Vision des Wood Wide Web
Von den vielen Waldbüchern, die ich in letzter Zeit las, war «Die Weisheit der Wälder» von Suzanne Simard das spannendste. Obwohl oder weil mich manchmal ein leicht esoterisches Moment provozierte? Schon die vom Haupttitel des englischsprachigen Originals in den Untertitel verlagerte «Suche nach dem Mutterbaum» hatte ich in dieser Richtung interpretiert – und lag damit falsch. Denn die Frage nach den Zentren unzähliger Verbindungen, welche in Waldböden vorab Pilze schaffen, ging ganz logisch aus vorhergehenden Erkenntnissen hervor. Und das weibliche Bild für alte Baumriesen, die oft über Jahrhunderte kleine Sämlinge im Umfeld stärken, passt einfach besser als «Väter». Zumal, wenn das Wüten von Akteuren einer profitorientierten Holzindustrie in Betracht gezogen wird. Damit hat das lebenslange Engagement der heute anerkannten Expertin für quasi untergründige Aspekte der Waldökologie nämlich begonnen: mit blankem Entsetzen über gigantische Verheerungen weiter Gebiete durch eine technisch rasant hochgerüstete Maschinerie.
Kahlschläge, Gift, Zerstörung
Suzanne Simard, in eine kanadische Holzfällerfamilie hineingeboren, ass als Kind gern Walderde und fand diese fein. Später faszinierten sie Vernetzungen darin – die Vision eines Wood Wide Web. Mit ihrem anschaulichen Forschungsbericht sind Einblicke in das oft turbulente Leben einer Pionierin verbunden. Zuerst sollte die junge Mitarbeiterin des Forstministeriums den beim Aufforsten dieser Kahlschlagflächen auftauchenden Problemen nachgehen, um diese Prozesse zu optimieren und das Wachstum neuer Plantagen zu beschleunigen. Dabei war die Devise klar: Was an Konkurrenz auftauche, musste weg, wenn nicht anders möglich auch mit Gift. Spross neben neuen Kiefern ein Meer von Erlen, war das genau, «was die Forstindustrie brauchte, um die chemische Keule zu schwingen oder ein regelrechtes Kettensägenmassaker zu rechtfertigen».
Da lag ihre Vermutung, dass die zwei Baumarten sich beim Aufwachsen gegenseitig unterstützen könnten, total quer. Auch in der wissenschaftlichen Lehrmeinung war Kooperation keine Option. Doch die durchgeführten Experimente wiesen alle in diese Richtung. Je intensiver sich das Team, in dem die junge Suzanne bald zur treibenden Kraft wurde, um solide Beweise bemühte, desto deutlicher wurde ihre Sicht bestätigt. Das war im gegebenen Interessensystem sehr unbequem. Es gab Konflikte, auch mit Fachkollegen, die erste publizierte Studien kritisierten, darin Fehler suchten, aber nicht fanden. «Ich liebte den Wald, war stolz auf meine Arbeit, und dennoch behandelten sie mich wie eine lästige Person, eine Unruhestifterin.» Im männerdominierten Forstmilieu wurde die Frau, welche die bisher wie Unkraut behandelten Birken nicht ausrotten, sondern ins ökologische Zusammenspiel einbeziehen wollte, zur mit Hohn bedachten Miss Birch, zum Fräulein Birke, das bei Begehungen angeschnauzt wurde. «Du hast nicht die leiseste Ahnung, wie die Wälder hier funktionieren!» Dass sie mit diesen aus ihrer Familientradition heraus eng verbunden war, mit viel harter Handarbeit und wachsender Leidenschaft für deren Erhaltung kämpfte, zählte nicht.
«Ein kunstvoller Teppich»
Ohnmachtgefühle waren der Anfängerin nicht fremd; gelegentliche Anerkennung half; konkrete Befunde machten sie sicherer: Im eng verfilzten Netzwerk von Pilzen und Wurzeln gab es nebst dem Austausch von Stoffen auch Formen von Kommunikation. Zeigte sich da sogar Intelligenz? Ihr von der Fachzeitschrift «Nature» publizierter Text, der 1997 erstmals das eingängige Bild vom Wood Wide Web enthielt, wirkte Wunder. Kontakte zu weltweit mit ähnlichen Untersuchungen befassten Kolleginnen und Kollegen wurden intensiver, sie hatte es – jetzt als Professorin – leichter, Mittel für weiterführende Arbeiten aufzutreiben. Die detaillierte Beschreibung einzelner Etappen erhellt exemplarisch, wie offene Forschung funktioniert.
