Jakarta_overstroming_2002

Jakarta ist regelmässig von Überschwemmungen betroffen, wie hier im Februar 2002. © cc-by-sa-3 Wikimedia

Mehr Küstenstädte als bisher angenommen werden überflutet

Daniela Gschweng /  Radarmessungen der Küsten seien alt und ungenau, sagen zwei Forscher. Es sind mehr Küstenabschnitte gefährdet.

Prognosen darüber, wie schnell und wie stark der Meeresspiegel ansteigen wird, sind mittlerweile fester Bestandteil von Klima- und Zukunftsszenarien. Nicht ohne Grund – der Grossteil der Menschheit lebt an Küsten. Die Daten, auf denen Vorhersagen basieren, sind jedoch oft alt und ungenau, fanden zwei Forschende heraus. Einige Küstenhöhen müssen sehr wahrscheinlich nach unten korrigiert werden.

Viele Messungen sind so ungenau, dass man sie nicht verwenden könne, schrieben die Datenanalytiker Ronald Vernimmen and Aljosja Hooijer in einer im Januar publizierten Studie.

Das liegt vor allem an der verwendeten Messmethode. Höhenunterschiede an Land wurden früher ausschliesslich mit Radar gemessen. Bei der Messung wird ein Gebiet mit Radarwellen belegt. Anschliessend wird aufgenommen, wie lange die Reflexion auf sich warten lässt.

Viele Prognosen basieren auf ungenauen Radar-Daten von 2000

Dabei kommt es öfter zu Messfehlern. Ein Wäldchen oder einige Gebäude auf dem vermessenen Gebiet ergeben dann eine falsche Höhe. In tropischen Wäldern könne die Messung mehr als 20 Meter abweichen, sagte Vernimmen zum «Hakai Magazine».

Inzwischen ist man zu Lidar-Messungen übergegangen. Diese funktionieren nach dem gleichen Prinzip, arbeiten aber mit Laserstrahlen und sind weit präziser. Viele Studien und Prognosen über den Meeresspiegelanstieg verwenden SRTM-Daten, die das Space Shuttle vor 23 Jahren gesammelt hat (Shuttle Radar Topography Mission, SRTM). Noch genauer wird die Messung, wenn sie von Flugzeugen aus gemacht wird statt per Satellit. Solche Messungen sind aber teuer.

Viermal mehr Land betroffen als bisher angenommen

Die Neuberechnung der Wissenschaftler sagt voraus, dass insgesamt rund 482’000 Quadratkilometer Land untergehen könnten. Das heisst, bei einem Anstieg des Meeresspiegels um einen Meter gegenüber 2020 würde fast viermal so viel Land überflutet wie bisher vorhergesagt.

Betroffen wären vor allem Länder mit grossen, dicht bevölkerten Flussdeltas, wie Bangladesch, Myanmar und Pakistan, oder solche mit flachen Küstenlinien wie die Niederlande. Bis wann genau, ist zwar schwer zu sagen. Es könnte aber schneller gehen als bisher angenommen.

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Zu den vom Meeresspiegelanstieg (mean sea level rise, MSL) besonders betroffenen Gebieten gehören zum Beispiel die Delta-Regionen grosser Flüsse.

Genaue Prognosen sind komplexe Mathematik

Prognosen über den Meeresspiegelanstieg an einem bestimmten Ort sind eine komplexe Angelegenheit. Unter anderem, weil Küstenlinien unregelmässig sind und sich Wasser nicht gleichmässig über den Globus verteilt (Infosperber berichtete).

Auch das Ufer bewegt sich – im ungünstigen Fall nach unten. In der indonesischen Hauptstadt Jakarta beispielsweise sinkt der Boden ab. Deshalb ist die Stadt vom steigenden Wasserspiegel zusätzlich bedroht. Die Regierung hat bereits begonnen, die Hauptstadt auf die Insel Borneo zu verlegen.

Recht genau berechnen können Forschende, wie stark sich die Ozeane bei steigender Temperatur ausdehnen werden. Wie viel Eis in den kommenden Jahren und Jahrzehnten schmelzen wird, ist schon schwerer abzuschätzen.

Am wichtigsten ist, wie heftig und wie häufig extreme Wetterereignisse wie Stürme und Starkregen werden und wie hoch das Wasser in solchen Extremsituationen steigt. Der Weltklimarat IPCC rechnet bisher mit 60 bis 110 Zentimetern Meeresspiegelanstieg bis Ende des Jahrhunderts (IPCC AR6).

