Ukraine-Krieg: Tausende Delfine verenden im Schwarzen Meer
Russlands Krieg in der Ukraine fordert nicht nur Menschenleben, er bringt auch vielen Tieren Leid und Tod. Tatjana Milimko, die für die «taz» aus Odessa berichtet, freute sich gerade noch über eine kleine Erleichterung im Kriegsalltag: Nach langer Zeit dürfen die Bewohner wieder am von Minen befreiten Strand spazieren gehen.
Die Ufer sind voll von toten Delfinen
Bei ihrem Spaziergang findet sie einen toten Delfin am Ufer. Ein weiteres Opfer des Krieges, erfährt sie. Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine wurden vor Odessa 44 verendete Delfine gefunden. In Friedenszeiten waren es etwa vier im Jahr. Die Tiere wurden meist Opfer von Wilderern, in deren Netzen sie sich verfangen hatten, was man an ihren Verletzungen erkennen kann.
Der Delfin, den Milimko findet, hat keine sichtbaren Verletzungen. Gestorben sei er sehr wahrscheinlich am Lärm von Explosionen und Sonarwellen, die die russischen Kriegsschiffe im Schwarzen Meer aussenden, erklärt der Ökologe, der den Kadaver untersucht.
Ein verhängnisvolles Orientierungssystem
Visuelle Orientierung bringt in Gewässern wenig, schon ab fünf Metern Tiefe lässt das Licht nach; viele Fische leben vorwiegend im Dunkel. Delfine und Wale orientieren sich vor allem durch Schall und kommunizieren durch Töne. Sie können deshalb ausgezeichnet hören. Eine Eigenschaft, die ihnen im Krieg zum Verhängnis wird.
Der Sonarstoss eines Kriegsschiffs kann eine Lautstärke von 240 Dezibel erreichen. Zum Vergleich: Eine Motorsäge hat etwa 100 Dezibel. Genauso laut dürfen Rockkonzerte sein, damit sie dem Gehör von Menschen nicht schaden. Bei 120 bis 150 Dezibel – das ist lauter als ein Düsenflugzeug – ist für Menschen die Schmerzgrenze erreicht, das Gehör erleidet bleibende Schäden.
Dem empfindlichen Gehör der Meeressäuger schadet der Lärm nachhaltig. Die Sonarwellen haben so viel Energie, dass sie Gehirnblutungen und Gefässverletzungen bei Walen und Delfinen verursachen können. Die Tiere haben vermutlich starke Schmerzen. Sie kollabieren oder schwimmen in Panik davon, ihr Orientierungssystem wird stark und oft bleibend beeinträchtigt. Sie können keine Nahrung mehr finden, sich nicht mitteilen und nicht navigieren.
Lärmverletzungen bei Walen und Delfinen sind auch aus anderen Gegenden der Welt bekannt. Immer wieder stranden orientierungslose Meeressäuger in Flüssen oder an Küsten. Viele sterben, auch wenn sie gefunden und betreut werden.
Genaue Zahl der toten Delfine bleibt unklar
Wie viele Tiere im Schwarzen Meer bisher an Lärm- oder Bombenschäden gestorben sind kann man nur schätzen. Es sind mindestens tausende, ein Grossteil stirbt im offenen Meer und wird von anderen Meeresbewohnern gefressen. Nur etwa fünf Prozent stranden am Ufer, schätzt der Biologe Ivan Rusev, den mehrere Medien zitieren. Rusev ist leitender Forscher des Nationalparks «Tuzlivski lymany» in der Region Odessa.
Seit dem 24. Februar seien schätzungsweise 5000 Delfine im Schwarzen Meer gestorben, schrieb das «Odessa Journal» im Juli, ebenfalls unter Bezug auf Rusev. Die NZZ berichtete im Juli von hunderten dokumentierten Strandungen in mehreren Ländern und geht von tausenden toten Tieren aus.
Die «taz» schätzt unter Bezug auf Fachleute eine ungefähre Todeszahl von 50’000 Tieren, Rusev ging in einem Facebook-Post im Oktober ebenfalls davon aus.
Ein Ökozid im Fahrwasser des Krieges
Es handle sich um ein Massensterben, das die Bezeichnung «Ökozid» verdiene, sagen auch andere Forschende. Die Zahl der Delfine, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch bei etwa 2 Millionen Tieren lag, schätzte Rusev vor zwei Jahren auf etwa 250’000 Individuen aus drei Arten.
Die Behörden in Odessa haben bereits ein Strafverfahren wegen des Ökozids in Folge der bewaffneten Aggression Russlands eingeleitet, berichtet «Ukrinform».
Die in diesem Jahr sehr hohen Todeszahlen der Meeressäuger im Schwarzen Meer bewegten sich im Rahmen natürlicher Schwankungen, sagt hingegen Russland. Auch eine Krankheit käme als Ursache für die auffällige Häufung von Todesfällen in Frage, etwa ein Virus, zählt die NZZ auf. Russische Medien bezeichneten die Nachrichten von den toten Delfinen auch als «Fake News».
Meeresforschende fordern Pufferzonen
Plausibler ist, dass der Krieg den Delfinen nachhaltig schadet. Dafür sprechen sowohl die Anzahl der Kriegsschiffe im Schwarzen Meer wie auch die schweren Kämpfe vor der ukrainischen Küste. Die Schiffsabwehrraketen der Ukraine und die Verwendung von Seeminen von beiden Kriegsparteien trägt dazu ebenfalls bei. Einige der gefundenen Kadaver wiesen auch Verletzungen auf, die von Explosionen stammen können.
Im August forderten Rusev und andere Forschende eine Pufferzone um Odessa, damit sich die Delfinpopulation erholen könne. In Frage käme beispielsweise die Umgebung der Schlangeninsel, zitiert das «Odessa Journal». Die Forschenden befürchten eine Störung der Nahrungskette durch den Verlust so vieler Delfine und einen nachhaltigen Einfluss auf die Biodiversität im Schwarzen Meer.
Themenbezogene Interessenbindung der Autorin/des Autors
Keine
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Danke für diesen wichtigen Beitrag.
Es ist penibel, was die Mächtigen dieser Welt überall für Zerstörungen anrichten.
Sie sollten sich schämen!