Besonders faszinierte mich der Blick in die meist unsichtbare Pilzwelt. Durchaus bunte Myzelstränge sind eigentlich überall zu finden, in erstaunlicher Vielfalt. Wo sie fehlen, geht es Bäumen wie Pflanzen in der Regel schlecht. In einem Waldstück mit Douglasien und sogenannten Papierbirken wurden mehr als hundert Pilzarten festgestellt, auf diese Baumsorten spezialisierte, aber auch Generalisten. «Ein kunstvoll gewirkter Teppich.» Einige waren im Frühjahr aktiv, andere im Herbst. Bei einzelnen stand schon fest, was sie bewirkten. «Doch über die Funktionen der grossen Mehrheit der Mykorrhizapilze wussten wir so gut wie nichts.» Also weitermachen! Wieder liessen sich junge Studierende für gezielte Erkundungen in diesem Neuland begeistern.
Zu viel Vermenschlichung?
Simard selbst begann sich auf die Rolle alter Riesinnen zu konzentrieren. Was wurde von den langsam sterbenden Mutterbäumen an Stoffen und gemachten Erfahrungen sozusagen vererbt? «Vermenschlichung» – so lautet ein Vorwurf, dem sie sich stellen musste, als sie den Mut zum öffentlichen Auftreten fand. Sie wolle die Natur trotz der bekannten Bedenken «in Begriffen des menschlichen Lebens schildern», damit auch Zuhörende ohne Fachwissen ihren Gedankengängen besser folgen könnten. Sie hat eine Mission, empfindet es als Verpflichtung, einem grundlegend anderen Umgang mit den komplexen und in jeder Hinsicht wertvollen Waldgemeinschaften zum Durchbruch zu verhelfen. Das ist auch eine Gegenleistung, nachdem ihr der Wald sowie einzelne Bäume in schwierigen Momenten die Kraft zum Durchhalten gaben. «Wir sind allesamt Überlebenskünstler», habe sie einmal gedacht, als ihr auf dem Weg zum Versuchsfeld eine Reihe junger Hemlocktannen begegneten. Sie standen auf einem umgestürzten Stamm, «als ob sie im Gänsemarsch dort entlangmarschierten». Es sind solch schöne Impressionen sowie die überraschend eingeschobenen, ja eingewobenen Episoden aus dem Privatleben, die diesen Forschungsbericht zur packenden Lektüre machen. Er ist auch die Spiegelung eines im Kern gradlinigen, aber durch oft dramatische Krisen und Brüche bewegten Lebens. Beim intensiven Beobachten lernen und dann erzählend darüber informieren – das ist hohe Kunst. Damit hat die Autorin, offenbar von ihrer Lektorin ermutigt, mehr als ein gutes Sachbuch geschaffen. Ihre tiefe Sorge um die Zukunft der globalen menschlichen Gemeinschaft verschafft dem starken Modell des kooperativen Wood Wide Web noch eine zusätzliche, hochaktuelle Dimension.
Dieser Beitrag erscheint auch in der «P.S.»-Herbst-Buchbeilage, dort mit vier weiteren Waldgängen kombiniert.
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Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Meinungen in Beiträgen auf Infosperber entsprechen jeweils den persönlichen Einschätzungen der Autorin oder des Autors.
Zwei für Wälder und ihre Bewohner elementar wichtige Themen – Ektomykorrhiza und alte Bäume -, und dann noch ausgerechnet eine Frau, die sich in der grünröckigen, trotz Hightech ziemlich angestaubten Männerdomäne nicht «assimilieren» möchte, sondern ihren Weg, angelegt in frühester Kindheit (oder noch früher?), unbeirrt und erfolgreich weitergeht – sicherlich zum Nutzen der Wälder UND der Menschen!?
Klingt sehr spannend und nach Pflichtlektüre für die grüne Zunft.
Ich jedenfalls hab das Werk bestellt, Hans Steiger hat mir schon einige gute Bücher beschert (zuletzt die spannende und schlüssige Kapitalismuskritik «Weniger ist mehr» von Jason Hickel).