Forschende sprechen von «neuer Zeitachse»

Die Neueinschätzung ist ein Alarmsignal. In den Niederlanden, in Italien, im Senegal und in vielen anderen Ländern wird heute entschieden, wo in den kommenden Jahren Deiche verstärkt, Menschen umgesiedelt oder Bauvorhaben geplant werden. Für die betroffenen Länder und Städte geht es um Zentimeter. Bisher schätzte Indonesien beispielsweise, dass bis 2050 ein Drittel von Jakarta überflutet sein wird. Was, wenn es deutlich mehr ist?

Nach Vernimmens und Hooijers Berechnungen wären rund 132 Millionen Menschen direkt betroffen, wenn der Wasserspiegel um einen Meter steigt. Die beiden niederländischen Forscher haben ihre Daten öffentlich verfügbar gemacht. «In der Hoffnung, dass die betroffenen Regierungen die neue Zeitachse zur Kenntnis nehmen», zitiert das «Hakai Magazine».


Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors

Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.

Zum Infosperber-Dossier:

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3 Meinungen

  • am 28.07.2023 um 15:19 Uhr
    Permalink

    Grüezi Frau Gschwend
    Sicherlich wollten Sie mit diesem Beitrag zum positiven handeln anreregen.

    Wir setzen im Landkreis Mainz-Bingen eine regionale, sicher mit Energie versorgte, klimaneutrale Energiezelle um.

    Wir stellen fest, dass die meisten in unserer Gemeinschaft genug haben von den negativen Berichten, auch wenn sie noch so gut sind.
    Wir haben jedoch die grössten Probleme mit Menschen in der Gruppe, die ständig von den Lösungen ablenken und das Sprechen von Problemen oft eine Ausrede ist, nicht selbst ins Handeln zu kommen.
    Ich denke, dass es vielen Lesern von Infospoerber gleich geht wie uns. Solche Beiträge helfen letzlich nicht einmal dem Infosperber noch Ihnen selbst.
    Mein Wunsch an Sie wäre, berichten Sie viel mehr über die Möglichkeiten, die wir haben und über Möglichkeiten, über die wir diskutieren sollten.

    • alex_nov_2014_1_3_SW(1)
      am 29.07.2023 um 13:17 Uhr
      Permalink

      Sehr geehrter Herr Löpfe, wir berichten regelmässig über Studien und Pläne, wie der ökologische Fussabdruck verringert werden kann. Da kann der Einzelne durchaus ins Handeln kommen. Die am wenigsten aufwendigen Methoden, seinen Fussabdruck zu verringern sind Veganismus, Zero-Waste und die Anpassung der persönlichen Mobilität. Infosperber berichtet dazu regelmässsig. Diese bedingen aber eine erhebliche Änderung des Lebensstils, was von meinen Leser:innen kontrovers diskutiert wird. Etwas aufwendiger wird es beispielsweise in den Bereihen Stadtplanung und Bau. Berichte über technologische Neuerungen erfreuen sich zwar einiger Beliebtheit, die meisten sind jedoch Insellösungen, die über die Pilotphase nicht hinauskommen. Ihr Einfluss ist derzeit vergleichsweise gering. Ich wünsche Ihnen dennoch viel Erfolg in Mainz-Bingen.

      • am 30.07.2023 um 07:29 Uhr
        Permalink

        Grüezi Frau Gschweng
        Herzlichen Dank für Ihre Antwort.
        Schade dass Sie auf die Problematik der nagativen Stimmungsmache nicht eingegangen sind.
        Unser Projekt unterscheidet sich von anderen Projekten, dass es die Bevölkerung mitnimmt und wir nicht als Lehrmeisterinnen auftreten.
        Wie gesagt haben wir im Landkreis MB auf politischer Ebene Einstimmigkeit erreicht.
        Die Energiezelle umfasst ein Monitoring Tool mit dem wir Erfolge der Mitwirkenden ständig kommunizieren. Prüft Infosperber selbst seine Erfolge z.B in Bezug auf eine Energiewende? Energiezellen stehen zur Zeit im Gespräch in Mainz, im LK BadKreuznach, in Rheinland-Pfalz und an höchster Stelle in der Schweiz.
        Zusammen bilden Energiezellen Energiewaben.
        Ich denke Sie werden in nächster Zeit noch viel von Energiewaben hören.
        Ich freue mich von ihren zahlreichen Erfolgen in allen Medien zu hören.
        Mit nachhaltigen Grüssen
        Urs.loepfe@noblackout.eu

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