats werden die Eindrücke und Aufschlüsse zum geplanten Projekt diskutieren und aufgrund der präsentierten Pläne das Vorhaben beurteilen. Das ist bisher noch nicht abschliessend geschehen.» Ganz anders tönte Eva-Maria Kläy von Pro Natura Oberwallis in der RhoneZeitung vom 10. Mai 2012, wo sie sich klar gegen das Kraftwerkprojekt aussprach: «Das Oberaletsch ist ein No-Go-Gebiet». Die Gemeinden hätten die Schutzverträge unterzeichnet und müssten sich nun daran halten. «Es scheint, dass sich hier mit einer Konzession mehr Geld verdienen lässt als mit dem Vertrag.»
Ablehnende Haltung des WWF
Eine ablehnende Haltung signalisiert der WWF. In einem Brief von gestern Mittwoch schreibt Kurt Eichenberger, Geschäftsleiter des WWF Oberwallis, an den Stromkonzern Alpiq: «Das Projekt liegt zur Gänze im Perimeter vom Unesco- und vom BLN-Schutzgebiet. Zudem besteht ein Vertrag über die Nicht-Nutzung der Gewässer im VAEW-Perimeter, der von den Anstösser-Gemeinden und dem Kanton 2002 unterzeichnet wurde.» Eine Auflösung des Schutzvertrages würde vom WWF «nicht goutiert». Zudem verweist Eichenberger auf «die dreijährige Bauphase mit sehr intensivem Helikopter-Einsatz und ständig hör- und sichtbarer Bautätigkeit». Dies widerspreche den Ansprüchen von ökologisch und touristisch wichtigen Schutzgebieten. Die Qualität solcher Gebiete liege genau darin, dass sie Rückzugsgebiete für Fauna und Flora sind und sich Touristen vom Lärm und Stress des Alltags erholen können.
Energiestrategie will Naturschutz wie ein Sieb löchern
Besondere Brisanz erhält das Oberaletsch-Projekt im Hinblick auf die Energiestrategie 2050, welche Bundesrätin Doris Leuthard am letzten Freitag in die Vernehmlassung geschickt hat. Angesichts der guten Kontakte der Stromlobby ins Bundesamt für Energie (BFE) erstaunt es nicht, dass die griffigsten Massnahmen der Energiestrategie beim Ausbau der Wasserkraft zu finden sind. Im Dossier der Vernehmlassung findet sich bereits ein ausgearbeiteter Entwurf zur Revision des Energiegesetzes. Mit zwei neuen Artikeln 14 und 15 soll der Natur- und Landschaftsschutz wie ein Sieb gelöchert werden.
Implizit sollen durch diese Gesetzesrevision das Oberaletsch-Projekt und das Pumpspeicherwerk auf der Grimsel zum nationalen Interesse erhoben und damit der Naturschutz zurückgestuft werden. Wenn diese Gesetzesrevision im Parlament durchkommt, wird wohl das Referendum für die Umweltverbände unausweichlich.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Kurt Marti war früher Beirat (bis Januar 2012), Geschäftsleiter (bis 1996) und Redaktor (bis 2003) der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES)
Schade, dass mit dem Titel ein Skandal bei den Umweltschützern suggeriert wird (den ich nicht nachvollziehen kann, da ein solcher Heliflug zwar unschön, aber noch lange kein Grund ist, die Unabhängigkeit der Fluggäste in Frage zu stellen), und der eigentliche damit in den Hintergrund rückt: Da wird ein äusserst fragwürdiges Projekt im Wissen um den bestehenden, vertraglich vereinbarten Schutz auch nur schon in Betracht gezogen! Da scheint mir der Heliflug völliger Pipifax dagegen, den ich als Autor wohl nicht mal erwähnt hätte.
… und dann nebenbei noch Werbung für » Billigflüge, bis zu Minus 90 Prozent » für eine deutsche Website machen. Gleich neben dem Text der ach so schlimmen Heliflüge. Das sind die wahren Umweltverschmutzer, by the way!
Dass man den Helikopter nimmt, ist vernünftig. Diesen mit Stromlobbyisten zu teilen, welche dafür die Kosten übernehmen, ist sinnvoll. Wer glaubt, dass sich eine Umweltorganisation mit solchen Zückerchen kaufen lässt, hat eine seltsame Menschenkenntnis.
Der Skandal ist, dass für diese relativ dünne Geschichte ein «unökonomischer Helikopterflug» als Ereignis herhalten muss. Felix Rothenbühler hat absolut Recht.
Zur Vertiefung: so ein Heliflug schlägt mit einem Kerosinverbrauch von etwa 170 Litern pro Flugstunde zu Buche. Die Fahrt in fünf Land Rovern hätte locker mehr verbraucht. Zumal es gar nicht möglich gewesen wäre, per 4WD dort hinzukommen, wo sich die Delegation befand.
Und so ein Helikopterflug bildet übrigens. Ich kann das jedem empfehlen!
Machtlos?
„Wie kann man gegen Wachstum wehren,
Wenn Wirtschaftbosse Reichtum mehren?“
„Ein Jeder mindre den Verbrauch
Und seinen Kindernachwuchs auch.“
Verbesserte Version:
Machtlos?
„Wie kann man gegen Wachstum wehren,
Wenn Wirtschaftbosse Reichtum mehren?“
„Ein Jeder mindre den Verbrauch
Globale Volksvermehrung auch.“
Markus Zimmermann-Scheifele
6047 Kastanienbaum, 11. 10. 2012